Logo Brennecke & FASP Group

Arbeitsrechtliche Abmahnung – Teil 41 – Relevante Pflichtverstöße XI

10.57 Urlaubsantritt, eigenmächtiger

Im eigenmächtigen Urlaubsantritt eines Arbeitnehmers liegt eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen (Haupt-)Pflichten, welche aufgrund ihrer Schwere sogar "wichtiger Grund" für eine außerordentliche Kündigung sein kann. Der Arbeitnehmer hat kein Recht darauf, sich selbst zu beurlauben (Beckerle, Die Abmahnung, S.99.). Regelmäßig ist eine Abmahnung entbehrlich, jedoch hängt dies im Einzelfall von den Unterredungen der Vertragsparteien vor dem eigenmächtigen Urlaubsantritt ab. Hat der Arbeitnehmer beispielsweise den Urlaubsantrag des Arbeitnehmers abgelehnt und dabei nicht nur auf betriebliche Gründe hingewiesen, sondern auch klargemacht, dass er einen unberechtigten Urlaubsantritt nicht ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen lassen wird, so ist dem Arbeitnehmer deutlich klar, dass er damit seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Eine Abmahnung ist in einem solchen Fall entbehrlich. Nimmt der Arbeitgeber die Ankündigung des Arbeitnehmers, er würde "so oder so" in den Urlaub gehen ohne jeden Kommentar hin, so kann im Einzelfall zweifelhaft sein, ob der Arbeitnehmer mit einer Kündigung rechnen musste, sodass ggf. doch eine Abmahnung notwendig ist (Beckerle, Die Abmahnung, S.100.; BAG 22.01.1998 - 2 ABR 19/97 = AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 38.).

10.58 Verdacht strafbarer Handlungen

Normalerweise kommt eine Abmahnung vor einer Kündigung wegen des dringenden Verdachts einer strafbaren Handlung ("Verdachtskündigung") nicht in Betracht. Das liegt schon bereits daran, dass eine Abmahnung immer einen tatsächlich beweisbaren Pflichtverstoß voraussetzen und ein Verdacht eben nicht genügt (Beckerle, Die Abmahnung, S.103.).
Allerdings ist in der Rechtsprechung ein Wandel zu erwarten, da das BAG angekündigt hat, bei der Verdachtskündigung zukünftig nicht mehr kategorisch von der Entbehrlichkeit der Abmahnung auszugehen (BAG 21.02.2002 - AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr.43.). Welche konkreten Auswirkungen diese Ankündigung jedoch für das Abmahnungserfordernis bei Verdacht einer Straftat haben wird, ist noch nicht absehbar.

10.59 Vollmachtüberschreitung

Überschreitet ein Arbeitnehmer seine Vollmachtbefugnisse und kommt es zu einer gravierenden Vermögensgefährdung auf Seiten des Arbeitgebers, so kann die Abmahnung vor einer Kündigung entbehrlich sein (BAG 11.03.1999 - 2 AZR 51/98.).

10.60 Vorzeitiger Verlassen des Arbeitsplatzes

Als Reaktion auf ein rechtswidriges vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes muss in der Regel zunächst eine Abmahnung folgen. Der Arbeitnehmer verletzt damit die Pflicht, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Erst wenn die Abmahnung keinen Erfolg zeigt, ist eine (ordentliche, verhaltensbedingte) Kündigung möglich (LAG Köln, Urt. v. 25. 3. 2011 ? 4 Sa 1422/10 = NZA-RR 2011, 638.).

10.61 Wahrheitspflicht, Verletzung der…

Bei der Beantwortung der Fragen des Personalfragebogens im Zuge der Einstellung trifft den Arbeitnehmer eine Wahrheitspflicht. Allerdings gilt diese nur für Fragen, die auch zulässigerweise gestellt werden dürfen (z.B. die Frage nach bestehender Schwangerschaft ist in den allermeisten Fällen nicht zulässig und darf daher auch wahrheitswidrig beantwortet werden). Die wahrheitswidrige Beantwortung einer zulässigen Frage stellt eine Pflichtverletzung da. Lediglich in den seltenen Fällen, in denen das Vertrauen durch die wahrheitswidrige Auskunft unwiederbringlich so schwer gestört ist, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist, kann eine Abmahnung auch entbehrlich sein (Beckerle, Die Abmahnung, S.104.).

10.62 Wettbewerbsverbot, Verstoß gegen…

Ein Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot, welches für die Dauer des Arbeitsverhältnisses besteht, kann sogar einen "wichtiger Grund" für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Eine vorherige Abmahnung ist entbehrlich. Lediglich in den - in der Praxis seltenen - Fällen, in denen der Arbeitnehmer aus nachvollziehbaren Gründen die Vertragswidrigkeit seines Handelns nicht erkennen konnte, bedarf es einer Abmahnung (BAG 16.08.1990 - 2 AZR 113/90 = AP BGB § 611 Treuepflichten Nr.10; Beckerle, Die Abmahnung, S.105.).

10.63 Whistleblowing, falsche Reaktion

Erstattet ein Arbeitnehmer Anzeige gegen seinen Arbeitgeber bei einer Strafverfolgungsbehörde oder einer anderen zuständigen Stelle ("Whistleblowing"), so ist eine Pflichtverletzung nur anzunehmen, wenn er dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben macht (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1607.). Ein Kündigungsgrund kann eine Anzeige jedoch unabhängig von der Nachweisbarkeit der angezeigten Verfehlung und deren Strafbarkeit sein, wenn es sich um eine unverhältnismäßige Reaktion ("Überreaktion") des Arbeitnehmers auf ein Verhalten des Arbeitgebers handelt (BAG 27.09.2012 - 2 AZR 646/11 = AP BGB § 626 Nr.240.). Eine Abmahnung vor einer möglichen Kündigung ist entbehrlich, wenn es sich um eine besonders schwere Pflichtverletzung handelt (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1607.).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.


Herausgeber / Autor(-en):

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

  • Aufhebungsverträge
  • Abwicklungsverträge
  • Kündigungen
  • Kündigungsschutzansprüche
  • Abfindungen
  • Lohn- und Gehaltsansprüche
  • Befristete und unbefristete Arbeitsverträge
  • Betriebsvereinbarungen
  • Tantiemenvereinbarungen

und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
  • Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
  • Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
  • Minijobs rechtssicher gestalten

Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Tilo Schindele unter:  
Mail: schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0711-896601-24

 


Mehr Beiträge zum Thema finden Sie unter:

RechtsinfosArbeitsrecht