Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 32 – Anzeige gegen den Arbeitgeber, Fälschen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Verhalten während der Arbeitsunfähigkeit, Arbeitsunterbrechung ohne rechtfertigenden Grund, Arbeitsverweigerung, Arbeitszei
10.6 Anzeige gegen den Arbeitgeber
Stellt ein Arbeitnehmer Strafanzeige gegen seinen Arbeitgeber, so kann dies einen Grund für eine ordentliche (verhaltensbedingte) oder gar außerordentliche Kündigung darstellen.
Kommt der Arbeitnehmer lediglich seinen staatsbürgerlichen Pflichten nach, so kann dies weder Grund für eine Abmahnung, noch für eine Kündigung sein. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer auf Aufforderung hin eine Zeugenaussage bei der Staatanwaltschaft tätigt, aber auch bei "freiwilligen" Anzeigen durch den Arbeitnehmer selbst. Die Möglichkeit einer solchen Anzeige gegen seinen Arbeitgeber steht jedem Arbeitnehmer zu, ohne dass er arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten muss (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.632.).
Allerdings darf dieses Anzeigerecht nur zur Wahrnehmung berechtigter Interessen genutzt werden. Der Arbeitnehmer darf es nicht missbrauchen. Tut er dies doch, verletzt er seine vertraglichen Rücksichtnahme- und Schutzpflichten. Je nach Schwere des Verstoßes ist zunächst eine Abmahnung zu erteilen mit der Androhung einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung, oder aber sogar eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung möglich. Insbesondere kann die Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung möglich sein, wenn der Arbeitnehmer wissentlich oder fahrlässig wahrheitswidrige Angaben gemacht hat, die Anzeige in Schädigungsabsicht gestellt wurde, oder zuvor kein Versuch unternommen wurde, die Differenzen innerbetrieblich beizulegen (BAG 03.07.2003 - 2 AZR 235/02 = AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr.45; LAG Hamm 28.11.2003 - 10 Sa 1036/03 = NZA-RR 2004, 475; Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1570.).
10.7 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Fälschen der…
Fälscht der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, so ist regelmäßig die außerordentliche, fristlose Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung gerechtfertigt (Beckerle, Die Abmahnung, S. 40; LAG Bremen 15.02.1985 - 1 Sa 196/84 = BB 1985, 1129.).
10.8 Arbeitsunfähigkeit, Verhalten während der…
Siehe: Genesungswidriges Verhalten, Unterpunkt 4.29.
10.9 Arbeitsunterbrechung ohne rechtfertigenden Grund
Unterbricht der Arbeitnehmer ungerechtfertigt die Arbeit, so ist zunächst eine Abmahnung auszusprechen, bevor im Wiederholungsfall eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung ergehen kann (LAG Düsseldorf 24.06.2009 - 12 Sa 425/09.). Etwas Anderes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer nicht nur die Arbeit unterbricht, sondern zugleich einen Arbeitszeitbetrug (siehe dazu näher: Unterpunkt 4.11.) begeht, indem er z.B. Zeiterfassungsgeräte manipuliert o.ä. um die Unterbrechungen zu vertuschen (LAG Hamm 17.03.2011 8 Sa 1854/10.).
10.10 Arbeitsverweigerung
Eine sogenannte "Arbeitsverweigerung" liegt vor, wenn der Arbeitnehmer ungerechtfertigt die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringt (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1528.). Dies gilt einerseits, wenn der Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeit komplett verweigert, andererseits beispielsweise aber auch, wenn er sich berechtigten Anordnungen seines Arbeitgebers widersetzt, oder er dessen Direktionsrecht oder das seiner unmittelbaren Vorgesetzten missachtet (Beckerle, Die Abmahnung, S.40.). Eine solche Arbeitsverweigerung stellt einen Kündigungsgrund da. Es kommt zumindest eine ordentliche, bei beharrlicher Verweigerung jedoch regelmäßig sogar eine außerordentliche Kündigung in Betracht (BAG 21.11.1996 - 2 AZR 357/95 = NJW 1997, 2195.). Es ist jedoch in beiden Fällen zunächst eine erfolglose Abmahnung notwendig, damit der Arbeitnehmer die Gelegenheit hat, seine Verweigerungshaltung aufzugeben (BAG 29.08.2013 - 2 AZR 273/12 = NZA 2014, 533.).
10.11 Arbeitszeitbetrug/Arbeitszeitmanipulation
Der Arbeitnehmer hat die Pflicht, seinem Arbeitgeber gegenüber seine geleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren (z.B. Ausstempeln für die Pausen). Tut er dies nicht und spiegelt er geleistete Arbeitszeit vor oder erschleicht sich Arbeitsbefreiungen, so verletzt er seine vertraglichen Pflichten. In den meisten Fällen kann daraufhin auch ohne vorherige Abmahnung eine (sogar außerordentliche) Kündigung ausgesprochen werden (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.681.). Dies liegt daran, dass sich der Arbeitnehmer in einem solchen Fall offensichtlich selbst darüber im Klaren sein muss, dass dieser "Arbeitszeitbetrug" gegen den Willen des Arbeitgebers und vertragswidrig ist. Dass er sein Arbeitsverhältnis damit gefährdet ist ihm bewusst, sodass es keiner Warnung durch eine Abmahnung mehr bedarf. (BAG 07.12.2006 - 2 AZR 182/06 = AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr.56; Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1557.).
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017
Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.
Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt
Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem
- Aufhebungsverträge
- Abwicklungsverträge
- Kündigungen
- Kündigungsschutzansprüche
- Abfindungen
- Lohn- und Gehaltsansprüche
- Befristete und unbefristete Arbeitsverträge
- Betriebsvereinbarungen
- Tantiemenvereinbarungen
und berät und vertritt Betriebsräte.
Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".
Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:
- Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
- Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1
Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:
- Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit
Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:
- Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
- Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
- Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
- Minijobs rechtssicher gestalten
Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Tilo Schindele unter:
Mail: schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0711-896601-24