Die Haftung für Steuerschulden – Teil 05 – Haftung des Vertreters nach § 69 AO: Schaden, Kausalität, Verschulden, Rechtsfolge
3.3. Schaden
Nach § 69 S. 1 AO muss ein Schaden eingetreten sein. Ein Haftungsschaden liegt sowohl vor, wenn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
- nicht
- zu niedrig oder
- nicht rechtzeitig
- festgesetzt oder
- erfüllt werden, als auch,
- wenn Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt wurden, § 69 S. 1 AO.
Dies kann im Festsetzungsverfahren oder im Erhebungsverfahren der Fall sein.
3.3.1. Schaden im Festsetzungsverfahren
Das Festsetzungsverfahren ist das Verfahren, in dem das Finanzamt die konkrete Steuerschuld auf Grundlage der vorliegenden Tatsachen bestimmt und die Steuern durch Steuerbescheid festsetzt.
Im Festsetzungsverfahren tritt ein Schaden durch
- zu niedrige
- unterbliebene oder
- nicht rechtzeitige
Festsetzung ein.
3.3.2. Schaden im Erhebungsverfahren
Das Erhebungsverfahren gem. §§ 218 bis 248 AO regelt, wann eine Steuer fällig wird und wie bzw. wann die Forderung erlischt. Darüber hinaus wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Steuer gestundet oder aus Billigkeitsgründen erlassen werden kann.
Das Erhebungsverfahren erfasst die
- Verjährung des Steueranspruchs
- Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis und
- Erhebung von Säumniszuschlägen bei verspäteter Steuerzahlung.
Im Erhebungsverfahren kann ein Schaden durch
- unterbliebene oder
- nicht rechtzeitige
Zahlung eintreten
3.4. Kausalität
Die Pflichtverletzung eines Vertreters führt nur dann zur Haftung, wenn sie ursächlich (kausal) für den Schadenseintritt ist, also wenn ohne die Pflichtverletzung der Schaden nicht eingetreten wäre
Eine Pflichtverletzung ist kausal, wenn Ansprüche aus dem Steuerverhältnis wegen der Pflichtverletzung
- nicht oder
- nicht rechtzeitig
- festgesetzt oder
- erfüllt wurden oder
- wenn das Finanzamt wegen der Pflichtverletzung Vergütungen oder Erstattungen ohne rechtlichen Grund bezahlt hat.
Beispiel 1
Die Blum GmbH verfügt nicht über ausreichende Mittel, um die Umsatzsteuer zu bezahlen. Der Geschäftsführer gibt auf Grund dessen keine Steuererklärung ab und bezahlt die Steuern nicht. Die GmbH wird insolvent.
- Die Nichtabgabe der Steuererklärung ist eine Pflichtverletzung. Sie ist aber nicht kausal für den eingetretenen Schaden. Bei Abgabe der Steuererklärung wäre der Schaden ebenfalls eingetreten, da die GmbH dann ebenfalls insolvent geworden wäre.
- Die Nichtzahlung der Steuern ist in diesem Fall keine Pflichtverletzung, da Steuern nur aus den Mitteln errichtet werden müssen, die verwaltet werden und bei einer insolventen GmbH keine zu verwaltenden Mittel mehr vorhanden sind.
3.5. Verschulden
Den Haftenden trifft ein Verschulden bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Vorsatz bedeutet die bewusste Verletzung einer Pflicht mit Wissen und Wollen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die gebotene Sorgfalt in schwerwiegendem Maße außer Acht gelassen wurde.
Nach dem Bundesfinanzhof liegt ein schuldhaftes Handeln eines Geschäftsführers beispielsweise vor, wenn
- er die Nettogehälter ungekürzt an die Arbeitnehmer ausbezahlt, ohne Steuern abzuführen, um Arbeitsplätze zu erhalten, anstatt nur den Lohn in der Höhe auszubezahlen, für den der Arbeitgeber auch die Lohnsteuern abführen kann.
- er sich ausschließlich auf die Zusage einer Bank, der GmbH ein Darlehen zu gewähren, vertraut.
- er Steuerrückstände nicht tilgt, die er bei seinem Amtsantritt vorfindet und die durch das Verhalten seines Vorgängers entstanden sind.
Ein Verschulden des Steuerberaters kann dem Geschäftsführer nur dann zugerechnet werden, wenn ihn ein Auswahl- und Überwachungsverschulden trifft oder er einem Anlass, die inhaltliche Richtigkeit der Steuererklärung zu überprüfen, nicht nachgekommen ist.
3.6. Rechtsfolge
Hat der Vertreter eine Pflichtverletzung zu verantworten, durch die ein Steuerschaden entstanden ist, haftet er persönlich und unbeschränkt. Der Haftungsumfang richtet sich hierbei nach dem Grund der Pflichtverletzung.
Sind inhaltlich richtige Steuererklärungen abgegeben worden und reichen nur die verfügbaren Mittel zur Erfüllung der daraus entstehenden Zahlungspflichten nicht aus, um den Steuergläubiger angemessen zu befriedigen, haftet der Verantwortliche für den anteiligen Steuerausfall.
Bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen inhaltlich unrichtigen Angaben und bei gleichzeitigem Vorhandensein der erforderlichen Zahlungsmittel, greift eine volle Haftung nach § 34 I S.2 AO. Der Umfang der Haftung bezieht sich auf alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO. Der Geschäftsführer einer GmbH muss für die Lohnsteuer und Säumniszuschläge, die infolge der Pflichtverletzungen mittelbar entstanden sind, haften. Ein etwaiges Mitverschulden eines Dritten oder sogar des Finanzamtes wird von dem Finanzamt bei der Ausübung ihres Erschließungsermessens berücksichtigt. Ein etwaiges Mitverschulden des Finanzamtes wirkt sich analog § 254 BGB auf die Höhe der Haftung aus.
Bei der Festsetzung der Haftung kann das Finanzamt davon ausgehen, dass der Haftungsschuldner über ausreichend Mittel zur Begleichung der rückständigen Steuerschulden aus dem Steuerschuldverhältnis verfügt und ihn in der Höhe der rückständigen Steuern in Anspruch nehmen.
3.7. Befreiung der Haftung
Eine Befreiung von der Haftung kann für den Geschäftsführer eintreten, wenn vorweg eine eindeutige schriftliche Klarstellung getroffen wurde, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist. Die Befreiung ist begrenzt, bis ein Anlass eintritt, an der Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den zuständigen Geschäftsführer zu zweifeln oder bei drohender Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung.
3.8. Dauer der Haftung
Selbst wenn die Vertretungs- und Verfügungsmacht erlischt, haben die ehemaligen Vertreter und Verfügungsberechtigten die Pflichten nach §§ 34, 35 AO zu erfüllen, soweit sie vor dem Ende der Vertretungsmacht entstanden sind und sie zur Erfüllung noch in der Lage sind, § 36 AO.
Dies ist nicht mehr der Fall, wenn alle von ihnen verwendeten und für ihre Tätigkeit notwendigen Unterlagen an die zu vertretene juristische oder natürliche Person zurückgegeben wurden.
So soll gewährleistet werden, dass auf das Wissen des Ausgeschiedenen zurückgegriffen werden kann. Besondere Bedeutung hat das bei einer nachträglichen Berichtigung falscher Steuererklärung. Der Verpflichtete kann sich nach Erlöschen der Vertretungs- und Verfügungsmacht nicht auf ein evtl. Auskunftsverweigerungsrecht (§§ 101, 103, 104 AO) berufen.
3.9. Ermessen des Finanzamtes
Das Finanzamt prüft im Rahmen seines Entschließungsermessens (§ 5 AO), ob die haftende Person auch tatsächlich in Anspruch genommen wird. In der Ausübung ihres Ermessens, muss die Behörde prüfen, welche unter den an sich geeigneten Maßnahmen den Betroffenen am wenigsten belastet. Eine Entscheidung könnte ermessensfehlerhaft sein, wenn das Finanzamt jemanden als Haftungsschuldner in Anspruch nimmt, der über keine liquiden Mittel verfügt.
Beispiel 1
Herr Anton und Frau Weber sind Geschäftsführer der AW-GmbH. Beide sind Haftungsschuldner der Steuerschulden der AW-GmbH in Höhe von 20.000 €. Während Herr Anton drei Kinder hat ist Frau Weber kinderlos und verfügt seit einer Erbschaft über ein beträchtliches Vermögen.
Das zuständige Finanzamt nimmt Herr Anton für die Haftung in Anspruch. Er sieht sich allerdings nicht in der Lage die Summe in den nächsten Jahren zu entrichten.
- Die Entscheidung über die Auswahl des Haftungsschuldners (Auswahlermessen) ist fehlerhaft, da die Finanzbehörde bei der Auswahl des Haftungsschuldners denjenigen gewählt hat, der über keine ausreichenden liquiden Mittel verfügt. Das Finanzamt hätte Frau Weber in Anspruch nehmen müssen.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Haftung für Steuerschulden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-39-7.
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Kontakt: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.deStand: Januar 2016
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Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten. Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren. Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte.
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.
Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:
- Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
- Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
- Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
- Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
- Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
- Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
- Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7
Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so
- Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren
Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:
- Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
- Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
- Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
- Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
- Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
- Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
- Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter
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