Int. Vertragsrecht - Teil 13 - Dienstleistungsverträge, Grundstücksverträge
5.2.1.2 Dienstleistungsverträge, lit. b
Bei Dienstleistungsverträgen gilt gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Dienstleisters. Für die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts sind die gleichen Kriterien wie im Rahmen des Warenkaufs anzuwenden (s.o.).
Der Begriff der Dienstleistung ist weit zu verstehen.[1] Dieser umfasst grundsätzlich alle Verträge über tätigkeitsbezogene Leistungen, also:
- Dienstverträge iSd § 611 BGB
- Werkverträge iSd § 631 BGB
- Reiseverträge iSd § 631 und 651a BGB
- Maklerverträge iSd § 652 BGB
- Geschäftsbesorgungsverträge
- Verwahrungsverträge iSd § 688 BGB
- Verträge mit Freiberuflern (bspw. Rechtsanwälte und Architekten)
- Handelsvertreterverträge iSd § 84 HGB
- Handelsmaklerverträge iSd §93 HGB
- Kommissionsverträge iSd § 383 HGB.
Beispiel
Ein in Deutschland ansässiges Unternehmen beauftragt einen in Warschau ansässigen Rechtsanwalt mit der juristischen Beratung in einer Streitsache. Die Parteien haben keine Rechtswahl getroffen. Welches Recht ist anzuwenden?
- Die anwaltliche Beratung fällt als Vertrag über eine Dienstleistung mit einem Freiberufler unter den Dienstleistungsbegriff des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO. Danach ist das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Dienstleisters ausschlaggebend. Dienstleister ist in diesem Fall der die Beratung ausführende Anwalt. Dessen gewöhnlicher Aufenthalt liegt in Warschau. Daher ist auf den Vertrag polnisches Recht anzuwenden.
Beachtet werden muss aber, dass Verträge über Dienstleistungen eventuell unter die Sonderregeln der Art. 5 - 8 Rom I-VO fallen können, die Vorrang vor der objektiven Anknüpfung des Art. 4 Rom I-VO genießen.[2] Transport- (Art. 5), Versicherungs- (Art. 7) und Individualarbeitsverträge (Art. 8) fallen daher generell nicht unter Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO. Auch wenn ein Vertrag mit einem Verbraucher geschlossen wird, besitzen die Vorschriften des Art. 6 Rom I-VO grundsätzlich Vorrang. Gem. Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I-VO sind jedoch solche Fälle ausgenommen, bei denen der Dienstleister die Dienstleistung nicht im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers erbringen muss.[3]
Beispiel
Ein französischer Pensionär verursacht während einer Urlaubsreise nach Deutschland einen geringfügigen Unfallschaden. Nach seiner Rückkehr an seinen Wohnort Paris beauftragt er ein deutsches Unternehmen, sich vor Ort um die Beseitigung des Schadens zu kümmern. Welches Recht ist mangels Rechtswahl anzuwenden?
- Zwar handelt es sich hier um einen Vertrag mit einem Verbraucher, sodass grundsätzlich Art. 6 Rom I-VO Vorrang genießt. Allerdings ist die vertraglich bestimmte Dienstleistung hier ausschließlich in Deutschland zu erbringen. Gem. Art. 6 Abs 4 lit. a Rom I-VO ist das auf den Vertrag anwendbare Recht daher ausnahmsweise nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO zu ermitteln. Ausschlaggebend ist also der gewöhnliche Aufenthalt des Dienstleisters, sodass in diesem Fall deutsches Recht anzuwenden ist.
5.2.1.3 Grundstücksverträge, lit. c
Im Gegensatz zu Warenkauf- und Dienstleistungsverträgen unterliegen Grundstücksverträge gem. Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO nicht dem Recht am Aufenthalt des Leistungserbringers, sondern der Rechtsordnung des Landes, in dem sich die Immobilie befindet.
Unter die Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO fallen Verträge mit folgendem Inhalt[4]:
- Immobilienkauf[5] und -tausch
- Miete[6] und Pacht von Grundstücken (Ausnahme s. unten)
- Grundstücksschenkung
- Bestellung von Grundsicherheiten
- Time-Sharing Verträge über Grundstücke[7].
Beispiel
Ein in Frankreich ansässiges Unternehmen schließt mit einem in Deutschland ansässigen Geschäftsmann einen nicht notariell beglaubigten Vertrag über den Kauf einer Büroimmobilie in der Londoner City. Eine Rechtswahl treffen die Parteien nicht. Welches Recht ist auf den Vertrag anwendbar? Wurde er überhaupt wirksam geschlossen?
- Zunächst müsste der Anwendungsbereich der Rom I-VO eröffnet sein. Bei einem Immobilienkaufvertrag handelt es sich um einen schuldrechtlichen Vertrag im Bereich der Zivil- und Handelssachen, der durch den Lageort der Immobilie in England und den Sitz der Parteien in Frankreich und Deutschland eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweist. Die Anwendbarkeitsvoraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO sind daher erfüllt.
- Da weder eine Rechtswahl iSd Art. 3 Rom I-VO vereinbart wurde noch ein Vertrag iSd Art. 5 - 8 Rom I-VO vorliegt, sind für die Ermittlung des anwendbaren Rechts die objektiven Anknüpfungspunkte des Art. 4 Rom I-VO heranzuziehen. Da es sich hier um einen Vertrag über den Kauf einer Immobilie handelt, bemisst sich die Rechtswahl nach Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO. Danach ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Immobilie belegen ist. Das ist in diesem Fall England. Daher ist englisches Recht auf den Vertrag anzuwenden.
- Im Gegensatz zu deutschem Recht gibt es im englischen Recht keine Pflicht zur notariellen Beurkundung von Immobilienkaufverträgen iSd § 312b iVm § 128 BGB. Daher ist der Vertrag in diesem Fall wirksam zustande gekommen und nicht wegen der mangelnden Beurkundung formnichtig.
[1] BeckOK BGB/Spickhoff, 44. Ed. 1.11.2017, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 10.
[2] Ringe in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, Art. 4 Rom I-VO Rn 20.
[3] Ringe in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, Art. 6 Rom I-VO Rn 29.
[4] Vgl. BeckOK BGB/Spickhoff, 44. Ed. 1.11.2017, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 36.
[5] OLG Frankfurt NJW-RR 1993, 182 (183).
[6] OLG München ZMR 1997, 411.
[7] OLG Frankfurt RIW 1995, 1033.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.
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Stand: Januar 2018
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Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart
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