Keine Rückabwicklung von Jahre alten Versicherungsverträgen nach dem sogenannten Policenmodell wegen Europarechtswidrigkeit
Zwischen 1994 und 2007 waren in der Versicherungsbranche Versicherungsverträge nach dem sogenannten Policenmodell sehr gängig. Bei diesem Modell wurden dem Versicherungsnehmer erst nach Abschluss des Vertrages die vollständigen Vertragsinformationen einschließlich der Verbraucherinformationen übersendet.
Verträge nach dem Policenmodell waren durch § 5a des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in seiner alten, bis 2008 gültigen Fassung ausdrücklich erlaubt.
Der Verbraucher konnte dem Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen widersprechen, sobald die Versicherung sämtliche Verbraucherinformationen erteilt hatte. Erst nach Ablauf der 14-tägigen Widerspruchsfrist wurde der Vertrag wirksam. § 5a VVG alte Fassung legte allerdings auch fest, dass spätestens nach einem Jahr ab Zahlung der ersten Versicherungsprämie der Widerspruch nicht mehr möglich sein sollte.
Erhielt der Verbraucher über Jahre hinweg die Verbraucherinformationen gar nicht, wurde der Vertrag nach spätestens einem Jahr wirksam.
Wegen dieser Einschränkung der Widerspruchsmöglichkeit hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass § 5a VVG alte Fassung gegen Unionsrecht verstößt. Die Verbraucherinformationspflichten des Versicherungsgebers seien zwingend und würden umgangen, wenn der Vertrag nach einem Jahr wirksam würde, obwohl die Versicherungen den Versicherungsnehmern keine Verbraucherinformationen erteilten. Dieser Rechtsprechung folgte auch der BGH. § 5a VVG alte Fassung und das Policenmodell wurden deshalb im Jahr 2008 abgeschafft. Verträge nach dem Policenmodell sind somit heute nicht mehr möglich.
Viele Verbraucher stellten sich daher die Frage, ob Verträge nach dem Policenmodell per se unwirksam waren. Verbraucher könnten sich dann auch noch Jahre später auf die Unwirksamkeit der Verträge berufen und Millionen von Versicherungsverträgen wären vollständig rückabzuwickeln. Das hieße, dass die Versicherungsgeber alle geleisteten Prämien des Verbrauchers zurückzahlen müssten.
Dafür spricht, dass nach den EU-rechtlichen Vorgaben der Verbraucher vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages über sämtliche Inhalte und Versicherungsbedingungen informiert werden muss und ihm insbesondere die Verbraucherinformationen vor Vertragsschluss mitgeteilt werden müssen. Eine Information erst bei oder nach Vertragsschluss ist nicht ausreichend.
Die Verträge nach dem Policenmodell genügen allerdings dieser Anforderung, auch wenn der Verbraucher die Informationen seitens des Versicherungsnehmers erst nach dem Vertragsabschluss erhält.
Denn beim Policenmodell wird der Vertrag erst wirksam, wenn der Verbraucher die Vertragsinformationen erhalten hat und nicht innerhalb von 14 Tagen widerspricht. In der Zeit zwischen dem Vertragsschluss und Ablauf der 14-tägigen Widerspruchsfrist war der Versicherungsvertrag schwebend unwirksam. Erst mit Ablauf der 14-tägigen Frist nach erfolgter Verbraucherinformation wurde der Vertrag wirksam. Der Verbraucher hat somit vor Wirksamkeit des Vertragsschlusses die nötigen Informationen erhalten. Ein Verstoß gegen EU-Recht liegt von daher nicht vor.
Die europäischen Richtlinien enthalten darüber hinaus keine Vorgaben zum Vertragsabschluss bei Versicherungsverträgen, sondern überlassen die Fragen des Vertragsschlusses den nationalen Gesetzgebern. Die Besonderheit des Policenmodelles, dass gerade der Zeitpunkt des Vertragsschlusses wegen der Widerspruchsmöglichkeit des Verbrauchers und der schwebenden Unwirksamkeit nach hinten verschoben wurde, betrifft damit alleine das Zustandekommen des Vertrages. Was der deutsche Gesetzgeber selber regeln durfte.
Selbst wenn ein Verstoß gegen das europäische Gemeinschaftsrecht angenommen werden müsste, dürfen Versicherungsnehmer, die nicht von ihrem 14-tägigen Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht, sondern den Versicherungsvertrag jahrelang gelebt haben, sich heute nicht mehr auf die Unwirksamkeit des Vertrages berufen.
Es ist widersprüchlich und treuwidrig, wenn der Versicherungsnehmer sich Jahre nach Abschluss des Vertrages auf die Unwirksamkeit beruft, obwohl er sich nach der ordnungsgemäßen Belehrung innerhalb von 14 Tagen ohne Nachteile mittels Widerspruch vom Vertrag hätte lösen können. Der Versicherungsgeber darf in einem solchen Fall darauf vertrauen, dass der Vertrag von beiden Seiten als wirksam erachtet wird.
Eine andere Betrachtung hätte auch für die Versicherungsnehmer gravierende Folgen, denn die Versicherungsgeber könnten sich ebenso auf die Unwirksamkeit des Vertrages berufen und den Versicherungsnehmer somit rückwirkend und für die Zukunft schutzlos stellen.
Kontakt: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: September 2014
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Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
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- „Die Beraterhaftung im Kapitalmarktrecht“, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-30-4
Rechtsanwältin Ritterbach ist Dozentin für Kapitalmarktrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaften Bank- und Kapitalmarktrecht und Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
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