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Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage – Teil 23 – Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen, bei der Pflegezeit und sonstigen Freistellungen

8.2.2.3 Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen

Die kurzfristige Arbeitsverhinderung setzt weiter die Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen voraus.

8.2.2.3.1 Naher Angehöriger

Es muss sich zunächst um einen nahen Angehörigen handeln. Dies richtet sich nach § 7 III PflegeZG. Dementsprechend gelten als nahe Angehörige:

  • Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, Stiefeltern,
  • Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, Geschwister, Schwägerinnen und Schwäger,
  • Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, die Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwiegerkinder und Enkelkinder.

8.2.2.3.2 Pflegebedürftig

Mithin müsste der nahe Angehörige pflegebedürftig i.S.d. § 7 IV 1 PflegeZG sein. Pflegebedürftig ist nach § 14 I SGB XI wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maß Hilfe bedarf. Bis zum 31.12.2016 ist der Pflegebedarf erheblich, sofern die Voraussetzungen für Pflegestufe I erfüllt sind. Ab dem 01.01.2017 sind die Voraussetzungen für den neuen Pflegegrad 1 zu erfüllen.[1]
Eine Untersuchung dessen ist durchaus zeitaufwendig, weshalb nach § 7 IV S. 2 PflegeZG für die kurzzeitige Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG es genügt, dass der nahe Angehörige voraussichtlich pflegebedürftig ist. Diesbezüglich genügt kein subjektiver Maßstab, vielmehr ist eine objektive Einschätzung z.B. durch ein ärztliches Attest notwendig.[2] Es sind somit Tatsachen erforderlich, die den Eintritt der Pflegebedürftigkeit als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen.[3] Der Arbeitgeber kann nach § 2 II 2 PflegeZG einen Nachweis über die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen sowie die Erforderlichkeit i.S.e. ärztlichen Bescheinigung verlangen.

8.2.2.4 Umfang der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung

Die kurzzeitige Arbeitsverhinderung umfasst nach § 2 I PflegeZG eine Dauer von „bis zu zehn Arbeitstagen“. Um eine Benachteiligung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu verhindern, sodass auf betriebsübliche Arbeitstage abgestellt wird.[4] Deshalb findet bei Teilzeitbeschäftigten die weniger als fünf Tage die Woche arbeiten, eine anteilige Kürzung des Anspruches statt.[5] Mithin kann eine Abwesenheit von weniger als zehn Arbeitstagen ausreichend sein.[6]
Während der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung erhält der Arbeitnehmer gem. § 2 III 1 PflegeZG keine Entgeltfortzahlung soweit sich ein solcher nicht aus einer anderen Vorschrift oder einer Vereinbarung ergibt.

8.2.2.5 Zeitraum des besonderen Kündigungsschutzes

Bei einer kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG beginnt der besondere Kündigungsschutz i.S.d. § 5 PflegeZG mit dem Zugang der Ankündigung des Arbeitnehmers, von seinem Recht auf die kurzzeitige Arbeitsverhinderung Gebrauch zu machen. Dies umfasst jedoch lediglich einen Beginn des besonderen Kündigungsschutzes höchstens 12 Wochen vor dem angekündigten Beginn.[7] Im Hinblick dessen wäre jedoch der akute Bedarfsfall nicht gegeben. Insofern kann die Ankündigung nicht mehr als zehn Arbeitstage vor Beginn der begehrten Freistellung zugehen.[8]
Die einseitige, zugangsbedürftige Erklärung des Beschäftigten hat unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern i.S.v. § 121 I 1 BGB, zu erfolgen. Die Erklärung hat sowohl die Angabe der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsverhinderung, als auch den Grund sowie die Identität des pflegebedürftigen nahen Angehörigen zu enthalten. Hierbei ist keine bestimmte Form erforderlich.[9]
Der besondere Kündigungsschutz endet mit Ablauf des letzten Tages der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung.[10]

8.2.3 Bei der Pflegezeit und sonstigen Freistellungen

Des Weiteren besteht der gesetzliche Sonderkündigungsschutz bei einer Inanspruchnahme der Pflegezeit oder sonstigen Freistellungen nach § 3 PflegeZG. Nach § 3 PflegeZG ist ein Beschäftigter ganz oder teilweise von der Arbeit freizustellen, wenn er einen pflegebedürftigen, nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegt, einen minderjährigen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher oder außerhäuslicher Umgebung betreut oder wenn dieser einen nahen Angehörigen in der letzten Lebensphase begleitet. Die Pflegezeit kann nicht gegenüber Arbeitgebern mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten geltend gemacht werden, vgl. § 3 I S. 2 PflegeZG. Eine bestimmte Dauer der Betriebs- oder Unternehmenszugehörigkeit ist genau wie bei einer kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG nicht erforderlich.[11]


[1] Vgl. zu diesem Absatz Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 8.

[2] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 9.

[3] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 20.

[4] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 14.

[5] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 15.

[6] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 18.

[7] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 16.

[8] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 16.

[9] Vgl. zu diesem Absatz Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 21f.

[10] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 16.

[11] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 17.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Paulina Zoe Linke, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-76-2.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Herausgeber / Autor(-en):

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
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  • Lohn- und Gehaltsansprüche
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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
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