Die Haftung für Steuerschulden – Teil 11 – Haftungsverfahren: § 44 AO und § 191 AO
15. Haftungsverfahren
15.1. Einführung
Für das Haftungsverfahren ist zu unterscheiden zwischen
- der Festsetzung der Haftungsschuld durch den Haftungsbescheid gem. § 191 AO und
- der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners auf Zahlung durch die Zahlungsaufforderung nach § 219 AO.
Es besteht eine Akzessorietät zwischen der Steuerschuld des Steuerpflichtigen und der Haftungsschuld des Haftenden. Der Umfang der Haftungsschuld bestimmt sich also nach dem Umfang der des der Haftung zugrunde liegenden Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis. Die Steuerschuld darf allerdings bei Erlass des Haftungsbescheids noch nicht erloschen sein. Die genaue Festsetzung der Steuerschuld ist nicht erforderlich. Die Haftungsschuld darf nicht höher festgesetzt werden, als die objektiv entstandene Steuerschuld.
Wird die Haftungsschuld festgesetzt, ist diese selbständig. Änderungen des Steuerbescheides wirken sich nicht automatisch auf die Höhe der Haftungsschuld aus, denn der Steuerbescheid ist kein Grundlagenbescheid für den Haftungsbescheid. Der Haftungsbescheid muss selbständig davon auf ein Korrekturerfordernis hin überprüft werden.
15.2. Gesamtschuldner nach § 44 AO
Der Steuerschuldner und der Haftende haften als unechte Gesamtschuldner nach § 44 I AO. Nach § 44 II S. 1 und S. 2 AO wirken die Erfüllung und die Aufrechnung des einen jeweils für den anderen.
Beispiel 1
Der Steuerschuldner und der Haftungsschuldner werden zur Zahlung der bestehen Steuerschulden aufgefordert. Der Steuerschuldner begleicht die Steuerschulden sogleich.
Das Finanzamt kann den Haftungsschuldner nicht mehr in Anspruch nehmen, weil die Erfüllung durch den Steuerschuldner auch ihm gegenüber wirkt.
Hat der Steuerschuldner seine Steuerschulden bezahlt, kann der Haftungsschuldner nicht mehr in Anspruch genommen werden. Verjährungen und Erlasse wirken nur einzeln gem. § 44 II 3 AO für den jeweiligen Steuerpflichtigen bzw. Haftenden.
15.3. Ausschluss eines Haftungsbescheides nach § 191 V AO
Ein Haftungsbescheid darf nach § 191 V AO nicht ergehen, wenn
- die Steuern, für die gehaftet werden sollen, nicht festgesetzt wurden und die Festsetzungsverjährung abgelaufen ist. Eine Ausnahme besteht, bei einer Steuerhinterziehung des Haftungsschuldners.
- die festgesetzte gem. § 228 AO Steuerschuld zahlungsverjährt ist.
- die Steuerschuld erlassen wurde. Eine Ausnahme hiervon besteht nach § 191 V 2 AO, wenn der Haftungsschuldner eine Steuerhinterziehung begangen hat.
Die Ausnahmen von dem Verbot, einen Haftungsbescheid zu erlassen, für den Fall dass eine Steuerhinterziehung begangen wurde, gilt nur für den Täter und Mittäter, nicht für einen Teilnehmer, der die Steuerhinterziehung nicht begangen, sondern nur an einer solchen teilgenommen hat.
15.3. Haftungsverjährung und Festsetzungsverjährung 191 III und IV AO
15.3.1. Haftungsverjährung nach § 191 III AO
Für Haftungsansprüche besteht eine eigenständige Festsetzungsverjährung gem. § 191 III AO. Die Festsetzungsverjährung gilt nur für den Erlass des Haftungsbescheides.
Die Festsetzungsverjährung beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, der nach dem einschlägigen Gesetz für die Haftungsfolge vorausgesetzt wird. Ein Haftungsbescheid muss nicht erlassen werden. Grundsätzlich dauert die Festsetzungsfrist vier Jahre. Bei einer Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei nach § 70 AO und § 71 AO zehn Jahre. Bei einer leichtfertigen Steuerverkürzung § 70 AO sind es fünf Jahre. Im Rahmen des § 69 AO verstreicht die Frist nach vier Jahren, selbst wenn eine leichtfertige Verkürzung oder Hinterziehung gegeben ist.
Nach dem Ablauf der Haftungsverjährung darf ein Haftungsbescheid nicht mehr ergehen. Wird dennoch einer erlassen, ist dieser nicht nichtig, sondern nur rechtswidrig. Der Bescheid ist nach einer Anfechtung aufzuheben. Die Haftungsbescheide können nach Ablauf der Festsetzungsfrist allerdings zugunsten des Haftungsschuldners korrigiert werden.
15.3.2. Festsetzungsverjährung nach § 191 IV AO
Besteht eine Haftung nicht nach der AO oder einem Einzelsteuergesetz, sondern aufgrund außersteuerrechtlicher Vorschriften, dann richtet sich die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nach den entsprechenden zivilrechtlichen Vorschriften. Der Haftungsbescheid kann also nur dann ergehen, wenn die Ansprüche nach der jeweiligen Vorschrift noch nicht verjährt sind.
15.3.3. Ablaufhemmung
Für den Fall, dass die Frist für den Erlass eines Haftungsbescheides nach den allgemeinen Kriterien vor der Steuerfestsetzungsfrist ablaufen würde, bestimmt § 191 III 4 HS 1 AO, dass die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Frist endet.
Gem. § 191 III 4 HS 2 AO kommt eine Ablaufhemmung nach §171 X AO in Betracht, wenn die Steuer bereits festgesetzt wurde. Der Ablauf der Festsetzungsfrist des Haftungsbescheids endet nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Steuerbescheids, wenn die Steuer vor Ablauf der für sie geltenden Festsetzungsfrist festgesetzt wurde.
Gem. 191 III 5 AO endet die Festsetzungsfrist bei § 73 AO und § 74 AO nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzten Steuern zahlungsverjährt ist.
15.5. Angehörige Steuerberatender Berufe § 191 II AO
In den Fällen der Haftung des Vertreters nach § 69 AO ist der Berufskammer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Zu den steuerberatenden Berufen gehören Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Haftung für Steuerschulden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-39-7.
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Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten. Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren. Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte.
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.
Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:
- Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
- Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
- Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
- Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
- Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
- Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
- Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7
Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so
- Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren
Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:
- Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
- Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
- Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
- Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
- Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
- Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
- Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter
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