Preisabsprachen - Teil 06 - Wettbewerbsbeschränkung, Spürbarkeit
4.2.3 Wettbewerbsbeschränkung
Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen sind als solche nicht wettbewerbsschädigend. Sie fallen erst unter die Verbotsnorm des Kartellrechts, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Die Maßnahme muss also zu einer Beschränkung der Handlungsfreiheit führen.
Definition: Eine Wettbewerbsbeschränkung ist die Einschränkung der wettbewerblichen Handlungsfreiheit wenigstens einer Partei.(Fußnote)
Alle drei Begriffe fallen unter den Oberbegriff der Wettbewerbsbeschränkung, sodass keine Abgrenzung zwischen den Begriffen vorgenommen werden muss. Art. 101 Abs. 1 und § 1 GWB schützen sowohl den aktuellen als auch den potentiellen Wettbewerb vor Beschränkungen.
4.2.3.1 Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkung
Art. 101 Abs. 1 und § 1 GWB unterscheiden generell nicht zwischen horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen. Trotzdem müssen die Unterschiede in der kartellrechtlichen Beurteilung Berücksichtigung finden. Generell gilt, dass vertikale Beschränkungen mit weniger Nachteilen verbunden sind als horizontale und Effizienzgewinne ermöglichen. Für die Differenzierung zwischen horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen wird auf die Kapitel 3.2 und 3.3 verwiesen.
4.2.3.2 Bezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen
Die vorgenommene Maßnahme muss die Wettbewerbsbeschränkung entweder bezwecken oder bewirken.
Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen sind schon ihrer Natur nach schädlich für den Wettbewerb; darunter fallen vor allem Kernbeschränkungen aber auch vertikale Preisbindungen. Um die Wettbewerbsbeschränkung festzustellen, ist es nicht erforderlich im Einzelnen die Auswirkungen auf dem Markt zu untersuchen;(Fußnote) es genügt das Potential negativer Auswirkungen.
Bei bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen kommt es ausschließlich auf die tatsächliche Auswirkung der Maßnahme an. Ob eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung besteht, wird anhand der fiktiven Wettbewerbsverhältnisse, die ohne die Maßnahme bestünden, geprüft (Als-ob-Wettbewerb).(Fußnote)
4.2.4 Spürbarkeit
Von dem Kartellverbot sollen nur diejenigen Maßnahmen erfasst werden, von denen auch eine Marktbeeinflussung ausgeht. Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal setzen Art. 101 AEUV und § 1 GWB die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Von dem Kartellverbot sollen daher Fälle, bei denen die Wettbewerbsbeschränkung nur zu geringen Beeinträchtigungen auf dem relevanten Markt führt, nicht erfasst werden. Man spricht auch von sogenannten Bagatellkartellen.(Fußnote)
Definition: Eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung liegt vor, wenn die Wettbewerbsbeschränkung zumindest geeignet ist, eine merkliche Auswirkung auf dem Markt zu bewirken.(Fußnote)
Eine konkrete Auswirkung der Wettbewerbsbeschränkung ist nicht Voraussetzung. Es genügt auch eine Eignung der Wettbewerbsbeschränkung.
Als Maßstab für die Beurteilung der Spürbarkeit wird die hypothetische Situation ohne die fragliche Wettbewerbsbeschränkung herangezogen. Das Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit ist dann zu bejahen, wenn sich der Handel ohne die in Frage stehende Maßnahme wesentlich anders entwickelt hätte.(Fußnote)
Die Frage nach der Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung ist im Einzelfall zu beantworten. Bei der Beurteilung der Spürbarkeit sind insbesondere die Marktstellung der Beteiligten, die Qualität und die Art der Wettbewerbsbeschränkung zu berücksichtigen.
4.2.4.1 Spürbarkeit im europäischen Kartellrecht
Im europäischen Kartellrecht bezieht sich die Spürbarkeit sowohl auf die Wettbewerbsbeschränkung, als auch auf die zwischenstaatliche Handelsbeeinträchtigung. Die Kommission trifft eine klare Unterscheidung, indem sich ihre Bekanntmachungen und Leitlinien auf unterschiedliche Begrifflichkeiten beziehen. Während sich die De-minimis-Bekanntmachung(Fußnote) auf die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung beschränkt, bezieht sich die Leitlinie zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels auf die Spürbarkeit der Handelsbeeinträchtigung(Fußnote).
Hier soll jedoch zunächst nur auf die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung eingegangen werden (für die Spürbarkeit der Handelsbeeinträchtigung siehe Kapitel 4.2.5). Für die Bestimmung eines Spürbarkeitskriteriums kann auf die De-minimis-Bekanntmachung der Kommission zurückgegriffen werden. Die Bekanntmachung der Kommission dient als Richtschnur und bietet Unternehmen eine Orientierung, mithilfe diese beurteilen können, ob aus Sicht der EU-Kommission eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung gegeben ist. Dies wird als „Safe-Harbour“-Bereich bezeichnet. Die Bekanntmachung soll jedoch nur die Kommission binden, nicht aber die Kartellbehörden der EU-Mitgliedsstaaten oder die Gerichte. Der „Safe Harbour“ gewährt daher keine absolute Sicherheit, sodass für die Unternehmen ein gewisses Risiko verbleiben.
In der Praxis wird die Prüfung der Spürbarkeit dadurch erschwert, dass die De-minimis-Bekanntmachung der Kommission und die Rechtsprechung zur Spürbarkeit voneinander abweichen. Daher empfiehlt es sich für die Unternehmen, zuerst die Spürbarkeit anhand des „safe harbour“ der Bekanntmachung zu prüfen und dann die Einzelfallpraxis des EuGHs oder des EuGs anzuschauen.(Fußnote)
Bezüglich der De-minimis-Bekanntmachung ergibt sich für die Prüfung folgende Marktanteilsschwelle,(Fußnote) bei der eine Spürbarkeit nicht angenommen wird:
- Bei horizontalen Vereinbarungen: gemeinsamer Marktanteil bis zu 10 %
- Bei vertikalen Vereinbarungen: gemeinsamer Marktanteil bis zu 15%
- sofern nicht klar ist, ob die Vereinbarung horizontal oder vertikal ist: gemeinsamer Marktanteil bis zu 10 %
- bei Netzen von Vereinbarungen, unabhängig ob horizontal oder vertikal: gemeinsamer Markanteil bis zu 5%
Die Schwellenwerte gelten nicht für Kernbeschränkungen wie Preisfestsetzungen, Produktions- oder Absatzbeschränkungen sowie Markt- oder Kundenaufteilungen, Beschränkungen hinsichtlich der Weiterverkaufspreise, Gebiets- oder Kundenbeschränkungen sowie Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher.(Fußnote)
Die Rechtsprechung stützt ihre Prüfung der Spürbarkeit aber nicht ausschließlich auf die Marktanteile der beteiligten Unternehmen, sondern nimmt eine Gesamtbewertung vor. Zusätzlich zu den Marktanteilen werden Umsatzzahlen, die Schwere des Verbotsverstoßes, die Marktstruktur und die Attraktivität des betroffenen Produktes einbezogen. Hinsichtlich der Marktanteile wird von einer fehlenden Spürbarkeit ausgegangen, wenn weniger als 1% Marktanteil vorliegt. Die Schwellenwerte gelten im Gegensatz zur De-minimis-Bekanntmachung auch für Kernbeschränkungen.(Fußnote)
4.2.4.2 Spürbarkeit im deutschen Kartellrecht
Für die Auslegung des Spürbarkeitskriteriums kann im deutschen Kartellrecht auf die Bagatellbekanntmachung des Bundeskartellamtes zurückgegriffen werden.(Fußnote) Diese konkretisiert das Einschreitermessen des Bundeskartellamtes, entfaltet jedoch keine materielle Wirkung. Danach ist grundsätzlich nicht von einer Spürbarkeit auszugehen, wenn die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen folgende Schwellenwerte nicht überschreiten:
- bei horizontalen Vereinbarungen: gemeinsamer Marktanteile von bis zu 10 %
- bei vertikalen Vereinbarungen: gemeinsamer Marktanteil von bis zu 15 %
- sofern nicht klar ist, ob die Vereinbarung horizontal oder vertikal ist: gemeinsamer Marktanteil von bis zu 10 %
- bei einem Netz gleichartiger Vereinbarungen auf demselben Markt, was regelmäßig vorliegt, wenn die Netze mindestens 30 % des betroffenen Marktes abdecken: gemeinsamer Marktanteil von bis zu 5 %
In Einzelfällen kann trotz Unterschreiten der vorgenannten Schwellenwerte eine Spürbarkeit angenommen werden. Dies gilt z.B. dann, wenn zu erwarten ist, dass sich durch die Wettbewerbsbeschränkung die Preise für die Lieferanten oder Abnehmer insgesamt verschlechtern werden.(Fußnote) Kernbeschränkungen unterliegen hingegen nicht der Spürbarkeitsausnahme.
Weiterhin können ergänzend zu den deutschen Regelungen auch die Grundsätze des europäischen Kartellrechts hinzugezogen werden (dazu siehe vorherigen Abschnitt).
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Preisabsprachen im Kartellrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Laura Macht, wissenschaftliche Mitarbeiterin, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-87-8.
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018
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