Die Auswirkungen der Datenschutzgrundverordnung auf das deutsche Beschäftigtendatenschutzrecht – Teil 06 – Bereichsspezifische Erlaubnistatbestände
2.4.2.1 Erforderlichkeit bei der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses
In Bewerbungssituationen tritt das grundrechtliche Spannungsfeld(Fußnote) zwischen Beschäftigten- und Arbeitgeberinteressen deutlich zutage. Der Arbeitgeber hat ein besonders hohes Informationsinteresse und greift regelmäßig in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen ein. Diese Eingriffe sind gemäß § 32 I S. 1 BDSG zulässig, wenn sie erforderlich sind. Zum Beispiel muss der Arbeitgeber bei der Einstellung von Wachpersonal in Erfahrung bringen, ob der Bewerber gesundheitlich zum Tragen einer Waffe geeignet ist.(Fußnote)
Allerdings ist oftmals nicht eindeutig eingrenzbar, welche Informationen unbedingt erforderlich sind. Deshalb hat das Bundesarbeitsgericht eine Formel entwickelt, um die grundrechtlichen Interessen der Beteiligten abzuwägen. Ein Fragerecht wird dem Arbeitgeber nur insoweit zugestanden, als er ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das Arbeitsverhältnis hat.(Fußnote) Dieses Interesse muss objektiv so stark sein, dass der Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen dahinter zurückbleibt.(Fußnote)
Für die Fälle, in denen nicht eindeutig ist, ob ein Datenvorgang für die Einstellungsentscheidung erforderlich ist, hat das Bundesarbeitsgericht also eine Verhältnismäßigkeitsprüfung etabliert.(Fußnote) Auf diese Weise hat die Rechtsprechung den unbestimmten Wortlaut des § 32 I 1 BDSG hinsichtlich des Fragerechts des Arbeitgebers konkretisiert und für mehr Rechtssicherheit gesorgt.(Fußnote)
2.4.2.2 Erforderlichkeit bei der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses
Bei der Durchführung eines Beschäftigungsverhältnisses sind solche Daten erforderlich, die der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Pflichten und zur Wahrnehmung seiner Rechte gegenüber Beschäftigten vernünftigerweise benötigt.(Fußnote) Aufgrund gesetzlicher Dokumentationspflichten muss der Arbeitgeber z.B. Stammdaten und ähnliche Informationen erfassen.(Fußnote) Ebenso wie bei der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses bemisst sich die Zulässigkeit von Datenvorgängen in Zweifelsfällen nach einer Interessenabwägung.(Fußnote) Mit der Zulässigkeit von Videoüberwachung hat sich das Bundesarbeitsgericht ausführlich befasst.(Fußnote) Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch heimliche Videoüberwachung zulässig.(Fußnote) Dafür muss erstens der konkrete Verdacht einer Straftat oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers bestehen. Zweitens müssen weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ohne Ergebnis ausgeschöpft sein. Drittens muss die versteckte Videoüberwachung das einzig verbliebene Mittel sein und viertens muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.(Fußnote) Insgesamt konkretisiert das Bundesarbeitsgericht umfassend, wann Datenvorgänge bei der Durchführung eines Beschäftigungsverhältnisses zulässig sind.(Fußnote)
Beispiel
Die Beschäftigte B ist bei der U-AG als stellvertretende Filialleiterin angestellt. Aufgrund sehr hoher Inventurdifferenzen führt die U-AG mit Zustimmung des Betriebsrats eine Videoüberwachung durch. Das Filmmaterial zeigt, wie B nach Ladenschluss einige Zigarettenschachteln aus dem Regal nimmt und in der Bluse verstaut. Als die U-AG die B mit den Aufnahmen konfrontiert, verstrickt sie sich in Widersprüche und will kein Schuldanerkenntnis schreiben. In der Folge kündigt die U-AG der B.(Fußnote)
- Der Arbeitgeber befindet sich in einer notwehrähnlichen Lage und die heimliche Videoüberwachung ist nicht unverhältnismäßig. Daher ist die Verwertung heimlicher Videoaufnahmen von öffentlich zugänglichen Räumen (z.B. Kassenbereich eines Supermarktes) im Kündigungsschutzprozess zulässig.
2.4.2.3 Erforderlichkeit bei der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses
Im Zuge der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses darf der Arbeitgeber alle Daten erheben, die für die einseitige oder einvernehmliche Beendigung des Vertrags mit dem Betroffenen erforderlich sind.(Fußnote) Wenn der Arbeitgeber zum Beispiel betriebsbedingt kündigen möchte, muss er gemäß § 1 III S. 1 KSchG eine soziale Auswahl unter den in Betracht kommenden Beschäftigten treffen. Dafür benötigt der Arbeitgeber personenbezogene Daten wie zum Beispiel Alter oder Unterhaltsverpflichtungen der Betroffenen. Informationen wie diese sind für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich.(Fußnote)
Außerdem spielt die Frage der Löschung personenbezogener Daten im Beendigungskontext eine Rolle. Gemäß § 35 II S. 2 Nr. 3 BDSG sind sie zu löschen, sobald ihre Kenntnis nicht mehr erforderlich ist, um den Zweck der Speicherung zu erfüllen. Trotzdem können gesetzliche Aufbewahrungspflichten des Arbeitgebers eine fortwährende Speicherung erforderlich machen.(Fußnote)
2.4.2.4 Verhältnismäßigkeit bei der Aufdeckung von Straftaten
Für Datenvorgänge zur Aufdeckung von Straftaten sieht § 32 I S. 2 BDSG ausdrücklich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Die grundrechtlichen Interessen von Arbeitgeber und Betroffenem müssen im Einzelfall abgewogen werden.(Fußnote) Die Vorschrift orientiert sich ausdrücklich(Fußnote) an der Rechtsprechung zur heimlichen Überwachung der Beschäftigten.(Fußnote) Bei der Abwägung stehen sich die Dringlichkeit des Tatverdachts, die Zahl der Überwachten sowie die Größe des Schadens und die Intensität der Überwachungsmaßnahme gegenüber.(Fußnote)
Der Erlaubnistatbestand des § 32 I S. 2 BDSG erfordert jedenfalls eine bereits begangene Straftat.(Fußnote) Er scheidet aus, wenn lediglich präventiv die Entdeckungsgefahr erhöht werden soll.(Fußnote) Im Rahmen von Compliance-Maßnahmen besteht zwar ein hohes Bedürfnis der Praxis, auch verdachtsunabhängig Rechtsverletzungen erforschen zu können.(Fußnote) Solche Ermittlungen fallen aber nicht unter § 32 I S. 2, sondern unter § 32 I S. 1 BDSG.(Fußnote)
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Auswirkungen der Datenschutzgrundverordnung auf das deutsche Beschäftigtendatenschutzrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Samuel Weitz, LL.B. und cand.iur., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-72-4.
Weiterlesen:
zum vorhergehenden Teil des Buches
zum folgenden Teil des Buches
Links zu allen Beiträgen der Serie Buch - Auswirkungen DSGVO auf BDSG
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.deStand: Januar 2017
Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.
Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart
Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.
Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:
- Praxistipps zum rechtssicheren Einsatz von E-Mails im Unternehmen
- Rechtssicherheit im Internet: - Praktische Rechtstipps für Unternehmer von AGB über Disclaimer und E-Mails bis zu web2.0
- Allgemeine Geschäftsbedingungen zu Vertragsschluss, Laufzeit und Umzug in Telekommunikationsverträgen
Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Tilo Schindele unter:
Mail: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0721-20396-28