Int. Vertragsrecht - Teil 09 - Nachträgliche Rechtswahl
4.2.4 Nachträgliche Rechtswahl
Haben sich die Parteien bei Abschluss des Vertrags noch nicht auf das anzuwendende Recht geeinigt oder möchten sie eine andere Rechtsordnung wählen, so können sie dieses auch nachträglich ändern. Gem. Art 3 Abs. 2 Rom I-VO steht es den Parteien nämlich frei das anwendbare Recht jederzeit zu ändern (Statutenwechsel). Die Wahl des neuen Rechts folgt dabei den gleichen Regeln wie jede Rechtswahlvereinbarung, sie kann also ausdrücklich erfolgen, sich aber ebenso konkludent aus den Umständen des Einzelfalls ergeben (s.o.).[1]
Umstritten ist jedoch die Frage, ab wann eine nachträgliche Rechtswahl gelten soll. Gilt die neue Rechtswahl erst ab dem Zeitpunkt in dem sie von den Parteien vereinbart worden ist (ex nunc) der wird der Vertrag so behandelt, als hätte er bereits von Anfang an dem neuen Recht unterlegen (ex tunc)? Einigen sich die Parteien auf den Zeitpunkt ab wann der Statutenwechsel gelten soll, so ist dies der ausschlaggebende Zeitpunkt.[2]
Fehlt es an einer solchen Einigung zwischen den Parteien jedoch und wird nur verabredet, dass, aber nicht wann ein neues Recht auf den Vertrag gelten soll, so kann dies in der Praxis zum Auftreten von Problemen führen.
Beispiel
Ein englischer und ein deutscher Unternehmer einigen sich bei einem Grundstückskauf in Frankreich auf die Anwendung englischen Rechts. Der Vertrag wird schriftlich geschlossen, auf eine notarielle Beurkundung des Vertrags wird allerdings verzichtet. Kurz darauf verabreden die Parteien, dass für den Vertrag deutsches Recht gelten soll, lassen den Zeitpunkt der Wirksamkeit jedoch offen. Nach einem Disput um die Zahlungsmodalitäten zwischen den Parteien bezweifelt auf einmal der englische Unternehmer, dass der Vertrag wirksam ist. Hat er Recht?
- Vorliegend wurde zwischen den Parteien ein Grundstückskaufvertrag nach englischem Recht geschlossen. Nach englischem Recht bedarf es für einen solchen Vertrag Schriftform, jedoch keiner notariellen Beurkundung. Allerdings führen die Parteien im Nachhinein einen Statutenwechsel zu deutschem Recht durch. Gem. § 311b Abs. 1 BGB iVm § 128 BGB muss ein Grundstückskaufvertrag nach deutschem Recht notariell beurkundet werden, was hier nicht geschehen ist.
- Gilt der Statutenwechsel ab diesem Zeitpunkt (ex nunc), so bleibt es bei den Formerfordernissen des englischen Rechts und der Vertrag ist weiterhin wirksam. Müssten allerdings rückwirkend (ex tunc) die deutschen Formerfordernisse vorgelegen haben, so hätte der englische Unternehmer Recht und der Grundstückskauf wäre wegen Formmangel rückwirkend unwirksam.
Wie diese Fälle zu behandeln sind ist bis heute noch umstritten, da es noch keine eindeutigen Urteile von höchstrichterlicher Seite gibt. In der Vergangenheit wurde zwar vereinzelt davon ausgegangen, dass die Rechtswahl im Zweifel ab dem Zeitpunkt der neuen Vereinbarung gelte.[3] Eine große Mehrheit der Experten verweist aber auf die Rechtsunsicherheit die eine solche zeitliche Aufspaltung des Vertrags nach sich ziehen würde und geht daher von einer rückwirkenden Wirkung aus.[4]
In der Praxis sollte aufgrund der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit bis zur höchstrichterlichen Klärung des Sachverhalts bei einem Statutenwechsel also stets auf eine ausdrückliche Regelung des ausschlaggebenden Zeitpunkts geachtet werden.
[1] Ferrari IntVertragsR/Ferrari, 3. Auflage 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn 43.
[2] Ferrari IntVertragsR/Ferrari, 3. Auflage 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn 45.
[3] OLG Frankfurt IPRax 1992, 314 (317).
[4] Statt vieler: Ferrari IntVertragsR/Ferrari, 3. Auflage 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn 45.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.
Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018
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Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart
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