Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 02 – Verhältnis zu anderen Rechtsordnungen, Anwendungsbereich und relevanter Markt
2.3 Kartellrecht im Verhältnis zu anderen Rechtsordnungen
Das Kartellrecht steht sowohl in Ergänzung als auch im Spannungsverhältnis zu anderen Gesetzen. Nur in der Gesamtheit ihrer unterschiedlichen Anwendungsbereiche bieten sie einen umfassenden Schutz.
2.3.1 Das Verhältnis zum Lauterkeitsrecht (UWG)
Als weitere wichtige Komponente des Wirtschaftsrechts regelt das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb das Geschehen auf den Märkten im wirtschaftlichen Wettbewerb.
Im Gegensatz zum klassischen Kartellrecht geht es hierbei weniger um die Aufrechterhaltung der wettbewerblichen Struktur der Märkte insgesamt, sondern darum, dass wettbewerbliches Handeln ein Mindestmaß an Anständigkeit im Verhältnis zum Wettbewerb und zum Verbraucher nicht unterschreiten darf. Bei Inkrafttreten des UWG 1909 galt ein Verstoß gegen die guten Sitten als Maßstab. Heute wird stattdessen auf die Unlauterkeit abgestellt, ohne dass damit eine wesentliche inhaltliche Veränderung verbunden wäre. Ein Verhalten ist "unlauter", wenn es gegen eine vom Gesetzgeber oder den Gerichten für den Anwendungsbereich des UWG aufgestellten Verhaltensregel verstößt und damit rechtswidrig ist. Unlauterkeit ist damit kein feststehender Begriff, unter den sich ein konkretes geschäftliches Handeln subsumieren lässt. Vielmehr ist nach der jeweils dafür geltenden Verhaltensregel zu fragen. Diese Verhaltensregeln können sich im Laufe der Zeit - entsprechend den jeweiligen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anschauungen - wandeln.[1]
Anders als das Kartellrecht, das mit staatlichem Zwang durchgesetzt wird, ist das Wettbewerbsrecht (Lauterkeitsrecht) privatrechtlich ausgestaltet: Bei einem Verstoß gegen den unlauteren Wettbewerb kann der betroffene Wettbewerber bzw. ein Verband privatrechtlich klagen.
Obwohl das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb damit vor allem individualbezogen strukturiert ist, trägt es zur Ausgestaltung des Wettbewerbs auf den Märkten und damit zum Wirtschaftsgeschehen insgesamt Wesentliches bei und ist insoweit auch auf Kartellrecht und auf die Gesamtwirtschaft bezogen.[2]
2.3.2 Das Verhältnis zum Immaterialgüterrecht
Immaterialgüterrechte sind Rechte an immateriellen Gegenständen und umfassen das Patent-, Gebrauchsmuster-, Geschmacksmuster-, Marken- und Urheberrecht. Sie sind nicht greifbar und daher besonders schutzbedürftig. Zudem gewähren sie dem jeweiligen Inhaber eine absolute Rechtsposition, die dazu berechtigt, Dritte von der Nutzung des Rechts auszuschließen. Auf der einen Seite verhindern sie damit den sog. Imitations-, d.h. Nachahmungswettbewerb und fördern auf der anderen Seite gleichzeitig den Substitutionswettbewerb, also den Austauschwettbewerb, da sie einen finanziellen Anreiz zur Entwicklung neuer Produkte schaffen.
Auch das Immaterialgüterrecht ist an den Grenzen des Kartellrechts zu messen. Mögliche Fälle eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung aufgrund Immaterialgüterrechte sind beispielsweise eine erhöhte Preisstellung, die Ausschaltung technologischen Restwettbewerbs sowie die Verdrängung von Substitutionskonkurrenz.
2.3.3 Das Verhältnis zum Bürgerlichen Recht
Das Bürgerliche Recht regelt einige zivilrechtliche Folgen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht. In § 134 BGB findest sich so eine Nichtigkeitsanordnung für Verträge, die gegen das deutsche Kartellrecht verstoßen. § 139 BGB regelt darüber hinaus die Frage, ob ein Vertrag insgesamt nichtig ist, wenn ein Teilbereich desselben gegen das Wettbewerbsrecht verstößt.[3]
3 Anwendungsbereich und relevanter Markt
Das europäische und das mitgliedstaatliche, also deutsche Kartellrecht, sind durch ein Nebeneinander zweier Rechtsordnungen geprägt.
3.1 Verhältnis des europäischen zum deutschen Kartellrecht
Da das EU-Kartellrecht das deutsche Kartellrecht einschränkt, müssen die Anwendungsbereiche beider Rechtsordnungen gegeneinander abgegrenzt werden.
3.1.1 Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts
Beim Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts ist zwischen dem Kartell- und dem Missbrauchsverbot einerseits und der Zusammenschlusskontrolle andererseits zu unterscheiden.
Der Anwendungsbereich des Kartellverbots gem. Art. 101 AEUV und des Missbrauchsverbots gem. Art. 102 AEUV richtet sich nach der sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel. Danach ist das europäische Kartellrecht dann anwendbar, wenn die zu prüfende Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen den EU-Mitgliedsstaaten in einem der Erreichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteiligen Sinne beeinflussen kann. Hierzu muss es hinreichend wahrscheinlich sein, dass die Vereinbarung zu Beeinträchtigungen des Handels zwischen den EU-Mitgliedsstaaten führt.[4]
Die europäische Zusammenschlusskontrolle ist anwendbar, wenn das Zusammenschlussvorhaben von gemeinschaftsweiter Bedeutung im Sinne des Art. 1 Abs. 1-3 FKVO ist.[5]
3.1.2 Vorrang des europäischen Kartellrechts
Art. 103 Abs. 2 lit. e AEUV ermächtigt zum Erlass von Vorschriften über das Verhältnis zwischen den innerstaatlichen Rechtsvorschriften einerseits und den EU-Wettbewerbsregeln bzw. auf deren Grundlage getroffenen Bestimmungen andererseits. Durch Art. 3 EG-KartVerfVO 1/2003 wurde dieses Verhältnis näher festgelegt, nachdem über den grundsätzlichen Vorrang des EG-Rechts vor nationalem Recht bereits seit langem Konsens bestand.
Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 EG-KartVerfVO darf die Anwendung des einzelstaatlichen Wettbewerbsrechts nicht zum Verbot von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen führen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind, die aber europarechtlich erlaubt sind, d.h. den Wettbewerb im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht einschränken, die Bedingungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen oder durch eine Verordnung zur Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV erlaubt sind. Soweit mithin die Zwischenstaatlichkeitsklausel eingreift, ist ein Verbot europarechtlich zulässiger Wettbewerbsbeschränkungen nach nationalem Kartellrecht ausgeschlossen.
Greift ein europarechtliches Verbot nach Maßgabe der Art. 101, 102 AEUV ein, so ist zwar die gleichzeitige Anwendung eines nationalen Kartellverbots nach wie vor möglich. Da aber Art. 3 Abs. 1 EG-KartVerfVO in diesem Fall die vorrangige Anwendung des europäischen Verbots ausdrücklich vorschreibt, kommt insoweit einem zusätzlichen nationalen Verbot de facto keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Das nationale Verbot wird insoweit zum bloßen Etikett. Eine Erlaubnis nach nationalem Kartellrecht ist ausgeschlossen.[6]
[1] Köhler/Bornkamm, UWG, Rn. 2.15, 34. Auflage 2016.
[2] Köhler/Bornkamm, UWG, Rn. 6.11 ff., 34. Auflage 2016.
[3] Looschelders, in Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack: BGB Band 1: Allgemeiner Teil, § 138, Rn. 343, 3. Auflage 2016.
[4] Brinker, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, AEUV Artikel 101, Rn. 24-25, 3. Auflage 2012.
[5] Siehe Kapitel 7, 7.1.2.
[6] Mäger, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, § 16, Rn. 40-44, 3. Auflage 2015.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017
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Tilo Schindele, Rechtsanwalt
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