Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 23 – Sonderfälle der Abmahnung durch den Arbeitgeber
6 Sonderfälle der Abmahnung durch den Arbeitgeber
6.1 Abmahnung unter besonderen Umstände
6.1.1 Vorweggenommene Abmahnung
Es ist möglich, eine Abmahnung bereits vor Begehung des Pflichtverstoßes durch den Arbeitgeber auszusprechen. Der Arbeitnehmer wird quasi "im Voraus" darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein beschriebenes pflichtwidriges Verhalten das Arbeitsverhältnis bereits bei einmaligem Vorkommen gefährdet (Fußnote). Man spricht hierbei von einer "vorweggenommenen Abmahnung". Eine solche muss nicht zwangsläufig persönlich adressiert sein, sodass sie beispielsweise am schwarzen Brett ausgehängt werden kann (Fußnote.). Ebenso gut kann sie jedoch auch in den individuellen Arbeitsvertrag aufgenommen werden (Fußnote).
Beispiel
Arbeitgeber G möchte in seinem Betrieb klare Regelungen aufstellen und hängt daher am schwarzen Brett gut sichtbar für alle ein Schreiben aus, in dem es heißt: "Alle Mitarbeiter sind nach § 5 Abs.1 S.1 Entgeltfortzahlungsgesetz (Fußnote) dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit, sowie deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. Daher fordere ich hiermit alle Mitarbeiter auf, sich in einem solchen Fall möglichst noch vor Schichtbeginn, spätestens aber in den ersten Stunden der Schicht bei der Personalabteilung zu melden (Fußnote). Sollte die Arbeitsunfähigkeit länger dauern, als zunächst angegeben, muss dies ebenfalls auf diese Weise mitgeteilt werden. Bei Verstoß eines Mitarbeiters gegen diese Anzeigepflicht sind der Inhalt und der Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet." Tatsächlich erscheint Arbeitnehmer N im nächsten Monat krankheitsbedingt zwei Tage lang nicht zur Arbeit, ohne dies entsprechend anzuzeigen. G möchte N aus diesem Grund kündigen.
- G kann N kündigen. Es liegt eine wirksame, vorweggenommene Abmahnung vor. Diese konnte alle Funktionen einer Abmahnung entfalten, da sie nicht nur den Pflichtverstoß und das gewünschte vertragsgemäße Verhalten hinreichend genau beschreibt (Fußnote), sondern auch deutlich machte, dass im Wiederholungsfall Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sind (Fußnote).
In der Praxis ist eine solche vorweggenommene Abmahnung jedoch nicht für jede Art von Pflichtverletzungen gleich gut geeignet. Genau wie bei der Abmahnung nach einem Pflichtverstoß ist es nämlich für die Rüge- und Dokumentationsfunktion erforderlich, dass der Verstoß genau beschrieben wird. Beispielsweise bei einer Schlechtleistung wird es kaum möglich sein, alle möglichen Pflichtverletzungen hinreichend genau schon im Voraus zu benennen (Fußnote).
6.1.2 (Fußnote) Kündigung als Abmahnung
Wird eine Kündigung ausgesprochen, die sich als unwirksam erweist, so kann sie möglicherweise zumindest als Abmahnung gelten. Auch wenn die Erklärung das Ziel der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erreicht hat, kann der Arbeitnehmer doch klar erkennen, dass das genannte Verhalten vom Arbeitnehmer als vertragswidrig und als Grund für eine Kündigung angesehen wird (Fußnote). Eine unwirksame Kündigung kann somit als Abmahnung wirken. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn die Kündigung unwirksam ist, weil der Pflichtverstoß des Arbeitnehmers nicht bewiesen werden kann. Auch eine Abmahnung setzt eine nachweisbare Pflichtverletzung voraus, sodass in solchen Fällen weder eine Kündigung, noch eine Abmahnung möglich ist (Fußnote).
In jedem Fall ist es empfehlenswert, den Arbeitnehmer schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, dass die unwirksame bzw. zurückgenommene Kündigung als Abmahnung wirken soll, um jede Rechtsunsicherheit auszuräumen (Fußnote).
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017
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Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt
Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem
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- Kündigungsschutzansprüche
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und berät und vertritt Betriebsräte.
Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".
Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:
- Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
- Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1
Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:
- Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit
Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:
- Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
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- Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
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