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Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 04 – Die Notwendigkeit einer Abmahnung vor der Kündigung durch den Arbeitgeber

3 Die Notwendigkeit einer Abmahnung vor der Kündigung durch den Arbeitgeber

Wie bereits dargestellt, liegt eine der Funktionen der Abmahnung darin, eine spätere Kündigung vorzubereiten. In vielen Fällen ist eine Kündigung nicht möglich, ohne zuvor eine Abmahnung ausgesprochen zu haben.

3.1 Überblick über die Kündigungssystematik

Um näher beleuchten zu können, in welchen Fällen eine Abmahnung zwingendes Erfordernis für eine Kündigung ist, soll zunächst ein kurzer Überblick über die Systematik der Kündigungen gegeben werden.
Es gilt zunächst, die "ordentliche" und die "außerordentliche" Kündigung zu unterscheiden.

3.1.1 Die ordentliche Kündigung

Der Regelfall ist die ordentliche Kündigung. Hierbei muss grundsätzlich eine Kündigungsfrist eingehalten werden. Die weiteren Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung und insbesondere, ob zuvor eine Abmahnung notwendig ist, hängen davon ab, ob das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) auf den entsprechenden Fall anwendbar ist, oder nicht. Dies hängt wiederum sowohl von der Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers, als auch von der Größe des Betriebs ab (siehe dazu näher: Unterpunkt 3.3.1.).
Im Geltungsbereich des KSchG ist für die ordentliche Kündigung immer ein Grund nötig. Dieser kann in betrieblichen Notwendigkeiten (Umstrukturierung, schlechte Auftragslage usw.), in der Person des Arbeitnehmers selbst, oder in dessen Verhalten liegen. Diese Unterfälle der ordentlichen Kündigungen bezeichnet man deshalb als betriebsbedingte, personenbedingte oder verhaltensbedingte Kündigung.
Außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG ist für eine Kündigung kein besonderer Grund nötig (Wank in: Münchener Handbuch Arbeitsrecht, § 97, Rn.1.).

3.1.2 Die außerordentliche Kündigung

Von der ordentlichen Kündigung ist die "außerordentliche" Kündigung zu unterscheiden. Deren Grundsatz ist in § 626 BGB einheitlich für alle Arbeitsverhältnisse geregelt. Besondere Vorschriften existieren darüber hinaus nur vereinzelt, beispielsweise für Berufsausbildungsverhältnisse. Durch eine außerordentliche Kündigung kann das Arbeitsverhältnis jederzeit und von jeder Partei (sowohl Arbeitgeber, als auch Arbeitnehmer) wegen eines "wichtigen Grundes" beendet werden, ohne dass eine bestimmte Kündigungsfrist eingehalten werden muss (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.522.).
Die Besonderheit der außerordentlichen Kündigung liegt darin, dass sie sich gegen jeden Arbeitnehmer richten kann. Der Weg der ordentlichen Kündigung ist bei manchen Arbeitnehmern ausgeschlossen. Dies kann beispielsweise bei langjähriger Betriebszugehörigkeit oder Erreichen einer bestimmten Altersgrenze der Fall sein, gilt aber auch für Mitglieder des Betriebsrates (gem. § 15 KSchG). Auch im Arbeitsvertrag kann individualvertraglich die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ausgeschlossen sein. Solche Arbeitnehmer werden umgangssprachlich gerne als "unkündbar" bezeichnet. Arbeitsrechtlich gesehen ist diese Bezeichnung jedoch nicht korrekt. Es wäre für den Arbeitgeber nicht tragbar, einen Arbeitnehmer in jedem Fall - etwa auch bei ganz gravierenden Pflichtverstößen und Schädigungen - weiterhin beschäftigen zu müssen. Daher ist auch gegen Arbeitnehmer, gegen die eine ordentlichen Kündigung nicht ergehen kann, eine außerordentliche Kündigung möglich (Wank in: Münchener Handbuch Arbeitsrecht, § 98, Rn.21.) - daher rührt auch die Bezeichnung als "außerordentliche" Kündigung. Wie bereits erwähnt, erfordert die außerordentliche Kündigung allerdings einen "wichtigen Grund" (§ 626 Abs.1 BGB), an den sehr hohe Anforderungen gestellt werden. Eine außerordentliche Kündigung stellt auch in der Praxis eher die Ausnahme da.
Ist eine außerordentliche Kündigung möglich, so muss keine Kündigungsfrist eingehalten werden. In der Praxis wird die außerordentliche Kündigung deshalb meistens in der Form der "außerordentlichen fristlosen Kündigung" ausgesprochen, wodurch das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet wird (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.526.). Allerdings muss die außerordentliche Kündigung nicht fristlos ergehen (Wank in: Münchener Handbuch Arbeitsrecht, § 97, Rn.1.). Der Arbeitgeber kann die außerordentliche Kündigung auch mit einer Auslauffrist für das Arbeitsverhältnis, also als "außerordentliche befristete Kündigung" aussprechen (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.526). Es wäre daher falsch, die außerordentliche Kündigung mit der fristlosen Kündigung gleichzusetzen. Die außerordentliche Kündigung bedeutet nur, dass wegen eines besonders "wichtigen Grundes" gekündigt wird und dies auch möglich ist, wenn eine ordentliche Kündigung für den betreffenden Arbeitnehmer ausgeschlossen ist. Die außerordentliche Kündigung kann fristlos ergehen, sie muss aber nicht (Wank in: Münchener Handbuch Arbeitsrecht, § 97, Rn.1). Es bleibt daher festzuhalten: Eine fristlose Kündigung ist immer eine außerordentliche - andersherum ist jedoch nicht jede außerordentliche Kündigung eine fristlose.

Beispiel
Arbeitnehmer N ist Mitglied des Betriebsrates im großen Betrieb des Arbeitgebers G. In unbeobachteten Momenten begeht N mehrere Diebstähle im Betrieb, bei denen ein ganz erheblicher finanzieller Schaden entsteht. Arbeitgeber G ist entsetzt und möchte dem N kündigen. Dieser entgegnet jedoch, er sei als Betriebsratsmitglied "unkündbar".

  • Richtig ist, dass die ordentliche Kündigung für N als Mitglied des Betriebsrats ausgeschlossen ist gem. § 15 KSchG. Dadurch soll verhindert werden, dass ein Arbeitgeber unliebsame Mitglieder des Betriebsrats einfach kündigt, wenn diese im Betriebsrat nicht nach seinen Wünschen handeln. Allerdings bedeutet das nicht, dass ein Betriebsratsmitglied völlig "unkündbar" ist und der Arbeitnehmer jedes Fehlverhalten hinnehmen muss. Auch gegen Mitglieder des Betriebsrats kann eine außerordentliche Kündigung ergehen. Allerdings ist diese eben nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt, nämlich, wenn ein besonders "wichtiger Grund" vorliegt. Ein solcher dürfte im vorliegenden Fall jedoch durch die wiederholten und extrem schädigenden Diebstähle des N gegeben sein, welche nicht nur gravierende Pflichtverstöße darstellen, sondern auch das Vertrauensverhältnis zwischen G und N unwiederbringlich zerstört haben. G kann dem N daher außerordentlich kündigen.


3.2 Erfordernis einer Abmahnung durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag

Ganz unabhängig davon, welche Art der Kündigung gewählt wird, kann eine vorherige und vergebliche Abmahnung zunächst bereits deshalb erforderlich sein, weil es sich aus besonderen Vereinbarungen ergibt. Entsprechende Regelungen finden sich teilweise in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder auch Arbeitsverträgen (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1485 ff.). Daher muss zunächst im Einzelfall geprüft werden, ob sich der Arbeitnehmer auf eine solche Vereinbarung berufen kann.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Herausgeber / Autor(-en):

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

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  • Abwicklungsverträge
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  • Kündigungsschutzansprüche
  • Abfindungen
  • Lohn- und Gehaltsansprüche
  • Befristete und unbefristete Arbeitsverträge
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  • Tantiemenvereinbarungen

und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
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  • Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
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