Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 07 – Wettbewerbsbeschränkung, Bezwecken oder Bewirken der Wettbewerbsbeschränkung
Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt
Constantin Raves
Rechtsanwalt
4.1.3 Wettbewerbsbeschränkung
Die vorgenannten Maßnahmen von Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen sind nur dann verboten, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.
Der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung wird durch den EuGH als Erschaffung von Marktbedingungen definiert, die im Hinblick auf die Art der Waren oder Dienstleistungen, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen und den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht Normalbedingungen entsprechen.[]1
Der AEU-Vertrag differenziert hinsichtlich der Beschränkungen
4.1.3.1 Verhinderung
Verhinderung zwischen drei unterschiedlichen Formen der Beeinträchtigung des Wettbewerbs.
Mit Verhinderung von Wettbewerb ist das vollständige Ausschalten oder die Beseitigung des Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verstehen.
4.1.3.2 Einschränkung
Eine Einschränkung des Wettbewerbs liegt in jeder gewillkürten Beschränkung der Wettbewerbsparameter, durch welche die wirtschaftliche Handlungsfreiheit aller oder einzelner eingeschränkt wird.
4.1.3.3 Verfälschung des Wettbewerbs
Die Alternative des sog. Verfälschens des Wettbewerbs ist in der Rechtswissenschaft umstritten. So ist man sich nicht einig, ob sie lediglich eine Erscheinungsform der umfassend verstandenen Wettbewerbsbeschränkung ist oder ob ihr eine eigenständige Bedeutung zukommt. Geht man von letzterem aus, so wird die Wettbewerbsverfälschung als eine künstliche Veränderung der Wettbewerbsbedingungen definiert, die in einem Widerspruch zum System des unverfälschten Wettbewerbs steht.
4.1.4 Bezwecken oder Bewirken der Wettbewerbsbeschränkung
Die Wettbewerbsbeschränkung muss nach Art. 101 Abs. 1 AEUV der Zweck oder die Wirkung der wettbewerbsbeschränkenden Maßnahme sein.
Zweck und Wirkung der Maßnahme stellt Art. 101 Abs. 1 AEUV gleichberechtigt nebeneinander. Als Folge für die Anwendung genügt daher grundsätzlich bereits die Feststellung eines wettbewerbsbeschränkenden Zweckes der Maßnahme, ohne dass es noch zusätzlich auf die Prüfung ihrer tatsächlichen Auswirkungen auf den Markt ankäme. Die Wirkungen sind nur dann erheblich, wenn sich ein wettbewerbsbeschränkender Zweck der Maßnahme nicht feststellen lässt.[2]
Die Folge der Alternativität von Zweck und Wirkung ist besonders, dass die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV unabhängig davon ist, ob die bezweckte Wettbewerbsbeschränkung jemals versucht wurde.[3] Begründet wird diese strenge Vorgehensweise damit, dass bestimmte Formen der Koordination unternehmerischen Verhaltens bereits ihrer Natur nach schädlich sind, so dass sie immer von Art. 101 AEUV erfasst werden müssten.[4]
4.1.4.1 Zweck
Nach seinem Wortlaut reicht es für die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV aus, wenn die fragliche Maßnahme eine Wettbewerbsbeschränkung innerhalb des Marktes „bezweckt“. Zweck meint hierbei die wettbewerbsbeschränkende Zielsetzung oder Tendenz der Maßnahme und nicht so sehr die Zwecke der Beteiligten, also die von ihnen jeweils verfolgten Absichten.[5]
Zusätzlich muss die intendierte Wettbewerbsbeschränkung im Falle ihrer Verwirklichung zugleich spürbar sein.[6] Daraus folgt, dass neben dem Zweck der Maßnahme immer zumindest noch die Eignung zur Beschränkung des Wettbewerbs erforderlich ist.
Der Zweck ist anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge zu ermitteln.[7] Hierbei sind vor allem der Inhalt der fraglichen Bestimmungen und die mit ihnen verfolgten Ziele, die betroffenen Waren oder Dienstleistungen, die Struktur und die Merkmale der betroffenen Märkte sowie zusätzlich – soweit feststellbar – die wirklichen Absichten der Beteiligten maßgeblich.[8]
Oftmals sind Abreden per se verboten, da sie nach ihrer Art nach eine wettbewerbsbeschränkende Tendenz, das heißt ein Potential zur Entfaltung negativer Marktwirkungen in sich tragen. Dies wird vor allem bei den sog. Kern- oder „hardcore“-Beschränkungen, insbesondere also bei den „klassischen Kartellen“ angenommen.[9]
4.1.4.2 Wirkung
Art. 101 Abs. 1 AEUV stellt als Merkmal des Verbotes neben den wettbewerbsbeschränkenden Zweck einer Maßnahme gleichberechtigt noch ihre entsprechende Wirkung. Wirkung meint damit die Auswirkungen der jeweiligen Maßnahmen, also die Auswirkungen des Eingriffes in die wirtschaftliche Handlungs- oder Bewegungsfreiheit Dritter.
Die Wirkung wird durch eine umfassende Berücksichtigung des konkreten Rahmens, des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs, der Maßnahme sowie aufgrund der Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, aber auch an Hand der tatsächlichen Bedingungen und Strukturen auf dem betroffenen Markt festgestellt.[10]
Neben den tatsächlichen Auswirkungen werden auch potentielle Auswirkungen miteinbezogen, indem der beschränkte Wettbewerb einem Vergleich mit dem hypothetischen Wettbewerb – also einem solchen ohne die jeweilige Wettbewerbsbeschränkung – unterzogen wird.[11]
[1] EuGH Slg. 1998, I-3111 ff., Rn. 87 – Deere.
[2] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 4 Rn. 69.
[3] EuGH WuW/E Eu-R 2479, 2493 ff. Tz. 141 ff. – E.ON Ruhrgas.
[4] EuGH WuW/E Eu-R 2638 Tz. 36 = NZKart 2013, 111 (112) – Expedia.
[5] EuGH WuW/E Eu-R 1509, 1510 Tz. 14 ff. – BIDS; Entscheidung v. 8.7.2009, WuW/E EU-V 1457/1465 – E.ON/GDF.
[6] EuGH Slg. 1989, 2117 (2185 ff.) – Belasco.
[7] Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV vom 27.4.2004, Tz. 22.
[8] EuGH WuW/E Eu-R 2696, 2700 f. Tz. 34 ff. = NZKart 2013, 241 – Allianz.
[9] Kommission, Leitlinien zu Art. 81 Abs. 3 EGV, ABl. 2004 Nr. C 101/97, Tz. 23.
[10] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 4 Rn. 72.
[11] EuG Slg. 2006, II-1234 Tz. 66 ff. = WuW/E EU-R 1174 (117) – O2.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.
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Tilo Schindele
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Constantin Raves
Rechtsanwalt
Stand: Januar 2017
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