Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 02 – Die Abgrenzung der Abmahnung zu anderen arbeitsrechtlichen Mitteln
2.4 Die Abgrenzung der Abmahnung zu anderen arbeitsrechtlichen Mitteln
2.4.1 Ermahnung, Rüge
Verhält sich ein Arbeitnehmer vertragswidrig, kann der Arbeitgeber darauf sowohl mit einer Abmahnung, als auch "nur" mit einer Ermahnung reagieren.
Eine Ermahnung gilt im Gegensatz zur Abmahnung als „milderes Mittel“, da sie arbeitsrechtlich keine Konsequenzen entfaltet. Sie soll dem Arbeitnehmer lediglich mitteilen, dass sich der Arbeitgeber ein anderes Verhalten wünscht. Sie hat keine Warnfunktion, sondern ist schlicht die Ausübung des vertraglichen Rügerechts des Arbeitgebers (Appel in: Arbeitsrecht - Handbuch für die Praxis, § 78, Rn.5.). Eine Abmahnung hingegen hat arbeitsrechtliche Konsequenzen und kommt bei Vertragsverletzungen von einiger Schwere in Betracht.
Wurde ein Verhalten gerügt, stellt sich im Nachhinein häufig die Frage, ob eine Abmahnung im Rechtssinne erteilt wurde, oder ob es sich „nur“ um eine Ermahnung handelt. Insbesondere eine Kündigung wegen des entsprechenden Verhaltens ist in den meisten Fällen nur möglich, wenn es sich tatsächlich um eine Abmahnung gehandelt hat. Für die Entscheidung, ob eine Abmahnung oder lediglich eine Ermahnung erteilt wurde, ist es unerheblich, welche Bezeichnung verwendet wurde. Ob der Begriff „Abmahnung“ oder „Ermahnung“, oder auch „Rüge“, „Verwarnung“, „Verweis“ ö.ä. benutzt wurde, ist nicht relevant.
Entscheidend dafür, ob es sich um eine Abmahnung im Rechtssinn handelt, ist alleine der Inhalt (Schaub in NJW 1990, 872 (873.).). Erfüllt die Erklärung alle drei oben genannten Funktionen (Rüge-, Aufforderungs- und Warnfunktion), so handelt es sich um eine Abmahnung.
Beispiel
Arbeitnehmer N erscheint mit einer erheblichen Verspätung von drei Stunden zur Arbeit. Sein Arbeitgeber G möchte ein solches Verhalten nicht kommentarlos hinnehmen und zudem für die Zukunft verhindern. Daher übergibt er N ein Schreiben, welches die Überschrift "Ermahnung" trägt. Darin beschreibt er den Vorfall und fordert N auf, zukünftig pünktlich zu erscheinen. Er gibt zudem an, dass er eine solche Pflichtverletzung nicht noch einmal hinnehmen werde, sondern dass N im Wiederholungsfall "den Inhalt und den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährde". Als N das Schreiben liest, ist er sich unsicher darüber, ob er nun eine Abmahnung im arbeitsrechtlichen Sinn bekommen hat, die eine Kündigung vorbereiten kann, oder aber lediglich eine Ermahnung ohne solche Konsequenzen.
- N hat eine wirksame Abmahnung erhalten. Die Bezeichnung als "Ermahnung" ist für diese Beurteilung nicht entscheidend. Maßgeblich ist einerseits der Wille des Erklärenden, der in der Erklärung erkennbar werden muss, andererseits müssen für die Bejahung einer Abmahnung alle drei Abmahnungs-Funktionen erfüllt sein. Vorliegend beschreibt G den Vorfall genau (Rüge-/Dokumentationsfunktion), fordert N zur Vertragstreue auf (Aufforderungsfunktion) und droht arbeitsrechtliche Konsequenzen an (Warnfunktion). Die Erklärung erfüllt daher alle Abmahnungs-Funktionen. Eine solche wollte G auch eindeutig aussprechen. N hat eine wirksame Abmahnung erhalten.
Beispiel
Arbeitnehmer N macht eine unangemessene und anzügliche Bemerkung gegenüber einer Kollegin. Als sein Arbeitgeber G ein paar Tage später davon erfährt ist er verärgert. Er lässt N in sein Büro rufen und erklärt ihm kurz und knapp, "so gehe es ja nicht" und er sei hiermit "offiziell abgemahnt". Weitere Erklärungen folgen nicht mehr. N fragt sich, ob er eine arbeitsrechtlich relevante Abmahnung erhalten hat.
- N hat keine wirksame Abmahnung erhalten. Zwar bezeichnet G seine Erklärung als solche, jedoch ist der verwendete Begriff nicht maßgeblich. Die Erklärung müsste die Abmahnungs-Funktionen erfüllen. Hier beschreibt G nicht den konkreten Vorfall, wegen dem N abgemahnt werden soll. Im Zweifelsfall weiß N in einer solchen Situation nicht einmal, worum es genau geht. Der Erklärung fehlt daher bereits die Rüge-/Dokumentationsfunktion. Auch die Aufforderungsfunktion und insbesondere die Warnfunktion sind nicht gegeben. Die Erklärung stellt keine wirksame Abmahnung da.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017
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Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt
Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem
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und berät und vertritt Betriebsräte.
Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".
Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:
- Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
- Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1
Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:
- Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit
Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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- Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
- Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
- Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
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