Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 23 – Von der EU-Kommission verhängte Geldbußen und Zwangsgelder, Bußgeld und Zwangsgeld nach GWB, Vorteilsabschöpfung, Beweislast
Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt
Constantin Raves
Rechtsanwalt
6.1.3 Von der EU-Kommission verhängte Geldbußen und Zwangsgelder
Die Art. 23, 24 EG-KartVerfVO sehen bei Kartellverstößen Geldbußen und Zwangsgelder vor. Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen, wobei die Obergrenze bei 10 % der Gesamtumsätze der betroffenen Unternehmen im vorangegangenen Geschäftsjahr liegt.[1]
Insoweit wurde etwa gegen VW wegen der Behinderung von Reimporten eine Geldbuße von ca. 90 Mio. Euro verhängt[2], gegen Microsoft im Jahre 2004 wegen Missbrauchs seines Quasi-Monopols 497 Mio. Euro[3], gegen fünf Hersteller von synthetischen Kautschuk wegen Preisabsprachen und Aufteilung des Kundenkreises 2006 insgesamt 519 Mio. Euro[4], gegen Aufzughersteller fast 1 Mrd. Euro[5] und gegen vier Autoglashersteller fast 1,4 Mrd. Euro.[6]
Die Kommission ist bestrebt, die Unternehmen mit möglichst hohen Bußgeldern abzuschrecken.[7] 2013 verhängt sie gegen acht internationale Finanzinstitute wegen Teilnahme an Zinskartellen in der Derivate-Branche Geldbußen in Höhe von insgesamt 1,73 Mrd. Euro.
Bei Kartellverstößen von Tochtergesellschaften kommt die Festsetzung von Bußgeld auch gegen die Muttergesellschaft in Betracht, wenn die Tochter trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Verhalten nicht autonom bestimmt.[8]
Große Bedeutung hat die Privilegierung von Kronzeugen, denen je nach Sachlage eine Geldbuße erlassen oder ermäßigt werden kann (sog. Leniency-Praxis).[9] Die Regelung ist so beliebt, dass die Kommission mit der Bearbeitung entsprechender Selbstanzeigen kaum Schritt halten kann.[10]
Die Privilegierung schützt allerdings nicht von der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen seitens anderer Unternehmen. Die Durchsetzung derartiger Ansprüche wird im Falle des Einschreitens der Kommission durch die sog. follow-on-Klage (vgl. § 33 IV GWB) eventuell sogar noch erleichtert. Danach haben kartellbehördliche Entscheidungen im Voraus von gerichtlichen Verfahren Tatbestandswirkung, die zur Folge hat, dass die Gerichte an die "Feststellung des Verstoßes" gebunden ist. Eine weitergehende Bindung, vor allem hinsichtlich des Schadensumfangs ordnet § 33 Abs. 4 GWB jedoch nicht an.
Neben Bußgeldern könnten Zwangsgelder zur Erzwingung kartellrechtskonformen Verhaltens verhängt werden. Im Fall Microsoft soll die Kommission mit Zwangsgeldern bis zu 2 Mio. Euro pro Tag des Nichtvollzugs verhängter Auflagen gedroht haben.[11]
6.1.4 Bußgeld und Zwangsgeld nach GWB
§ 81 GWB sieht im Falle eines schuldhaften Verstoßes gegen die Art. 101, 102 AEUV sowie gegen die Vorschriften des GWB bzw. kartellbehördliche Verfügungen ein Bußgeld vor, das von der Kartellbehörde festgesetzt werden kann. Der Bußgeldrahmen beläuft sich auf bis zu einer Million Euro und gegenüber Unternehmen darüber hinaus bis zu 10 % des Umsatzes des vorausgegangenen Jahres.[12] Auch gegen natürliche Personen, z.B. gegen Vorstandsmitglieder, kann bei deren schuldhaftem Verstoß nach deutschem Recht ein Bußgeld verhängt werden.
Die vom BKartA bislang festgesetzten Geldbußen haben eine Höhe von fast 150 Mio. Euro wegen eines Kartellverstoßes im Jahre 2003 die Gesamtsumme von etwa 717 Mio. Euro erreicht.
Praktische Bedeutung haben Bußgelder vor allem bei sog. Hardcore-Kartellen, d.h. bei vorsätzlichen Kartellverstößen, die meist nur dann aufgedeckt werden können, wenn ein Insider aussagt. Die Kronzeugen-Privilegierung ist insoweit praktisch wichtig und wird auch vom BKartA praktiziert.[13] Sie schützt allerdings auch hierbei vor privatrechtlichen Schadensersatzansprüchen.
§ 86a GWB ermächtigt die Kartellbehörde, zur Durchsetzung ihrer Anordnungen Zwangsgelder zu verhängen.
6.1.5 Vorteilsabschöpfung gemäß § 34 GWB
Subsidiär, d.h. gegenüber der Zahlung von Schadensersatz oder Bußgeld nachrangig ist gem. § 34 GWB die Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde. Der insoweit zusätzlich eröffneten Verbandsklage auf Zahlung an den Bundeshaushalt (§ 34a GWB) kommt kaum praktische Bedeutung zu.
6.1.6 Beweislast
Bei der Anwendung nationalen Rechts gilt entsprechendes wie im europäischen Recht. Bedeutsam ist insoweit die Beweislastregelung des Art. 2 EG-KartVerfVO für den Gesamtbereich der Anwendung europäischen Kartellrechts: In allen einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Verfahren zur Anwendung der Art. 101, 102 AEUV trägt nämlich die Beweislast für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101, 102 AEUV die Partei oder Behörde, die diesen Vorwurf erhebt. Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegen, obliegt den Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, die sich auf diese Bestimmung berufen.[14]
[1] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 13 Rn. 15 ff.
[2] EuGH Slg. 2003, S. I-0918.
[3] FAZ vom 7.7.2006, S.12.
[4] FAZ vom 30.11.2006, S. 15.
[5] FAZ vom 22.2.2007, S. 9.
[6] FAZ vom 13.11.2008, S. 17.
[7] Kommission, Leitlinien vom 1.9.2006, ABl. C 210, S. 2.
[8] EuGH, Urt. v. 11.7.2013, NZKart 2013, 367.
[9] Albrecht, WRP 2007, 417.
[10] Soltész, WuW 2006, 867.
[11] FAZ vom 10.7.2006, S. 15.
[12] BGH NJW 2013, 1972 ff. Rn. 52, 55 – Grauzementkartell.
[13] Ohle/Albrecht, WRP 2006, 866.
[14] Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2014, § 33 GWB, Rn. 82-84.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.
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Constantin Raves
Rechtsanwalt
Stand: Januar 2017
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