Int. Vertragsrecht - Teil 25 - Fehlende Rechtswahl
6.4.4 Anwendbares Recht bei fehlender Rechtswahl
Vereinbaren die Parteien für den Vertrag weder keine Rechtswahl, so ist gem. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers anzuwenden. Der gewöhnliche Arbeitsort des Arbeitnehmers liegt am tatsächlichen Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit.[1] Der Arbeitsort ist also trotz bspw. regelmäßiger Auslandsaufenthalte der Ort an dem der Arbeitnehmer immer wieder zur Arbeitsentrichtung zurückkehrt.
Lässt sich der tatsächliche Mittelpunkt der Berufstätigkeit aufgrund der Natur der Tätigkeit nicht eindeutig feststellen, bspw. bei ständig wechselnden Einsatzorten, so ist gem. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 Rom I-VO das Recht am Ort der Einsatzbasis anzuwenden. Damit ist die Rechtsordnung des Staats gemeint, von dem aus der Arbeitnehmer seine Tätigkeit gewöhnlich verrichtet.
Beispiel
Ein Maschinenbau-Unternehmen mit Sitz in Görlitz beschäftigt regelmäßig polnische Arbeitnehmer, die ihren Wohnsitz im benachbarten Zgorzelec (Polen) haben. Als Außendienstmitarbeiter sind sie im gesamten deutsch-polnischen Grenzgebiet zur Durchführung von Installations- und Wartungsarbeiten unterwegs. Ihre Aufträge erhalten sie jeden Morgen in den Räumlichkeiten des Unternehmens in Görlitz. Welches Recht ist bei mangelnder Rechtswahl auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden?
- Da keine Rechtswahl für den Vertrag getroffen wurde, ist gem. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO das Recht an dem Ort anzuwenden, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Aufgrund des ständig wechselnden Aufenthaltsorts der Arbeitnehmer ist dieser jedoch nicht eindeutig feststellbar. Gem. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 Rom I-VO gilt in diesen Fällen das Recht am Ort der Einsatzbasis. Vorliegend werden die polnischen Arbeitnehmer in Görlitz koordiniert und brechen von dort zu ihrer alltäglichen Tätigkeit auf. Somit liegt die Einsatzbasis in Görlitz. Daher ist auf das Vertragsverhältnis deutsches Recht anzuwenden.
Der gewöhnliche Arbeitsort wechselt nicht dadurch, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit vorrübergehend in einem anderen Staat verrichtet, auch wenn dieser für den betreffenden Zeitraum den Mittelpunkt seiner Arbeitstätigkeit darstellt. Vorrübergehend ist eine Tätigkeit dann, wenn vom Arbeitnehmer erwartet wird, dass er seine Arbeit nach Beendigung seines Auslandsaufenthalts wieder in den Staat verlagert in dem er bisher seinen gewöhnlichen Arbeitsort bzw. seine Einsatzbasis hatte.[2] Vorrübergehend ist eine Tätigkeit also nur, wenn sie nicht endgültig ist, bspw. im Falle einer Versetzung.[3] In diesem Fall gilt dann der Versetzungsort als neuer gewöhnlicher Arbeitsort des Arbeitnehmers.
Beispiel
Der Kunstgeschichtler A ist seit längerem bei der italienischen Privatgalerie B in Frankfurt a.M. angestellt und betreut dort ein Ensemble wertvoller abstrakter Malereien. Als diese im Rahmen einer mehrmonatigen Sonderausstellung an ein Museum in Tokio verliehen werden, wird A ebenfalls dorthin entsendet um die Pflege der Kunstwerke sicherzustellen. Danach soll er wieder nach Deutschland kommen und seine bisherige Tätigkeit weiterführen. Welches Recht ist auf den Arbeitsvertrag zwischen A und B anzuwenden, wenn keine Rechtswahl erfolgt ist?
- Da keine Rechtswahl erfolgt ist, ist bei internationalen Arbeitsverträgen auf die Anknüpfungspunkte des Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO abzustellen. Daher gilt grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers. Der gewöhnliche Arbeitsort des A ist in diesem Fall Frankfurt. Obwohl A mehrere Monate außerhalb von Deutschland tätig wird, soll er nach Beendigung seines Auftrags in Japan wieder nach Frankfurt zurückkehren. Daher führt die auswärtige Beschäftigung nicht zu einem Wechsel des gewöhnlichen Arbeitsorts. Für das Arbeitsverhältnis gilt somit deutsches Recht.
- Hinweis: Anders läge der Fall, wenn B eine neue Galerie in Tokio eröffnet und A nun dauerhaft dort eingesetzt werden würde. In diesem Fall würde sich sein gewöhnlicher Arbeitsort nach Japan verlagern und folglich zur Anwendung japanischen Rechts auf das Arbeitsverhältnis führen.
Lässt sich weder ein gewöhnlicher Arbeitsort noch eine Einsatzbasis feststellen, läuft eine Rechtsbestimmung auf Grundlage des Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO ins Leere. Davon betroffen sind solche Berufe, bei denen Arbeitnehmer den Aufenthaltsort derart regelmäßig grenzüberschreitend wechseln, dass nicht mehr von einer einheitlichen Einsatzbasis gesprochen werden kann, was insb. bei Flug- und Hochseeschifffahrtspersonal der Fall ist. In diesen Fällen wird dann gem. Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO hilfsweise auf das Recht des Staates zurückgegriffen, in dem sich die Niederlassung befindet mit der der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag abgeschlossen hat.
Beispiel
Die deutsche Reederei A beschäftigt den griechischen Matrosen B auf einem seiner Hochseeschiffe. Die Basis für seine Einsätze liegt abwechselnd in Hamburg, Rotterdam und Piräus. Die Niederlassung mit der B seinen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat befindet sich in Hamburg. Welches Recht ist bei mangelnder Rechtswahl auf den Vertrag anzuwenden?
- Da es sich vorliegend um einen grenzüberschreitenden Arbeitsvertrag ohne Rechtswahl handelt, ist gem. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO grundsätzlich an den gewöhnlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers anzuknüpfen. Allerdings befindet sich B in Ausübung seiner Tätigkeit überwiegend in internationalen Gewässern, sodass kein eindeutiger Arbeitsort ausgemacht werden kann. Da zudem auch seine Entsendebasis regelmäßig wechselt, ist über Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO keine geeignete Rechtsordnung zu ermitteln.
- Daher ist hier hilfsweise Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO anzuwenden. Danach ist in solchen Fällen das Recht am Ort der Niederlassung anzuwenden, mit der der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Da dies vorliegend in Deutschland geschehen ist, ist folglich deutsches Recht auf den Vertrag anzuwenden.
Besteht eine engere Verbindung des Vertrags zu einem anderen Recht, so besitzt dieses parallel zu den entsprechenden Klauseln der vorangegangenen Artikel gem. Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO den Vorrang vor dem durch objektive Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2 und 3 Rom I-VO bestimmten Recht.
[1] EuGH IPrax 1999, 365.
[2] Erwägungsgrund Nr. 36 Satz 1 Rom I-VO.
[3] Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 89.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.
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Stand: Januar 2018
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