Kommunalabgabenrecht – Teil 17 – Widerspruchsverfahren, Klageverfahren
5.2 Widerspruchsverfahren
Um eine Überlastung der Gerichte zu vermeiden, den Rechtsschutz des Bürgers zu verbessern und der Gemeinde die Möglichkeit zu geben, ihre Entscheidung außergerichtlich zu korrigieren, gibt es das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO. Erst, wenn auch dieses keinen Erfolg gebracht hat, kann Klage erhoben werden.
Beim Widerspruch gilt, dass dieser Erfolg hat, wenn und soweit der angegriffene Abgabenbescheid rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Beispiel
Die Gemeinde G schickt dem A einen Beitragsbescheid für Erschließungsbeiträge über 1.000 €. Tatsächlich ist dieser jedoch, wie A korrekt nachgerechnet hat, um 200 € zu hoch angesetzt. A legt deshalb Widerspruch ein.
Hier hätten A nur 800 € berechnet werden dürfen. Stattdessen soll er laut Bescheid 1 000 € zahlen. Damit ist der Bescheid rechtswidrig, da A nur verpflichtet ist, eine rechtmäßige Heranziehung hinzunehmen. G wird daher dem Widerspruch stattgeben und dem A einen Abhilfebescheid schicken, der die korrekte Beitragssumme von 800 € ausweist.
Wichtig beim Widerspruch ist, dass dieser auch dann einzulegen ist, wenn schon auf den ersten Blick erkennbar wird, dass der Bescheid nur rechtswidrig sein kann. Der Bescheid ist nämlich ein Verwaltungsakt und wenn man gegen diesen, auch soweit er rechtswidrig ist, nicht innerhalb einer Frist von einem Monat vorgeht, wird er bestandskräftig und bleibt damit auch bei einem verfristeten, aber an sich begründeten Widerspruch, "in der Welt". Ist der Bescheid dann erst einmal bestandskräftig geworden, kann eine Zahlung nur noch in besonderen, aber sehr seltenen Einzelfällen durch eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 60 VwGO abgewendet werden.
5.3 Klageverfahren
Die statthaftte Klageart richtet sich nach dem Klägerbegehren nach § 88 VwGO. Statthafte Klageart gegen Abgabenbescheide ist die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO, die durch einen entsprechenden Antrag vor dem örtlichen Verwaltungsgericht erhoben wird. Ziel der Klage ist dabei die vollständige oder zumindest teilweise Aufhebung des belastenden Bescheids. Eine teilweise Aufhebung ist etwa dann möglich, wenn, wie im Beispielsfall oben, nicht die Beitragspflicht an sich, sondern nur die Höhe streitig ist und der Kläger insoweit nur eine Anpassung der Beitragshöhe begehrt.
5.3.1 Die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Anfechtungsklage im Einzelnen
Wie für jede andere Klage auch, hat die Anfechtungsklage bestimmte Sachentscheidungsvoraussetzungen. Erst wenn diese vorliegen, entscheidet das Verwaltungsgericht überhaupt über die Klage. Liegen diese hingegen nicht vor, wird die Klage als unzulässig abgewiesen. An dieser Stelle sollen jedoch nur die wichtigsten Sachentscheidungsvoraussetzungen genannt werden, die bei jeder Klagerhebung zwingend zu beachten sind.
5.3.1.1 Klagebefugnis
Erste wichtige Voraussetzung ist das Vorliegen der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Gemäß dieser Vorschrift ist zur Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage befugt, wer die Möglichkeit geltend machen kann, durch eine Behördenentscheidung in seinen Rechten verletzt zu sein. Scheidet bereits diese Möglichkeit aus oder wird sie nicht in der erforderlichen Dichte dargelegt, so ist die Klage unzulässig. Wichtig ist hier, dass es an dieser Stelle nur um die Darlegung einer möglichen Rechtsverletzung geht: ob diese - mögliche - Rechtsverletzung tatsächlich vorliegt hat mit der Zulässigkeit der Klage nichts zu tun, sondern ist eine inhaltlich zu prüfende Frage der Begründetheit der Klage.
In Abgabenstreitigkeiten bereitet die Klagebefugnis in der Regel keine Schwierigkeiten, da eine rechtswidrige Heranziehung stets eine für die Klagebefugnis hinreichende Möglichkeit der Rechtsverletzung für den Adressaten darstellt (sog. Adressengedanke).
Beispiel
A erhält einen Beitragsbescheid für Anliegerbeiträge seines neuen Einfamilienhauses. Gegen diesen legt er Widerspruch ein, welcher allerdings von der zuständigen Gemeinde G abgewiesen wird. Eine anschließende Klageerhebung ist nicht geplant. Sein Nachbar N hingegen, der von der ganzen Sache Wind bekommen hat und meint, dass man es "der Gemeinde G mal richtig zeigen müsse" erhebt gegen den an A adressierten Abgabebescheid Klage vor dem örtlichen Verwaltungsgericht.
Dieses Beispiel verdeutlicht noch einmal die Bedeutung der Klagebefugnis. Diese dient dazu, Klagen von Personen oder Gruppierungen "auszusortieren", die schlechterdings von der in Rede stehenden Entscheidung nicht betroffen sein können. Die Begründung hierfür liegt darin, dass die Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht die Überwachung objektiven Rechts, sondern die Gewährung von individuellem Rechtsschutz ist. Hier ist es allein Entscheidung des A, ob er Klage erhebt. N hingegen hat kein schützenswertes eigenes Interesse an einer Klageerhebung, sodass seine Klage als unzulässig abgewiesen wird. Hätte A hingegen beispielsweise noch eine Ehefrau, die Mitadressatin des Bescheid ist, so dürfte auch sie Klage erheben.
5.3.1.2 Erfolglose Durchführung des Widerspruchsverfahrens
Wie schon im Rahmen der Erläuterungen zum Widerspruchsverfahren angesprochen, muss dieses stets vor Klagerhebung erfolglos durchgeführt worden sein.
5.3.1.3 Prozess- und Postulationsfähigkeit
Wichtig ist zudem die Prozess- und Postulationsfähigkeit (vgl. §§ 62 ff. VwGO). Prozessfähigkeit meint die Fähigkeit, innerhalb eines Gerichtsverfahrens Erklärungen abzugeben, Anträge zu stellen und Rechtsmittel einzulegen. Die Postulationsfähigkeit, die mit der Prozessfähigkeit eng verwandt ist, meint die Fähigkeit, vor einem Gericht rechtswirksame Handlungen vorzunehmen.
Prozessfähig ist grundsätzlich jede voll geschäftsfähige - also mindestens 18 Jahre alte - Person. Bei Minderjährigen müssen die gesetzlichen Vertreter (in der Regel die Eltern) vertreten (vgl. §§ 1626, 1631 BGB). Juristische Personen (also GmbH, AG, KG, OHG etc.) werden nach den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften durch die Organe vertreten. Bei der GmbH ist dies der Geschäftsführer nach § 35 GmbHG, bei der AG der Vorstand nach § 78 AktG.
Postulationsfähigkeit liegt vor dem Verwaltungsgericht stets vor. Vor dem Oberverwaltungsgericht, vor dem ein Normenkontrollverfahren (5.5) eingeleitet werden kann, besteht hingegen die Pflicht, sich von einem zugelassenen Rechtsanwalt oder Hochschullehrer vertreten zu lassen. Selbiges gilt auch ab dem Zeitpunkt, an dem gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung Rechtsmittel (5.7) eingelegt werden.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kommunalabgabenrecht“ von Olaf Bühler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, und Patrick Christian Otto, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-62-5.
Weiterlesen:
zum vorhergehenden Teil des Buches
zum folgenden Teil des Buches
Links zu allen Beiträgen der Serie Buch - Kommunalabgabenrecht
Kontakt: info@brennecke-rechtsanwaelte.deStand: Januar 2017