Die Verantwortung des GmbH-Geschäftsführers im Umweltstrafrecht – Teil 11 – Rechtfertigender Notstand, Strafbares Unterlassen
Herausgeber / Autor(-en):
Harald Brennecke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
2.3.7 Rechtfertigender Notstand
Wenn ein bestimmtes Verhalten einen Straftatbestand erfüllt, wird der Täter bestraft, wenn er rechtswidrig gehandelt hat. Der Täter handelt nicht rechtswidrig, wenn seinem Verhalten ein rechtfertigender Umstand iSd. § 34 StGB zugrunde lag. Ist dies der Fall, verliert das Verhalten zwar nicht seine Tatbestandsmäßigkeit; es ist jedoch nicht mehr rechtswidrig (vgl. Momsen/Savic, BeckOK-StGB, § 34 Rn. 1).
Nicht alles, was der Handelnde als schützenwertes Interesse ansieht, wird vom rechtfertigenden Notstand abgedeckt. Denn nach § 34 StGB reicht es nicht aus, dass lediglich einem schützenswerten Interesse eine nicht anders abwendbare Gefahr droht, wegen der man das andere Rechtsgut beeinträchtigt. Vielmehr muss eine Abwägung dieser beiden Interessen ergeben, dass das geschützte Interesse das beeinträchtigte Interesse (der Umwelt) wesentlich überwiegt und dabei das eingesetzte Tatmittel zur Gefahrenabwendung angemessen ist. Speziell im Umweltstrafrecht wendet die Rechtsprechung § 34 StGB nur auf unvorhersehbare Not- und Katastrophenfälle an. Nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt, ist ein Umwelteingriff, um den Wegfall von Arbeitsplätzen zu verhindern (vgl. Witteck, BeckOK-StGB § 324 Rn. 34).
Beispiel
Eine Gruppe extremistischer Umweltschützer der „Green-LOVE e. V.“ brechen in den frühen Morgenstunden in den Produktionsbereich für Flüssigkunststoff der Hokey-Gum-GmbH ein und legen Feuer. Als der Wachmann W und die zur Frühschicht antretenden Arbeiter die Flammen bemerken, verständigt W sofort die Feuerwehr und den Geschäftsführer G. Nachdem W dem G zutreffend schilderte, dass die Flammen bis zur Ankunft der Feuerwehr den 800 Liter-Tank mit Kunststoffverdünner weiter erhitzen und zur Explosion bringen könnten, wies der G den W an, den Tank schnellstmöglich hinauszufahren und den Tankinhalt neben der Fabrikhalle in die für den Anbau am Vortag ausgehobene Baugrube zu kippen. Beide waren sich im Klaren, dass der stark erhitze Tank bereits hochgiftige Gase absonderte, die ohne das Wegkippen beim Personal und bei den 3.000 Bewohnern des Nachbarortes zu tödlichen Vergiftungen geführt hätten. Gleichzeitig erkannten beide die Möglichkeit, dass das Erdreich stark verunreinigt wird und dies zu nicht mehr behebbaren Veränderungen im Erdreich führen könnte. Knapp 200 qm des Bodenreiches wurden durch den Kunststoffverdünner stark verunreinigt, der allerdings nicht rückstandslos beseitigt werden konnten.
- In diesem Fall kollidiert das Interesse der Bewohner an ihrer Gesundheit und ihrem Leben mit dem Interesse am Schutz des Bodens als wesentliche Lebensgrundlage. Dabei gehen das Interesse der Arbeiter und der Bewohner an ihrer Gesundheit und an ihrem Leben dem Schutz des Bodens vor. Zudem ist das Auskippen in die Erdgrube als Maßnahme zur Gefahrabwendung nicht unverhältnismäßig. Mangels milderer und gleicheffektiver Alternativen war das Auskippen des Verdünners in die Baugrube angemessen. Das Verhalten des G ist daher durch § 34 StGB gerechtfertigt, so dass sich G nicht strafbar macht.
2.3.8 Strafbares Unterlassen
Straftaten können nicht nur durch aktives Tun verwirklich werden. Ein bloßes Nichtstun kann nach § 13 StGB strafbar, wenn eine Rechtspflicht zur aktiven Handlung besteht (vgl. Heuchemer, in: BeckOK-StGB, § 13 Rn. 1, 3).
Es gibt unechte und echte Unterlassungsdelikte:
- Die unechten Unterlassungsdelikte sind keine gesonderten Straftatbestände. Es handelt sich hierbei um die „normalen“ Straftatbestände des StGB, die lediglich in ihrem Deliktsaufbau modifiziert sind, damit ein Nichtstun einem aktiven Tun iSd. § 13 StGB gleichsteht.
- Die echten Unterlassungsdelikte stellen gesonderte Straftatbestände dar, die nicht durch aktives Tun, sondern nur durch ein Unterlassen begangen werden können, wie z.B. die unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB (vgl. Kühl, JA 2014, S. 507-509).
Ein unechtes Unterlassungsdelikt kann nur der Täter verwirklichen, der eine Garantenstellung innehat. Die Garantenstellung wird durch die Rechtspflicht zum Tätigwerden charakterisiert. Das deutsche Strafrecht kennt drei große Fallgruppen, die eine Rechtspflicht zum Tätigwerden festlegen (vgl. Kühl, JA 2014, S. 507, 508, 510):
- Beschützergaranten: dem Täter obliegt eine besondere Schutz- und Obhutspflicht für ein bestimmtes Rechtsgut
- Überwachungsgaranten: Verantwortlichkeit des Täters für eine bestimmte Gefahrenquelle
- Garantenstellung kraft Ingerenz: den Täter trifft eine Einstandspflicht, weil er ein gefahrbegründendes Vorverhalten an den Tag gelegt hat
Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit und der Schuld existieren zusätzliche Rechtsfertigungs- und Entschuldigungsgründe, die es bei strafbaren aktivem Tun nicht gibt:
- Rechtfertigende Pflichtenkollision: Der Täter handelt nicht rechtswidrig, wenn ihn zwei Handlungspflichten gleichzeitig treffen, von denen er die eine nur auf Kosten der anderen erfüllen kann. Die Rechtsordnung verlangt nichts Unmögliches.
- Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens: Der Täter handelt nicht schuldhaft, wenn er infolge der Erfüllung seiner Handlungspflicht seine eigenen billigenswerten Interessen gefährden oder verletzen würde (vgl. Kühl, JA 2014, S. 507, 511).
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Verantwortung des GmbH-Geschäftsführers im Umweltstrafrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, und Alexander Becker, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-79-3.
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Harald Brennecke
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Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
Stand: Januar 2017
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Rechtsanwalt Harald Brennecke ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Insolvenzrecht.
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Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät und begleitet er Sanierungen und betreut Geschäftsführer und Gesellschafter bei Firmeninsolvenzen. Er unterstützt Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für sie bestehenden Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Wahrung der Unternehmenswerte. Er unterstützt bei der Suche nach Investoren und Wagniskapitalgebern (venture capital), begleitet Verhandlungen und erstellt Investorenverträge.
Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht veröffentlicht:
- "Das Recht der GmbH", Verlag Mittelstand und Recht, 2015, ISBN 978-3-939384-33-5
- "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
- "Der Unternehmenskauf - Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-18-2
- "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8
- "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-26-7
- "Die Limited in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-34-2
- "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8
- "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6
- "Gesellschafterinteressen in der Publikums-KG: Auskunftsrechte der Kommanditisten einer Publikums-KG gegen Treuhänder“, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-28-1
- "Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden", Harald Brennecke und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2
- "Arztpraxis – Kauf und Übergang", Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0
Folgende Veröffentlichungen von Rechtsanwalt Brennecke sind in Vorbereitung:
- Die Due Diligence – Rechtliche Prüfung beim Unternehmenskauf
- Die Liquidation der Kapitalgesellschaft
- Die Unternehmergesellschaft (UG)
Harald Brennecke ist Dozent für Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:
- Gesellschaftsrecht für Steuerberater und Unternehmensberater – Grundlagen des Gesellschaftsrechts
- Gesellschaftsvertragsgestaltung – Grundlagen und Risiken
- Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – kleine Chance, großes Risiko
- Welche Gesellschaftsform ist die Richtige? Vor- und Nachteile der Rechtsformen für Unternehmer
- Geschäftsführerhaftung – Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften; das letzte große Abenteuer der westlichen Zivilisation
- Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißt das eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
- Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
- Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
- Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
- Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters
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