Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 17 – Anhalten zur Vertragstreue, Darstellung der Folgen
4.2.6.2 Anhalten zur Vertragstreue (Aufforderungsfunktion)
Es genügt jedoch nicht, die Vertragsverletzung lediglich zu beschreiben. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer zusätzlich ausdrücklich darauf hinweisen, dass dieses Verhalten eine Pflichtverletzung darstellt und ihn eindringlich dazu auffordern, sich künftig vertragstreu zu verhalten (BAG 10.11.1988 - 2 AZR 215/88 - AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr.3 = NZA 1989, 633; LAG Hamm 30.05.1996 - 4 Sa 2342/95 = NZA 1997, 1056.).
Dieses Erfordernis rührt daher, dass das vorrangige Ziel der Abmahnung das Erreichen der Vertragstreue ist. Damit der Arbeitnehmer die Chance hat, sich in Zukunft entsprechend zu verhalten, muss ihm der Arbeitgeber klar mitteilen, welches Verhalten er sich wünscht. Er muss demnach detailliert darstellen, wie das vertragsgemäße Verhalten - insbesondere im Vergleich zum vorgefallenen Pflichtverstoß - auszusehen hat (Regh in: Das arbeitsrechtliche Mandat, § 6, Rn.405.). Diese genaue Beschreibung des ordnungsgemäßen, erwünschten Verhaltens ist nur in den seltenen Fällen überflüssig und nicht notwendig, in denen es sich bereits aus dem konkreten Vorwurf selbst ergibt.
Beispiel
Wegen einer unentschuldigten Verspätung spricht Arbeitgeber G gegenüber seinem Arbeitnehmer N eine Abmahnung aus. Er fordert ihn in diesem Rahmen auf, sich in Zukunft "vertragstreu" zu verhalten. N fragt sich, ob die Abmahnung wirksam ist.
- Die Abmahnung ist wirksam. Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer zwar beschreiben, wie das erwünschte vertragstreue Verhalten auszusehen hat. Bei dem Pflichtverstoß in Gestalt einer Verspätung ist jedoch völlig offensichtlich, was unter "vertragstreuem Verhalten" zu verstehen ist, nämlich Pünktlichkeit. Das ist für N auch ohne nähere Beschreibung klar. Somit kann die Erklärung des G ihre Aufforderungsfunktion erfüllen. Die Abmahnung ist wirksam.
Allerdings ist es aus Gründen der Rechtssicherheit in jedem Fall empfehlenswert, das gewünschte und vertragsmäßige Verhalten noch einmal genau zu beschreiben, selbst wenn es aus eigener Sicht selbstverständlich ist.
4.2.6.3 Darstellung der Folgen (Warnfunktion)
Eine Abmahnung muss zudem stets eine Warnfunktion erfüllen. Dazu muss der Arbeitnehmer ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass er bei erneutem Fehlverhalten seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Hierfür reicht es aus, dem Arbeitnehmer unmissverständlich klarzumachen, dass bei einem weiteren Verstoß "der Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist" - er also durchaus auch mit einer Kündigung rechnen muss. Nicht ausreichend ist hingegen beispielsweise die Aussage, man werde im Widerholungsfall "arbeitsrechtliche Schritte einleiten" (Schaller in: DStR 1997, 203 (206).), denn hier muss der Arbeitnehmer nicht zwangsläufig an eine Kündigung denken, sondern kann auch von lediglich anderen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie einer Ermahnung, Versetzung o.ä. ausgehen.
Es muss dem Arbeitnehmer deutlich klargemacht werden, dass nicht nur irgendwelche Maßnahmen, sondern eben auch ganz konkret eine Kündigung droht. Dies kann mit der Formulierung, dass bei einem weiteren Verstoß "der Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist", am besten erreicht werden.
Ein genauerer Hinweis auf eine bestimmte arbeitsrechtliche Maßnahme (insbesondere die Kündigung) ist nicht nötig (Schaub in: NZA 1997, 1185 (1185); Schaller in: DStR 1997, 203 (206).). Im Gegenteil kann aus einer genauen Bezeichnung sogar eine ungewollte Einschränkung erwachsen. Nennt der Arbeitgeber in der Abmahnung eine bestimmte Kündigungsart als Konsequenz bei einem neuen Pflichtverstoß, und entscheidet er sich später doch für eine andere Kündigungsart, so kann er sich möglicherweise in deren Rahmen nicht auf die Abmahnung berufen (Regh in: Das arbeitsrechtliche Mandat, § 6, Rn.407.). Er hat sich ungewollt einer Selbstbindung an die von ihm in der Abmahnung gewählte Folge unterworfen.
Beispiel
Wegen eines Pflichtverstoßes spricht Arbeitgeber G gegenüber dem Arbeitnehmer N eine Abmahnung aus. Darin droht er für den Fall eines weiteren Verstoßes ausdrücklich die ordentliche Kündigung an. Als es tatsächlich zu einem neuen Verstoß durch N kommt, möchte G dem N gerne kündigen. Er stellt nun jedoch fest, dass N aufgrund eines entsprechenden Tarifvertrags nicht ordentlich kündbar ist. G fragt sich, ob er gegenüber N eine außerordentliche Kündigung aussprechen kann.
- Grundsätzlich wäre eine außerordentliche Kündigung denkbar. Allerdings ist auch in diesem Rahmen eine Abmahnung nötig. In der Abmahnung, die G dem N erteilt hat, wurde jedoch nur die ordentliche Kündigung angedroht. G kann sich daher nicht auf diese Abmahnung berufen, denn in ihr wurde nur mit einer weniger gravierenden Folge gedroht, als G nun anstrebt. Die Abmahnung entfaltet keine Wirkung mit Blick auf die angestrebte fristlose Kündigung. Da es also an einer wirksamen Abmahnung (zumindest mit Blick auf diese besondere Kündigungsalternative) fehlt, ist eine wirksame fristlose Kündigung nicht möglich.
Beispiel
Wegen eines Pflichtverstoßes spricht Arbeitgeber G gegenüber dem Arbeitnehmer N eine Abmahnung aus. Darin droht er für den Fall eines weiteren Verstoßes mit "arbeitsrechtlichen Konsequenzen". Ist die Abmahnung wirksam?
- Damit die Abmahnung wirksam ist, muss sie eine Warnfunktion entfalten. Laut der bisherigen Rechtsprechung des BAG reicht auch die recht weite Formulierung "arbeitsrechtliche Konsequenzen" aus, um dem Arbeitnehmer klar zu machen, dass er im Wiederholungsfall mit allen denkbaren arbeitsrechtlichen Konsequenzen, bis hin zur Kündigung, rechnen muss. Die Abmahnung ist nach dieser Rechtsprechung wirksam. (Vergleiche hierzu auch: BAG 19.04.2012 - 2 AZR 258/11 = NZA-RR 2012, 567.)
Da die Rechtsprechung diesbezüglich jedoch (noch) nicht einheitlich ist, kann ein bloß pauschaler Hinweis auf drohende "arbeitsrechtliche Konsequenzen" (wie im Beispiel oben) nicht uneingeschränkt empfohlen werden. Zwar ist das BAG in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass die Warnfunktion durch eine solche Formulierung erfüllt sei (BAG 15.07.1992 - 7 AZR 466/91 = AP BGB § 611 Abmahnung Nr.9.), jedoch wird in letzter Zeit teilweise daran gezweifelt, ob der Arbeitnehmer dadurch bereits tatsächlich mit einer Kündigung rechnet, und nicht etwa nur mit einer Versetzung o.ä. (Pauly in NZA 1995, 449 (452); Kleinebrink, Abmahnung, Rn.341.). Wie die Rechtsprechung zu dieser Problematik zukünftig aussehen wird, ist unklar. Daher sei an dieser Stelle von einem lediglich pauschalen Verweis auf "arbeitsrechtliche Konsequenzen" abgeraten. Da jedoch auch die genaue Bezeichnung einer besonderen Folge zu einer ungewollten Selbstbindung führen kann (vgl. oben), sollte ein sicherer Mittelweg gewählt werden. Diesen bietet die Formulierung, dass im Wiederholungsfall "Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sind". Hiermit legt sich der Arbeitnehmer nicht auf eine bestimmte arbeitsrechtliche Konsequenz fest, lässt jedoch die Möglichkeit einer Kündigung klar erkennen.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017
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Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt
Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem
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Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".
Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:
- Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
- Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1
Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:
- Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit
Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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