Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 05 – Maßnahmen
Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt
Constantin Raves
Rechtsanwalt
4.1.2 Maßnahmen
Das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV kommt bei insgesamt drei Verhaltensweisen in Betracht. Diese sind Vereinbarungen von Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und abgestimmte Verhaltensweisen.
4.1.2.1 Vereinbarungen
Art. 101 Abs. 1 AEUV wendet sich gegen "alle Vereinbarungen" zwischen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, ohne indessen den Begriff der Vereinbarung näher zu definieren. Für die Annahme einer Vereinbarung reicht es aus, wenn mehrere Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten.(Fußnote) Auszugehen ist also damit vom herkömmlichen Vertragsbegriff. Dabei kann die Willensübereinstimmung ausdrücklich, konkludent, schriftlich oder formlos zustande gekommen sein.
Hierbei wird das Verhalten aller Personen, die über die nötige Vertretungsmacht für die Beteiligung an der Vereinbarung verfügen, dem Unternehmen zugerechnet. Keine Voraussetzung für die Zurechnung ist, dass die Geschäftsführung Kenntnis von der Vereinbarung hat.(Fußnote)
Ferner spielt es für das Vorliegen einer Vereinbarung keine Rolle, wo und wann sie getroffen wurde oder welchen Zweck die beteiligten Unternehmen mit ihr verfolgen.
Von einer Vereinbarung ist auch dann auszugehen, wenn sich ein Unternehmen unter dem Druck seiner Konkurrenzen an der Vereinbarung beteiligt.
Ausreichend ist bereits die Festsetzung eines Rahmens oder Plans für eine gemeinsame Regulierung der Märkte.
Um eine Vereinbarung von der weiteren Tatbestandsvariante der abgestimmten Verhaltensweise abgrenzen zu können, ist für eine Vereinbarung allerdings notwendig, dass sie sich durch eine gewisse faktische, wirtschaftliche oder moralische Bindungswirkung für die Beteiligten auszeichnet. Als Folge werden auch sog. "gentlemen's agreements", bei denen die Beteiligten von vornherein auf eine rechtliche Verbindlichkeit der Abrede verzichten, wohl aber von einer wirtschaftlichen, moralischen oder gesellschaftlichen Bindung ausgehen, unter den Begriff der Vereinbarung gefasst.(Fußnote)
Die Beweislast für das Vorliegen einer Vereinbarung trägt in Kartellverwaltungsverfahren grundsätzlich die Kommission, wobei die Kommission in der Regel auf einen indirekten Beweis anhand von Indizien angewiesen ist. Entscheidend ist immer das Gesamtbild, das sich aufgrund der vorliegenden Dokumente und Indizien für den objektiven Betrachter ergibt.(Fußnote)
4.1.2.1.1 Einseitige Maßnahmen
Eine Vereinbarung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV ist grundsätzlich nur dann zu bejahen, wenn eine Übereinstimmung zwischen mindestens zwei rechtlich eigenständigen Unternehmen vorliegt.
Einseitige Maßnahmen, wie Empfehlungen, Warnungen oder Weisungen, von Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen sind keine Vereinbarungen. Derartige Maßnahmen sind vielmehr ebenso erlaubt wie interne Beschränkungen der Produktion oder des Absatzes, sofern nicht im Einzelfall aus sonstigen Gründen die Voraussetzungen der Art. 101 oder Art. 102 AEUV erfüllt sind.(Fußnote)
Auf dieser Vorstellung beruht z.B. die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit einseitiger Weisungen des herrschenden Unternehmens gegenüber den von ihm abhängigen Unternehmen sowie der Weisungen des Geschäftsherrn gegenüber Handelsvertretern und Kommissionären (§§ 675 Abs. 1, 665 BGB).
Die Grenze zur Vereinbarung wird bei einer einseitigen Maßnahme allerdings dann überschritten, wenn es sich um eine nur scheinbar einseitige Maßnahme handelt, diese in Wirklichkeit jedoch ein Antrag auf Abschluss einer Vereinbarung mit dem adressierten Unternehmen darstellt.(Fußnote)
Ein Bespiel für solche, nur scheinbar einseitigen Maßnahmen, sind Aktionen oder öffentliche Erklärungen eines Herstellers, die von den Händlern stillschweigend angenommen werden.(Fußnote)
4.1.2.2 Beschlüsse
Die zweite Form, gegen die sich das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV wendet, sind Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen.
Die Erweiterung des Anwendungsbereiches des Kartellverbots auf Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen hat zum Zweck, dass der Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht durch die Verlagerung der wettbewerbsbeeinträchtigen Entscheidungen in Organisationen, umgangen werden kann.(Fußnote)
Ein Beschluss ist jeder Rechtsakt, durch den eine Unternehmensvereinigung (Definition s.o.) ihren Willen bildet. Um einen umfassenden Anwendungsbereich zu gewährleisten, kommt es auch hierbei nicht auf seine Form, seine rechtliche Wirksamkeit und seine Umsetzung durch die Mitgliedsunternehmen an.(Fußnote)
Kennzeichnend ist ein nach außen zum Ausdruck gekommener Koordinierungswille zu einem bestimmten Marktverhalten.
Bloße, nach ihrem Wortlaut unverbindliche, Empfehlungen oder Rundschreiben von Unternehmensvereinigungen sind dann als Beschlüsse im Sinne der Norm zu qualifizieren, wenn bereits der soziale Druck der anderen Mitgliedsunternehmen ausreicht, um die regelmäßige Befolgung der Empfehlungen sicher zu stellen.(Fußnote)
Dasselbe gilt, wenn sich die Mitglieder tatsächlich überwiegend an die Verlautbarungen der Vereinigung halten.(Fußnote)
Beispiel:
Der „Berufsverband der Milchbauern e.V.“ empfiehlt auf einer Tagung seinen Mitgliedsunternehmen den Preis für Milch um 20 Cent pro Liter zu erhöhen.
- Wird über die Preisanhebung dann abgestimmt und somit ein gemeinsamer Koordinierungswille gebildet, liegt ein Beschluss im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV vor.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.
Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt
Constantin Raves
Rechtsanwalt
Stand: Januar 2017
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