Logo Brennecke & FASP Group

Int. Vertragsrecht - Teil 24 - Individualarbeitsverträge

6.4 Individualarbeitsverträge

Das auf Individualarbeitsverträge anzuwendende Recht bemisst sich nach Art. 8 Rom I-VO. Zu Bedenken ist allerdings, dass aufgrund des begrenzten zeitlichen Anwendungsbereichs der Rom I-VO nur solche Arbeitsverträge erfasst werden, die nach dem 17.12.2009 geschlossen wurden.

6.4.1 Grundsätzliches

Auch im Rahmen von Individualarbeitsverträgen formuliert die Rom I-VO besondere Vorschriften, die dem Schutz der bei der Vertragsgestaltung vermeintlich schwächeren Partei, dem Arbeitnehmer, dienen. Zwar besitzen die Parteien gem. Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO eine freie Rechtswahl, das heißt es gelten grundsätzlich nur die allgemeinen Einschränkungen im Rahmen des Art. 3 Rom I-VO. Dem Arbeitnehmer darf aber durch die Wahl des Rechts nicht der Schutz zwingender Normen vorenthalten werden, die ihm bei mangelnder Rechtswahl zu Gute kämen. Hier muss also ein Vergleich vorgenommen werden, welches Recht die für ihn günstigeren Arbeitnehmerschutzregelungen besitzt: Das von den Parteien vereinbarte Recht oder das Recht, das bei mangelnder Rechtswahl Anwendung findet.

Das bei mangelnder Rechtswahl anwendbare Recht bestimmt sich nach Art. 8 Abs. 2 und 3 Rom I-VO. Vorrangig ist gem. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO das Recht in dem Staat anzuwenden, in dem sich der gewöhnliche Arbeitsort befindet. Ist eine Bestimmung nach Abs. 2 nicht möglich, gilt gem. Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO hilfsweise das Recht am Ort der Niederlassung bei der der Arbeitnehmer angestellt ist.

Auch im Rahmen von Arbeitsverträgen ist bei einer offensichtlich engeren Verbindung zum Recht eines anderen Staates dieses stattdessen anzuwenden (Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO).

6.4.2 Anwendungsbereich

Da Art. 8 Rom I-VO nur für Individualarbeitsverträge gilt, müssen diese zunächst einmal vom kollektiven Arbeitsrecht unterschieden werden. Ein Individualvertrag liegt nach der Rechtsprechung des EuGH vor, wenn jemand in einem unselbstständigen Dienstverhältnis zu seinem Arbeitgeber steht, also auf dessen Weisung tätig wird und als Gegenleistung eine Vergütung erhält.[1] Somit fallen auch rein faktische Arbeitsverhältnisse unter Art. 8 Rom I-VO, z.B. Scheinselbstständige.[2] Nicht erfasst sind jedoch tatsächlich selbstständige Personen wie bspw. freie Handelsvertreter.[3]

Beispiel
Das deutsche Unternehmen A beschäftigt an seinem Sitz in Dortmund den aus Tunesien stammenden Arbeitnehmer B, der in Deutschland über keine Arbeitserlaubnis verfügt. Welches Recht ist auf das Arbeitsverhältnis zwischen A und B anzuwenden?

  • Vorliegend ist das Arbeitsverhältnis wegen der fehlenden Arbeitserlaubnis des B nichtig. In der Zeit in der das Arbeitsverhältnis bereits in Vollzug gesetzt wurde lag jedoch ein faktisches Arbeitsverhältnis vor. Da es für Art. 8 Rom I-VO irrelevant ist, ob es sich um ein auf Vertrag beruhendes Arbeitsverhältnis handelt oder nur um ein rein faktisches, ist gem. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO an den gewöhnlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers anzuknüpfen. Da dieser sich in Deutschland befindet, ist deutsches Recht anzuwenden.


6.4.3 Rechtswahl

Wie bereits angesprochen unterliegt die Rechtswahl im Prinzip nur den allgemeinen Beschränkungen des Art. 3 Rom I-VO. Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO enthält jedoch eine zusätzliche Arbeitnehmerschutzregelung. Danach muss abgewogen werden, nach welchem Recht der Arbeitnehmer besser steht, nach dem von den Parteien vereinbarten Recht oder dem Recht, das gem. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO bei mangelnder Rechtswahl Anwendung finden würde. Das heißt es ist stets ein Günstigkeitsvergleich zwischen der Rechtswahl und dem Recht am Arbeitsort des Arbeitnehmers durchzuführen. Abzustellen ist jeweils auf die ausschlaggebende Einzelfrage des Vertrags. Steht der Arbeitnehmer bspw. im Fall von Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall besser nach dem vereinbarten Recht, so heißt das nicht automatisch, dass diese Rechtsordnung auch auf die Berechnung des jährlichen Urlaubsanspruchs angewendet werden muss.

Beispiel
Ein deutscher Elektronikhersteller mit Sitz in Schwäbisch-Hall beschäftigt seit einem Jahr mehrere aus der Türkei stammende Mitarbeiter. In den Arbeitsverträgen verankern die Parteien ausdrücklich, dass ausschließlich türkisches Recht auf den Vertrag Anwendung finden soll. Welches Recht findet auf die Berechnung der jährlichen Urlaubstage Anwendung? Welches Recht gilt bei der Vergütung von Überstunden?

  • Urlaubstage: Vorliegend wurde für das Arbeitsverhältnis die Geltung von türkischem Recht vereinbart. Nach türkischem Recht steht Arbeitnehmern, die weniger als fünf Jahre in einem Unternehmen beschäftigt sind ein gesetzlicher Urlaubsanspruch von 14 Tagen im Jahr zu. Hätten die Parteien keine Rechtswahl getroffen, so würde gem. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO das Recht des Arbeitsortes, also deutsches Recht für den Vertrag gelten. Nach deutschem Recht haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf mindestens 24 Werktage Urlaub im Jahr. Da eine hohe Zahl an Urlaubstagen im Interesse der Arbeitnehmer steht, ist die Anwendung von türkischem Recht unzulässig und in diesem Bereich deutsches Recht anzuwenden.
  • Überstunden: Auch hier muss wieder eine Günstigkeitsabwägung zwischen deutschem und türkischen Arbeitsrecht vorgenommen werden. Im türkischen Recht werden Überstunden mit einem Lohnzuschlag von 50 Prozent berechnet, im deutschen Recht werden sie überhaupt nur vergütet, insofern eine nach den Umständen eine Vergütung erwartet werden kann. Da der pauschale Anspruch in Verbindung mit einer deutlich höheren Vergütung nach türkischem Recht für den Arbeitnehmer günstiger ist, ist hier das von den Parteien gewählte Recht anzuwenden. Dass im Bereich gesetzlicher Urlaubstage die Wahl türkischen Rechts unzulässig ist, ist dafür irrelevant, da jeweils nur das für die konkrete Einzelfrage günstigere Recht Anwendung findet.

[1] EuGH NJW 1987, 1138.

[2] Palandt/Thorn Rom I-VO Art. 8 Rn 3.

[3] Vgl. Art. 1 Richtlinie 86/653/EWG von 18.12.1986.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.


Herausgeber / Autor(-en):

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

  • Praxistipps zum rechtssicheren Einsatz von E-Mails im Unternehmen
  • Rechtssicherheit im Internet: - Praktische Rechtstipps für Unternehmer von AGB über Disclaimer und E-Mails bis zu web2.0
  • Allgemeine Geschäftsbedingungen zu Vertragsschluss, Laufzeit und Umzug in Telekommunikationsverträgen


Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Tilo Schindele unter: 
Mail: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de 
Telefon: 0721-20396-28

Normen: Art. 8 Rom I-VO

Mehr Beiträge zum Thema finden Sie unter:

RechtsinfosVertragsrecht