Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 28 – Geltungsbereich, Grundsätze für die Beurteilung von Zusammenschlüssen, Ministererlaubnis
Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt
Constantin Raves
Rechtsanwalt
7.2.3 Geltungsbereich (§ 35 GWB)
Die §§ 35 GWB regeln den Geltungsbereich der deutschen Zusammenschlusskontrolle. Dieser ist dann eröffnet, wenn die in § 35 GWB genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen.
Gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 GWB muss der weltweite Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen mehr als 500 Mio. Euro betragen. Der deutsche Umsatzerlös von mindestens einem beteiligten Unternehmen muss hierbei mehr als 25 Mio. Euro betragen und der deutsche Umsatzerlös von mindestens eines weiteren beteiligten Unternehmens mehr als 5 Mio. Euro betragen.[1]
Sind vorgenannte Voraussetzungen erfüllt, so ist der Geltungsbereich der deutschen Fusionskontrolle dennoch nicht eröffnet, wenn ein sog. Bagatellfall im Sinne des § 35 Abs. 2 S. 1 GWB vorliegt. Ein solcher Bagatellfall liegt vor, wenn die beteiligten Unternehmen nicht im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB abhängig sind und im letzten Geschäftsjahr weltweite Umsatzerlöse von weniger als 10 Mio. Euro erzielt haben. Mit dieser Einschränkung werden Zusammenschlüsse von kleineren Unternehmen, die keinem Konzern angehören, erleichtert.[2]
7.2.4 Grundsätze für die Beurteilung von Zusammenschlüssen (§ 36 GWB)
Im Gleichlauf zum europäischen Fusionskontrollverfahren regelt § 36 Abs. 1 GWB, dass ein Zusammenschluss zu untersagen ist, wenn durch ihn wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde, insbesondere, wenn zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt. Hinsichtlich der Prüfung der Marktbeherrschung ist insoweit auf die Wertungen des § 18 GWB zurück zu greifen. Danach liegt eine Marktbeherrschung vor, wenn ein Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerbliche Leistung auf dem Markt ohne Wettbewerber ist, keinem wesentlichen Wettbewerbs ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat.
Auch die gesetzliche Vermutung des § 18 Abs. 4 GWB ist im Fusionskontrollverfahren anwendbar, sodass eine Marktbeherrschung ab einem Marktanteil von 40 % vermutet wird. Ungeachtet dieser Vermutung prüft das Bundeskartellamt entsprechend dem Amtsermittlungsgrundsatz umfassend alle Marktumstände und entscheidet insbesondere anhand der in § 18 Abs. 3 aufgezählten Kriterien, ob eine marktbeherrschende Stellung gegeben ist.
7.2.4.1 Abwägungsklausel und Sanierungsfunktion
Zusammenschlussvorhaben, die an sich den Untersagungstatbestand erfüllen, müssen dennoch freigegeben werden, wenn sie zu Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen führen und diese Verbesserungen die Behinderung des Wettbewerbs überwiegen. Als Verbesserung können nur Änderungen der Marktstruktur angesehen werden. Dies können auch Verbesserungen auf dritten Märkten sein, z.B. die Milderung einer marktbeherrschenden Stellung auf Drittmärkten. Weitere Voraussetzung ist, dass die Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen kausal aus dem Zusammenschluss folgen. Die Nachweispflicht hierfür liegt bei den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen. Bei der Beurteilung steht dem Bundeskartellamt damit ein weiter Abwägungsspielraum zur Verfügung. In der Praxis können Zweifel des Bundeskartellamtes am Überwiegen der Verbesserungen auch durch das Angebot von Zusagen ausgeräumt werden.[3]
Ein Zusammenschlussvorhaben kann darüber hinaus auch genehmigt werden, wenn die Voraussetzungen einer sog. Sanierungsfunktion vorliegen. Da diese Voraussetzungen, dem Ausnahmefall der Sanierungsfunktion im europäischen Fusionskontrollverfahren gleichen, kann auf diese verwiesen werden.[4]
7.2.4.2 Bagatellmarktklausel, § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB
Nach der sog. Bagatellmarktklausel des § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB ist ein Zusammenschlussvorhaben trotz einer zu erwartenden Wettbewerbsbehinderung freizugeben, wenn der Zusammenschluss Märkte betrifft, auf denen seit mindestens fünf Jahren Produkte angeboten werden und auf denen im letzten Kalenderjahr weniger als 15 Mio. Euro umgesetzt wurden. Hierdurch soll verhindert werden, dass auch gesamtwirtschaftlich unbedeutende Märkte zu einer Untersagung führen.[5]
7.2.5 Ministererlaubnis (§ 42 GWB)
Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie kann gem. § 42 Abs. 1 S. 1 GWB einen vom BKartA bereits untersagten Zusammenschluss auf Antrag erlauben, wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung infolge des Zusammenschlusses von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.
Die Ministererlaubnis wird nur auf Antrag der beteiligten Unternehmen erteilt und kann mit Auflagen und Bedingungen verbunden werden sowie später widerrufen werden, falls sie auf unrichtigen Angaben beruht, arglistig herbeigeführt wurde oder die beteiligten Unternehmen einer Auflage zuwiderhandeln.[6]
Eine Erlaubnis wegen hochrangiger Ziele der Energiepolitik kann erteilt werden bei:
- langfristige Sicherung der Mineralölversorgung Deutschlands,
- Überwindung von Strukturproblemen bei deutschen Raffinerien,
- Erschließung neuer Erdgasbezugsquellen
Eine Erlaubnis wegen Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen ist möglich, wenn der Zusammenschluss Arbeitsplätze in strukturschwachen Gebieten erhält, die sonst unwiderruflich verloren gingen.
[1] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 32 Rn. 1-9a.
[2] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 32 Rn. 12-14.
[3] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 34 Rn. 44-48.
[4] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 34 Rn. 49-53.
[5] Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2014, § 36 GWB, Rn. 748.
[6] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 35 Rn. 1-3.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.
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Tilo Schindele
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Constantin Raves
Rechtsanwalt
Stand: Januar 2017
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