Int. Vertragsrecht - Teil 21 - Anwendbares Recht
6.2.3 Anwendbares Recht
Welches Recht auf Grundlage des Art. 6 Rom I-VO auf Verbraucherverträge anzuwenden ist entscheidet sich maßgeblich nach zwei Kriterien. Zum einen muss festgestellt werden, ob ein besonderes Näheverhältnis iSd Art. 6 Abs. 1 lit. a und b Rom I-VO vorliegt (s. oben). Andererseits muss unterschieden werden, ob eine Rechtswahl durch die Parteien stattgefunden hat oder nicht.
6.2.3.1 Räumliches Näheverhältnis
Wie bereits angesprochen gehört das besondere räumliche Näheverhältnis zum Aufenthaltsstaat des Verbrauchers zu den Anwendungsvoraussetzungen des Art. 6 Rom I-VO. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass ein Nichtvorliegen dazu führt, dass auch bei Verbraucherverträgen die allgemeinen Vorschriften der Art. 3 und 4 Rom I-VO angewendet werden. Bei mangelnder Rechtswahl bedeutet das in der Regel, dass nicht das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers, sondern das Recht am Aufenthaltsort des Unternehmers angewendet wird.
Beispiel
Ein in Bratislava lebender deutscher Pensionär A möchte seinem Haus eine besondere dekorative Note verpassen. Daher beauftragt er die ihm von einem Freund empfohlene und in Berlin ansässige Innenarchitektin B mit der Ausarbeitung eines Wohnraumkonzepts für seine privaten Wohnräume. Die Kontaktdaten erhält A von seinem Freund, eine Unternehmens-Webseite besitzt B nicht. Welches Recht ist bei mangelnder Rechtswahl anzuwenden?
- Fraglich ist hier, ob ein besonderes Näheverhältnis der B zum Aufenthaltsstaat des A vorliegt. Die Ausübung der Dienstleistung soll hier nicht ausdrücklich in der Slowakei erfolgen, sondern wird voraussichtlich im Berliner Büro der B stattfinden. B könnte ihre Tätigkeit aber auch in irgendeiner Weise auf die Slowakei ausgerichtet haben. Da B keine Webseite besitzt und auch keine sonstigen Werbemaßnahmen in der Slowakei entfaltet hat, ist dies jedoch zu verneinen. Da es am notwendigen räumlichen Näheverhältnis mangelt, muss auf die allgemeinen Anknüpfungsregeln des Art. 4 Rom I-VO zurückgegriffen werden. Gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO ist auf Dienstleistungsverträge das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Dienstleisters anzuwenden. Daher ist auf den Vertrag zwischen A und B hier deutsches Recht anzuwenden.
6.2.3.2 Rechtswahl und räumliches Näheverhältnis
Im Rahmen des Art. 6 Rom I-VO können die Parteien auch bei Verbraucherverträgen grundsätzlich bestimmen, welches Recht auf den Vertrag Anwendung finden soll. Allerdings wird die Wahl des auswählbaren Rechts durch Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO dahingehend beschränkt, als dass dem Verbraucher nicht der Schutz des zwingenden Rechts seines Aufenthaltsstaats entzogen werden kann. Das bedeutet, dass für jeden Fall gesondert entschieden werden muss, welches Recht den Verbraucher mehr begünstigt: Das Recht an seinem Aufenthaltsort oder das von den Parteien vereinbarte Recht.[1]
Beispiel
Das Unternehmen A mit Sitz in den Niederlanden wirbt in einer deutschen Seniorenresidenz für einen kostenlosen Ausflug samt Shopping Event nach Maastricht. Der Residenzbewohner B schließt sich der Fahrt an und erwirbt von den Veranstaltern vor Ort einen teuren Füllfederhalter. Wieder zurückgekehrt möchte er jedoch vom Vertrag zurücktreten. Kann sich B dafür auf sein deutsches gesetzliches Rücktrittsrecht (gem. §312 Abs. 1 Nr. 2 BGB) berufen, obwohl die Parteien ausdrücklich die Geltung von niederländischem Recht vereinbart haben?
- Fraglich ist, ob die vertragliche Rechtswahl den Restriktionen des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO unterliegt. Vorliegend handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Verbrauchervertrag, der durch die Werbung des A in einem deutschen Seniorenheim ein räumliches Näheverhältnis zum gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers aufweist. Daher sind die besonderen Vorschriften des Art. 6 Rom I-VO zu beachten. Grundsätzlich kann auch bei Verbraucherverträgen das Recht frei, das heißt nur unter den Voraussetzungen des Art. 3 Rom I-VO gewählt werden.
- In diesem Fall ist das Begehren des B jedoch, sich unter Ausnutzung seines im deutschen Recht verankerten und nicht abdingbaren Widerrufsrechts vom Vertrag zu lösen. Da die Nutzung von deutschem Recht daher seinem Interesse stärker entspricht als etwaige niederländische Regeln, kann er sich trotz der prinzipiellen Geltung von niederländischem Recht auf § 312 Abs. 1 Nr. 2, 355 BGB berufen und den Vertrag innerhalb von vierzehn Tagen widerrufen.
6.2.3.3 Fehlende Rechtswahl und räumliches Näheverhältnis
Liegt zwar ein räumliches Näheverhältnis zwischen dem Vertrag und dem Aufenthaltsstaat des Verbrauchers vor, aber keine Rechtswahl, so ist nicht wie nach der allgemeinen Regel des Art. 4 Rom I-VO das Recht am Aufenthaltsort des Leistungserbringers, sondern gem. Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO das des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers anzuwenden.
Beispiel
Welches Recht ist auf den Vertrag zwischen dem Stuttgarter Fahrradhändler A und dem Verbraucher B aus Verona aus dem Ausgangsbeispiel anzuwenden, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben?
- Wie bereits festgestellt wurde, liegt zwischen A und B ein Verbrauchervertrag vor, der einen räumlichen Bezug zu Italien, dem Aufenthaltsstaat des B aufweist. Gem. Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ist in solchen Fällen das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Daher ist hier italienisches Recht einschlägig.
[1] Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 77.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.
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Stand: Januar 2018
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Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart
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