Arbeitnehmerüberlassung – Teil 11 – Grenzen des Direktionsrecht, Weisungen mit Doppelnatur
4.1.1.4.3 Grenzen des Direktionsrecht
Das Weisungsrecht findet seine Grenzen in abschließenden vertraglichen Regelungen oder in § 106 S. 1 GewO. Das arbeitsvertragliche Weisungsrecht darf gem. § 106 S. 1 GewO nur im Rahmen des billigen Ermessens ausgeübt werden. Der Arbeitgeber muss die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abwägen und die beidseitigen Interessen angemessen berücksichtigen.
Ferner darf der Arbeitgeber keine Weisungen über außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers erteilen. Das Weisungsrecht dient der Ausübung der vertraglichen Pflichten und ist auf die Vertragsausübung beschränkt. Eine Ausnahme davon gilt, wenn das außerdienstliche Verhalten Teil des betrieblichen Geschehens ist.
Beispiel 1
Die Luft und Flug AG regelt in einer Weisung an ihre Piloten, dass sie außerdienstlich Alkohol nur in dem Maß zu sich nehmen dürfen, dass eine spätere Arbeitsleistung nicht beeinträchtigt wird.
- Diese Weisung über das außerdienstliche Verhalten ist zulässig.
Inwieweit die Grenzen des Weisungsrechts erreicht sind, bestimmt sich nach dem vertraglichen Inhalt. Ist die vertragliche Leistungspflicht sehr detailliert bestimmt, ist meist von einer werkvertraglichen Anweisung auszugehen. Da der Werkgegenstand bereits durch den Vertrag ausreichend geregelt wurde, kann eine später folgende Weisung nur noch als Konkretisierung verstanden werden.
Die Problematik besteht auch bei großen Unternehmen, die ihre Arbeitsabläufe durch Funk oder ähnliche Vorgänge aufeinander abstimmen, damit kein Stillstand in der Produktion herrscht.
Beispiel 2
In einer Stahlfabrik werden aus Eisenerzen im Hochofen Rohreisen erzeugt, das dann zu Rohrstahl verarbeitet wird. Damit kein Stillstand in der Produktion eintritt, müssen die Arbeitsvorgänge zeitlich exakt auf einander abgestimmt werden. Die Stahlfabrik schließt mit einem Logistikunternehmen einen Werkvertrag mit dem Inhalt ab, dass sie die Erze zur Stahlfabrik liefern sollen. Im Arbeitsvertrag des Logistikunternehmens und seinem Mitarbeiter, der in der Stahlfabrik eingesetzt wird, sind meist nur der Leistungsort und die generellen Arbeitszeiten geregelt. Während ihrer Arbeitszeit erhalten die Fahrer für die bessere Koordination Weisungen der Stahlfabrik über Funk, wann welcher Hochofen versorgt werden soll.
- Ohne diese Weisung über Funk können der Logistikunternehmer und seine Erfüllungsgehilfen ihre Vertragspflichten nicht erfüllen, da sie nicht wissen, wann und wo sie ihre Transporte verüben sollen. Der Vertragsinhalt „Warentransport zum Hochofen“ wurde aber vertraglich festgelegt. Der Funkspruch kann als Konkretisierung des Vertragsinhalts gewertet werden. Damit liegt eine werkvertragliche Anweisung vor.
4.1.1.4.4 Weisungen mit Doppelnatur
Die Abgrenzung zwischen dem arbeitsvertraglichen Weisungsrecht und der werkvertraglichen Anweisung bereitet in der Praxis bei Weisungen mit einer Doppelnatur besondere Schwierigkeiten.
Beispiel 2
Der Supermarkt Frisch und lecker beauftragt das Unternehmen Richard und Söhne OHG mit dem Auffüllen ihrer Regale. Im Vertrag sind die Anzahl des einzusetzenden Fremdpersonals, die Arbeitszeiten und der Ort angegeben. Als die Mitarbeiter der Richard und Söhne OHG bei dem Supermarkt Frisch und lecker erscheinen, konkretisiert der Geschäftsführer, welche Waren, in welches Regal gefüllt werden sollen und in welcher Reihenfolge die Mitarbeiter der Richard und Söhne OHG vorgehen müssen. Darüber hinaus weist er sie an, nur vormittags die Regale aufzufüllen, wenn wenig Kunden im Laden sind.
- Die erteilte Weisung ist hier zu differenzieren. Zum einen erfolgt eine Weisung über die Art und Reihenfolge des Vertragsinhalts. Dies stellt eine werkvertragliche Anweisung dar. Zum anderen erfahren die Mitarbeiter erst zu Beginn ihrer Arbeit, wie und wann sie ihre Arbeit auszuführen haben. Eine Weisung über Zeit und Inhalt der vertraglich geschuldeten Leistung lässt auf eine arbeitsvertragliche Weisung schließen. Dazu ist der Werkbesteller aber nicht befugt.
Gerade bei Weisungen mit Doppelnatur ist die Unterscheidung zwischen Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung unter Berücksichtigung der Organisationshoheit vorzunehmen. Zu überprüfen ist die Stellung des Mitarbeiters in der Organisation und Hierarchie. Trägt derjenige die Organisationshoheit über die Leistung, der dem Mitarbeiter eine arbeitsvertragliche Weisung erteilt, liegt aufgrund der Ausübung der Organisationshoheit eine Arbeitnehmerüberlassung vor.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arbeitnehmerüberlassung“ von Tilo Schindele, auf Arbeitsrecht spezialisierter Rechtsanwalt, und Patricia Netto, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7.
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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.deStand: Januar 2016