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Die Änderung von Steuerbescheiden – Teil 10 – Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden in sonstigen Fällen nach § 175 AO

8 Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden in sonstigen Fällen nach § 175 AO

8.1 Allgemeines

§ 175 AO enthält zwei Änderungsbefugnisse

  • die Korrektur von Folgebescheiden
  • die Korrektur bei rückwirkenden Ereignissen

8.2 § 175 I 1 Nr. 1 AO Korrektur von Folgescheiden

Die eigentliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist nach §§ 155 II, 157 II AO kein selbständig anfechtbarer Teil des Steuerbescheides.

Eine Ausnahme gilt, wenn die Besteuerungsrundlagen gesondert gem. §§ 179 ff. AO mit einem Grundlagenbescheid festgestellt werden. Dieser Grundlagenbescheid hat dann Bindungswirkung hinsichtlich des Folgebescheids gem. § 182 I AO, sodass ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Grundlagen- und Folgebescheid entsteht.

Grundlagenbescheide im Sinne dieser Norm sind

  • Zerlegungsbescheide, § 188 AO
  • Entscheidungen über eine Billigkeitsmaßnahme, § 163 AO
  • Zuteilungsbescheide, § 190 AO
  • Feststellungsbescheide, §§ 179- 183 AO
  • Steuermessbescheide, § 184 AO
  • Bescheide über die Feststellung des verrechenbaren Verlusts nach § 15a IV AO
  • Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte, § 39a IV EStG
  • Stundungen, § 222 AO
  • Aussetzung der Vollziehung für einen Zinsbescheid, § 361 AO
  • Bescheinigung einer Gemeinde über Baumaßnahmen in Sanierungsgebieten oder
  • Feststellung der Versorgungsämter zum Grad der Behinderung
  • sonstige für eine Steuerfestsetzung bindende Verwaltungsakte

§ 175 I 1 Nr. 1 AO normiert von Amts wegen, also ohne dass das Finanzamt ein Ermessen hätte, eine sog. automatische Folgeänderung, nach der Steuerbescheide

  • zu ändern, zu erlassen oder aufzuheben sind,
  • soweit einem Grundlagenbescheid,
  • dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt,
  • geändert, erlassen oder aufgehoben wird.

Wurde ein bindender Grundlagenbescheid aufgehoben oder geändert, muss auch der Folgebescheid aufgehoben und geändert werden. Dies gilt ebenso für Grundlagenbescheide die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder vorläufig ergangen sind, da § 175 I 1 Nr. 1 lediglich die Wirksamkeit voraussetzt. Der Grund für die erforderliche Korrektur ist unerheblich. Ist die Korrektur des Folgebescheides von weiteren Voraussetzungen abhängig, müssen auch diese vorliegen (z.B. Fortschreibungsgrenzen gem. § 22 BewG)

Der Folgebescheid kann ein weiterer Grundlagenbescheid sein.

Die Änderung des Folgebescheides steht nicht im Ermessen des Finanzamtes. Die punktuelle Änderung darf aber nur so weit reichen, wie die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides reicht. Über die Änderungen auf Grund des Abhängigkeitsverhältnisses, darf der Folgebescheid nicht geändert werden.

Beispiel

Nach § 173 I Nr. 1 AO wird der Gewinnfeststellungsbescheid der Blumenthal GbR geändert, sodass der Gewinnanteil des Gesellschafters Herr Otto nicht mehr 15.000 € sondern 20.000 € beträgt.

  • Der erste Einkommensteuerbescheid, der aufgrund des ersten Gewinnfeststellungbescheides erlassen wurde, ist nach § 175 I Nr. 1 AO automatisch auf den Gewinnanteil iHv. 20.000 € zu ändern.

Als Rechtsbehelf kommt der Einspruch in Betracht, der bei Änderungs- und Folgebescheidenden Grenzen gem. §§ 351 I und II AO unterliegt. Die beiden Absätze dienen dem Schutz bereits formell bestandskräftiger Verwaltungsakte und damit der Rechtssicherheit. Bei einem Änderungsbescheid, der einen bereits unanfechtbaren Verwaltungsakt ändert, soll der Betroffene mit einem Einspruch nur die Beseitigung der durch den Änderungsbescheid eingetretenen Verschlechterung erreichen dürfen, § 351 I AO. § 351 II AO stellt klar, dass Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheids angegriffen werden kann und nicht durch die Anfechtung des Folgebescheids.

Nach § 171 X AO ist die Festsetzungsfrist eines Folgebescheides bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids gehemmt.

8.3 § 175 I 1 Nr. 2, II AO Korrektur bei rückwirkenden Ereignissen

Die Korrektur von Steuerbescheiden wegen rückwirkenden Ereignissen ist von der Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nach § 173 AO abzugrenzen. Beide Regeln schließen sich gegenseitig aus.

Bei § 175 I Nr. 2, II AO sind die Tatsachen zunächst richtig behandelt worden. Erst infolge eines Ereignisses, dass Auswirkungen auf die Vergangenheit hat, stellt sich der Sachverhalt anders dar, als er ursprünglich behandelt wurde. Durch den Eintritt dieses rückwirkenden Ereignisses wird der ursprünglich fehlerfreie Steuerbescheid fehlerhaft und ist zu korrigieren.

Bei § 173 AO waren die Tatsachen, wegen derer der Steuerbescheid zu korrigieren ist, bei Erlass des ursprünglichen Bescheides bereits gegeben, dem Finanzamt nur unbekannt. Bei § 175 I Nr. 2, II AO muss das Ereignis jedoch nachträglich, das heißt nach Erlass des Steuerbescheids eingetreten sein und darf deshalb zurzeit des Ergehens gerade noch nicht bestanden haben.

Voraussetzung für eine Korrektur nach § 175 I Nr. 2, II AO ist

ein Ereignis, d.h. jeder tatsächliche oder rechtliche Umstand, der nach dem Einzelsteuergesetz Grund und Höhe der Steuer beeinflusst. Nicht erfasst sind Nichtigkeitserklärung einer Rechtsnorm, rückwirkende Änderung von steuerrechtlichen Normen, EuGH Urteil und steuerliche Auswirkung für die Vergangenheit.

Dieses Ereignis muss rückwirkend sein, d.h. eine steuerliche Wirkung für die Vergangenheit haben.

Rückwirkende Ereignisse können sein:

  • die Erstattung von Sonderausgaben oder außergewöhnlichen Belastungen
  • Bilanzberichtigung und Bilanzänderung
  • Wahl der Zusammenveranlagung
  • Verwaltungsakte sog. "ressortfremder" Behörden
  • wenn sich gem. § 15a UStG bei einem Wirtschaftsgut die für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse ändern.

Beispiel

Der Erblasser hat in seinem Testament seine Schwester als Alleinerbin eingesetzt. Nach seinem Tod im Jahr 2009 erlässt das Finanzamt gegenüber der Schwester einen Erbschaftssteuerbescheid. Die Tochter des Verstorbenen ficht das Testament an. 2015 entscheidet das zuständige Gericht, dass die Tochter Alleinerbin geworden ist.

  • Durch die Anfechtung des Testamentes und die Entscheidung des Gerichtes, dass die Tochter Alleinerbin geworden ist, liegt ein rückwirkendes Ereignis vor, dass den ursprünglich richtigen Steuerbescheid fehlerhaft macht. Der Erbschaftssteuerbescheid, der gegenüber der Schwester erlassen wurde und ursprünglich fehlerfrei ergangen war, weil die Schwester auf Grund des Testamentes als Erbin zu behandeln war, ist durch das zuständige Finanzamt aufzuheben.

Auf Grund der zeitlichen Komponente - rückwirkende Ereignisse können erst Jahre nach Erlass des Steuerbescheides eintreten - enthält § 175 I S. 2 AO eine eigene Ablaufhemmung. Das Finanzamt kann demnach den Steuerbescheid bis zum Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt, korrigieren.

§ 175 II AO fingiert die Rückwirkung eines Ereignisses und ist damit beispielsweise auf die Fälle anzuwenden, in denen bei Erlass des Steuerbescheides die Voraussetzungen für eine Vergünstigung vorgelegen haben, welche zu einem späteren Zeitraum weggefallen sind.

Beispiel

Herr Baum führt einen Schreinerbetrieb als Einzelunternehmen. 2014 kauft er für den Betrieb eine Maschine. In seiner Steuererklärung wählt er die Sonderabschreibung nach § 7 g VI EStG, die ihm das Finanzamt in dem Steuerbescheid gewährt. 2016 erhält er Angebot eines Kollegen und entschließt sich, die Maschine zu verkaufen, so dass es aus dem Unternehmen ausscheidet.

  • Das Finanzamt kann den Steuerbescheid aus 2014 bis Ende 2016 noch ändern.

Gegen den geänderten Bescheid kann der Steuerpflichtige Einspruch und dann Anfechtungsklage erheben. Dabei ist § 351 AO zu beachten, der Besonderheiten für Änderungs- und Folgebescheide vorsieht. Der Einspruch alleine verhindert nicht, dass die Finanzbehörde aus dem Verwaltungsakt vollstrecken kann. Eine Aussetzung der Vollziehung ist nach §§ 361 AO, 69 FGO möglich. Die Aussetzung ist entweder im Ermessen der Behörde oder auf Antrag möglich, unter Umständen auch gegen Sicherheitsleistung.

Wird eine Änderung beantragt, die vom Finanzamt abgelehnt wird, sind als Rechtsbehelf der Einspruch und die Verpflichtungsklage statthaft. Die einstweilige Anordnung gem. § 114 FGO kann bereits vor Klageerhebung beantragt werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Änderung von Steuerbescheiden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-46-5.


 

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Kontakt: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Janua 2016


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Herausgeber / Autor(-en):

Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht

Portrait Carola-Ritterbach

Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten.  Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren.  Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte. 
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.

Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:

  • Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
  • Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
  • Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
  • Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
  • Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
  • Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
  • Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7

Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so

  • Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren

Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
 Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:

  • Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
  • Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
  • Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
  • Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
  • Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
  • Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
  • Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter

Kontaktieren Sie Rechtsanwältin Ritterbach unter:
Mail: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0721-20396-28

 

Normen: § 175 AO, § 173 AO, § 171 AO

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