Int. Vertragsrecht – Teil 05 – Freie Rechtswahl
3.3 Internationale Abkommen
Das Verhältnis zu anderen internationalen Übereinkommen wird in Art. 25 Rom I-VO geregelt. Gem. Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO schränkt die Verordnung nicht die Wirkung anderer internationaler Abkommen ein, die für die Mitgliedsstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Rom I-VO bestanden haben. Das bedeutet, dass Kollisionsnormen, die in älteren internationalen Staatenverträgen geregelt wurden Vorrang vor den Regelungen der Rom I-VO genießen.(Fußnote) Besonders im Bereich des internationalen Kauf- und Transportrechts existieren bereits durch Staatenvertrag geregelte einheitliche Rechtsgrundlagen:
- Das UN-Kaufrecht für den Internationalen Warenkauf von 1980, (CISG, auch "Wiener Kaufrecht" genannt),
- Das UNIDROIT-Übereinkommen über das internationale Factoring von 1988,
- Das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr von 1956 (CMR),
- Das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr von 1980 (COTIF),
- Das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt v. 22.6.2001 (CMNI),
- Das Montrealer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr von 1999.
Diese Abkommen wurden von Deutschland ratifiziert und müssen im Fall einer Vertragskollision somit von deutschen Gerichten vorrangig beachtet werden.
Beispiel
Ein deutsches und ein kanadisches Unternehmen mit Niederlassung in den jeweiligen Staaten schließen im März 2018 einen Kaufvertrag über die Lieferung von 30 t Ahornsirup. Kann ein deutsches Gericht im Streitfall die Rom I-VO anwenden um das einschlägige Recht zu ermitteln?
- Bei dem vorliegenden Vertrag handelt es sich um einen Kaufvertrag im Bereich der Zivil- und Handelssachen, der das Recht verschiedener Staaten berührt (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO). Deutschland ist Mitgliedsstaat der Rom I-VO. Dies trifft zwar für Kanada nicht zu. Gem. Art. 2 Abs. 4 Rom I-VO genügt es für die Anwendbarkeit der Verordnung vor den Gerichten der Mitgliedsstaaten aber bereits, wenn eine der betroffenen Vertragsparteien aus einem Mitgliedsstaat der Rom I-VO kommt. Der Abschluss des Vertrags fällt in den zeitlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO. Der Anwendungsbereich der Rom I-VO ist also grundsätzlich eröffnet.
- Fraglich ist aber, ob die Rom I-VO von einer durch Staatenvertrag geregelten Rechtsgrundlage verdrängt wird. Infrage kommt bei einem grenzüberschreitenden Kaufvertrag die Anwendung des UN-Kaufrechts (CISG). Gem. Art. 1 CISG gilt das UN-Kaufrecht für Warenkaufverträge, die zwischen Unternehmern geschlossen werden, die ihre Niederlassung in zwei verschiedenen Vertragsstaaten des CISG haben. Die Parteien haben ihre Niederlassung in Kanada und Deutschland. Beide Staaten haben das CISG ratifiziert. Bei dem Vertrag handelt es sich um einen Kaufvertrag, Ahornsirup stellt eine Ware iSd CISG dar. Der Vertrag fällt somit in den Anwendungsbereich der CISG.
- Durch die Anwendbarkeit der CISG genießt das UN-Kaufrecht gem. Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO Vorrang vor der Rom I-VO. Das deutsche Gericht kann daher nicht die Rom I-VO anwenden.
Gegenbeispiel
Ein deutsches und ein englisches Unternehmen mit Niederlassung in den jeweiligen Staaten schließen einen Kaufvertrag über die Lieferung von 30 t Honig. Anwendbarkeit der Rom I-VO?
- Grundsätzlich liegen zwischen den Parteien die gleichen Voraussetzungen vor wie im ersten Beispiel. Großbritannien hat das CISG jedoch nicht ratifiziert, wodurch seine Anwendbarkeit auf einen Kaufvertrag an dem ein englisches Unternehmen beteiligt ist ausgeschlossen wird. Daher ist auf den Vertrag sowohl vor deutschen als auch vor britischen Gerichten die Rom I-VO anzuwenden.
4 Prinzip der freien Rechtswahl
4.1 Grundsätzliches
Im deutschen Vertragsrecht sind die Parteien bei der Gestaltung des Vertragsinhalts grundsätzlich nicht an die durch das BGB vorgegebenen Regeln gebunden, sondern können auch davon abweichende Regelungen treffen, sofern diese nicht gegen zwingende Vorschriften des geltenden Rechts, gesetzliche Verbote oder die guten Sitten verstoßen (Grundsatz der Privatautonomie).(Fußnote)
Dieser Grundsatz der Privatautonomie wurde von der Rom I-VO als einer der Eckpfeiler des internationalen Vertragsrechts übernommen.(Fußnote) Entsprechend legt Art. 3 Rom I-VO fest, dass Vertragsparteien selbst entscheiden können, welches Recht auf ihren Vertrag Anwendung findet.(Fußnote) Haben sich die Parteien auf das auf den Vertrag anwendbare Rechtsordnung geeinigt, so ist diese mit Ausnahme ihrer eigenen Kollisionsnormen (diese werden von der Rom I-VO überlagert) vollständig anzuwenden.
Grundsätzlich sind die Parteien in der Wahl des anwendbaren Rechts frei, der Sachverhalt auf dem der Vertrag beruht braucht weder in einem räumlichen noch in einem inhaltlichen Verhältnis zu dem gewählten Recht stehen.(Fußnote)
Beispiel 1
Ein tunesischer Verbraucher bestellt bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmen eine Schwarzwälder Kuckucksuhr. Sie vereinbaren für diesen Vertrag die Geltung von kanadischem Recht.
Beispiel 2
Ein deutsches und ein türkisches Unternehmen einigen sich auf die Anwendung des Rechts der britischen Insel Man für einen Time-Sharing Vertrag auf Gran Canaria.(Fußnote)
- Gem. Art. 3 Rom I-VO genießen die Parteien Privatautonomie in Hinblick auf die Wahl der für den Vertrag geltenden Rechtsordnung. In beiden Fällen ist die Rechtswahl daher zulässig.
Auch braucht das Gericht vor dem der Fall verhandelt wird (Gerichtsstand) nicht in dem Land zu liegen, dessen Rechtsordnung auf den Vertrag Anwendung findet.(Fußnote)
In der Praxis sollten kleine und mittelständische Unternehmen die Rechtsordnung eines Drittlandes regelmäßig nur dann in Betracht ziehen, wenn dieses Ähnlichkeiten mit dem eigenen Rechtssystem hat, die Sprache ausreichend verstanden wird und die anwaltlichen Transaktionskosten bekannt und angemessen sind.(Fußnote)
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018
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Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart
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