Preisabsprachen – Teil 04 – Tatbestandsmerkmale II
2.2.1.1.3.6 Der Staat
Soweit eine Wettbewerbsbeschränkung vom Staat ausgeht, muss zunächst untersucht werden, ob es sich um eine hoheitliche oder unternehmerische Tätigkeit handelt; eine staatliche Tätigkeit rein hoheitlicher Natur fällt nicht unter das Kartellrecht.
Die Verfolgung eines öffentlichen Zwecks qualifiziert die Handlung noch nicht als hoheitlich. Die staatliche Handlung ist dann als unternehmerisch im Sinne des Kartellrechts anzusehen, soweit der Staat seine Aufgaben nach kommerziellen Grundsätzen wahrnimmt und so in den Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern tritt. Dann kann er sich zumindest nicht auf sein hoheitliches Tätigwerden berufen und fällt als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts auch in dessen Anwendungsbereich.[1] Weiterhin muss unterschieden werden, ob der Staat als Anbieter oder Nachfrager von Waren und Dienstleistungen auftritt.
Ist der Staat als Anbieter von Waren und Dienstleistungen auf dem Markt tätig, z.B. als Betreiber von Verkehrs- und Versorgungsbetrieben, agiert er als Unternehmen, sofern es sich dabei um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt.
Der Staat tritt gleichzeitig auch als Nachfrager von Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskräften am Markt auf. Die staatliche Nachfrage wird von der - nicht unkritisch gesehenen - Rechtsprechung des EuGHs[2] dann als nicht unternehmerische Tätigkeit angesehen, wenn der spätere Verwendungszweck der nachgefragten Güter einem nichtwirtschaftlichen Zweck dienen soll.
In der deutschen Rechtsprechung und Literatur wird hingegen auch die Nachfragetätigkeit des Staates als unternehmerische Tätigkeit qualifiziert, sodass der Staat als Nachfrager unter den Anwendungsbereich des GWB fällt. Das in der 7. GWB-Novelle verfolgte Ziel der Angleichung an das europäische Recht zwingt nicht dazu, den Unternehmensbegriff einheitlich auszulegen.[3]
Sofern sich der Staat zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben der Hilfe privater Dritter bedient, verstoßen jegliche Maßnahmen der Mitgliedsstaaten, durch welche eine Kartellabsprache vorgeschrieben, erleichtert oder verstärkt wird, gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB.[4]
2.2.1.1.3.7 Sozialversicherungsträger
Einen Grenzfall bei der Abgrenzung zwischen hoheitlichem oder wirtschaftlichem Tätigwerden bilden die Sozialversicherungsträger. Diese können je nach Blickwinkel als Einrichtung der staatlichen Daseinsvorsorge oder als Unternehmen verstanden werden. Die Rechtsprechung hat keine klaren Kriterien für die Abgrenzung der Anwendbarkeit des Kartellrechts auf Sozialversicherungsträger erarbeitet, sondern stellt bei einer Gesamtbetrachtung des Versicherungssystems auf die charakteristischen Merkmale des Tätigwerdens ab. Nach der europäischen Rechtsprechung sind deutsche Krankenkassen, ebenso wie gesetzliche Rentenversicherungssysteme, nicht als Unternehmen anzusehen, wenn sie lediglich eine rein soziale Aufgabe verfolgen und keinen Einfluss auf die Höhe der Beiträge, deren Verwendung und die Bestimmung des Leistungsumfangs haben.[5]
2.2.1.1.3.8 Private Verbraucher
Der private Verbraucher nimmt zwar als Nachfrager am Geschäftsverkehr teil, aber Tätigkeiten die lediglich dem privaten Verbrauch dienen, werden von dem Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht erfasst.[6] Bieten Privatpersonen hingegen Waren und Dienstleistungen auf dem Markt an, werden auch sie als Unternehmen angesehen; auf die Regelmäßigkeit und den Geschäftsumfang kommt es dabei nicht an. Bereits gelegentliche wirtschaftliche Tätigkeiten führen dazu, dass die Unternehmenseigenschaft bejaht wird.[7] Privatpersonen, die z.B. Musikunterricht erteilen[8] oder Gewerberäume vermieten[9], werden von dem Anwendungsbereich des Kartellrechts erfasst.
Etwas unscharf sind die Grenzen bei den privaten Vermögensverwaltern. Dient die Vermögensverwaltung lediglich zum Zweck der Kapitalanlage, ist keine Unternehmenseigenschaft anzunehmen. Anders stellt es sich dar, wenn durch die Tätigkeit Einfluss auf wirtschaftliche Betätigung genommen wird (gesellschaftsrechtliche Beteiligung). Dann ist dies als unternehmerisches Handeln zu qualifizieren.[10]
2.2.1.1.3.9 Handelsvertreter
Nicht unumstritten ist die Einordnung des Handelsvertreters. Im Ergebnis wird man Handelsvertreter als Unternehmen ansehen müssen, da sie als selbstständige Kaufleute auf dem Markt bezüglich der Dienstleistungen mit anderen Absatzmittlern in Wettbewerb treten. Eine Befreiung von der Unternehmenseigenschaft wird nur vorgenommen, wenn der Handelsvertreter kein Risiko bezüglich des Absatzgeschäftes trägt.[11]
2.2.1.2 Unternehmensvereinigung
Neben Unternehmen fallen auch Unternehmensvereinigungen in den Adressatenkreis des deutschen und europäischen Kartellrechts. Der Begriff der Unternehmensvereinigung ist ebenfalls weit auszulegen.
Definition: Eine Unternehmensvereinigung ist der „Zusammenschluss mehrerer Unternehmen (im Sinne der Wettbewerbsregeln), dessen Zweck darin besteht, die Interessen seiner Mitglieder wahrzunehmen. Darunter fällt jedes verbandsmäßige Unternehmen, unabhängig von der Rechtsform und der Art der Gründung“.[12]
Voraussetzung des Begriffs ist neben einem gewissen Maß an Organisation[13] auch der gemeinsame Zweck, das Interesse der Mitglieder wahrzunehmen.
Unternehmensvereinigungen sind auch dann Adressaten des Kartellrechts, wenn sie nicht wirtschaftlich tätig werden. Die Unternehmensqualität der Mitglieder ist für die Adressatenstellung ausreichend. Soweit die Unternehmensvereinigung jedoch einen eigenen wirtschaftlichen Zweck verfolgt, ohne dass die Wahrung der Mitgliederinteressen im Vordergrund stehen, gilt sie auch als Unternehmen.[14]
Unter dem Begriff der Unternehmensvereinigung fallen Wirtschaftsverbände, Berufsorganisationen, Arbeitgeberverbände, Kammern der freien Berufe (z.B. Rechtsanwaltskammern), sowie Sportverbände (z.B. FIFA oder DFB), sofern die Mitglieder Unternehmen dieser Organisationen sind. Auch Vereinigungen von Unternehmensvereinigungen, wie Dachverbände, zählen zu Unternehmensvereinigungen.[15]
[1] Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Auflage, S. 53, Rn.118 f.
[2] EuGH v. 11.07.2006 – C-205/03, Slg. 2006, I-6295 Tz. 26 FENIN/Kommission; EuGH v. 26.03.2009 – Rs. C-113/07, Slg. 2009, I-2207 Tz. 102 – SELEX.
[3] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 33. Rn. 29 f.
[4] Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Auflage, S. 56, Rn. 27.
[5] EuGH v. 16.3.2004 – Slg 2004, I-2493 Tz. 47 ff. – AOK Bundesverband
[6] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 34. Rn. 33 f.
[7] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 35. Rn. 33.
[8] BGH 23.10.1979 WuW/E BGH 1661, 1663 „Berliner Musikschule“.
[9] OLG Düsseldorf 7.12.1979 WuW/E OLG 1793 „Vergütungsabrede“.
[10] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 36. Rn. 36.
[11] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 160, Rn. 22.
[12] Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Auflage, S. 61, Rn. 43; Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 167, Rn. 38.
[13] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 49. Rn. 77.
[14] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 167, Rn. 38.
[15] Grave/Nyberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kommentar, Art. 101 Abs. 1 AEUV, S. 330, Rn. 209.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Preisabsprachen im Kartellrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Laura Macht, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-87-8.
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018
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