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Int. Vertragsrecht - Teil 32 - Forderungen

7.5.2 Gesetzlicher Übergang von Forderungen

Art. 15 Rom I-VO behandelt die komplexen Fälle des gesetzlichen Forderungsübergangs, in denen bei Bestehen vertraglicher Verpflichtungen eines Hauptschuldners ein Dritter subsidiär zur Leistung verpflichtet ist und es um dessen Ansprüche auf Entschädigung gegen den Hauptschuldner geht.

Solche Konstellationen kommen im Rahmen des Art. 15 Rom I-VO insbesondere in den folgenden beiden Fällen in Betracht:

  • Bei Entschädigungsansprüchen des Bürgen gegen den Hautschuldner einer Forderung,
  • Bei Schadenersatzforderungen des Schadensversicherers des Gläubigers gegen dessen Schuldner .

Ob ein gesetzlicher Forderungsübergang stattgefunden hat und in welcher Höhe diese erfolgt ist, bestimmt sich gem. Art. 15 Rom I-VO nach dem Recht, auf dem die Forderung gegen den Hauptschuldner beruht, das sog. Zessionsgrundstatut. Besteht zwischen zwei Parteien bspw. ein nach französischem Recht abgeschlossener Bürgschaftsvertrag, so bemisst sich die Frage, ob und in welcher Höhe der Bürge nach Inanspruchnahme durch den Gläubiger des Hauptschuldners vom Hauptschuldner Entschädigung verlangen kann nach französischem Recht.

Zu unterscheiden ist das Zessionsgrundstatut vom Forderungsstatut. Dieses bestimmt den Inhalt der auf den Dritten übergegangenen Forderung. Gemeint ist damit die Frage die Forderung selbst grundsätzlich bzw. in der ermittelten Höhe besteht. Zudem bemisst sich nach dem Forderungsstatut die Frage inwiefern die Forderung des Dritten gegen den Schuldner durchgesetzt werden kann. Im Gegensatz zum Zessionsgrundstatut entspricht das Forderungsstatut dem Recht, das auf den die Forderung begründenden Vertrag zwischen Hauptschuldner und Gläubiger Anwendung findet.

Beispiel
Der deutsche Weinhändler A nimmt bei der österreichischen Bank B ein Darlehen in Höhe von 100.000 EUR auf. Dabei verzichten die Parteien darauf, eine Rechtswahl für den Vertrag zu treffen. Als A mit der Rückzahlung des Darlehens in Schwierigkeiten gerät wendet er sich an seinen guten Freund, den im gleichen Ort wohnenden Unternehmer C, der selbstschuldnerisch eine Bürgschaft für die Darlehensrückforderung übernimmt. Als A das Darlehen zum vereinbarten Zeitpunkt nicht zurückzahlen kann, wendet sich die Bank B an C, der es für A begleicht. C wiederum verlangt von A nun Rückerstattung der 100.000 EUR. Welches Recht ist auf das Rechtsverhältnis zwischen A und B anzuwenden?

  • Zunächst einmal ist die Frage zu klären ob und in welcher Höhe ein gesetzlicher Übergang der B zustehenden Forderung gegen A zugunsten des C stattgefunden hat. Dies bemisst sich gem. Art. 15 Rom I-VO nach dem Zessionsgrundstatut, also nach dem Recht zu beurteilen, auf dem die Verpflichtung des Dritten beruht. Im vorliegenden Fall ist dies eine Bürgschaft. Bei fehlender Rechtswahl kommt gem. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO das Recht des Bürgen auf diesen Vertrag zur Anwendung. Daher ist insofern deutsches Recht einschlägig. Gem. § 774 Abs. 1 BGB geht die Forderung insoweit auf den Bürgen über als er den Gläubiger der Hauptforderung befriedigt. Da C vorliegend die gesamte Darlehensforderung beglichen hat, geht die Forderung somit auf C über.
  • Welchen Inhalt die Forderung an sich hat, entscheidet sich dagegen weiterhin nach dem Recht, das auf den die Forderung begründenden Vertrag angewendet wird. Vorliegend ist dies der Darlehensvertrag zwischen A und der Bank B. Da bei Darlehensverträgen gem. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Darlehensgebers Anwendung findet, ist hier österreichisches Recht Forderungsstatut. Mit welchem Inhalt die Forderung besteht, ist also auch im Verhältnis von A und C weiterhin nach österreichischem Recht zu bemessen. Besteht nach österreichischem Recht weiterhin ein Anspruch des Forderungsinhabers auf Rückzahlung des Darlehens, so kann C von A Zahlung von 100.000 EUR verlangen.

7.5.3 Mehrfache Haftung

Sind alle Schuldner einer gemeinsamen Hauptforderung gleichermaßen und nicht wie in Art. 15 Rom I-VO subsidiär für die Erfüllung der Forderung haftbar, so regelt Art. 16 Rom I-VO den Ausgleich unter den Schuldnern für den Fall, dass einer von ihnen gegenüber dem Gläubiger leistet. Danach wird für den Ausgleich zwischen den Schuldnern das Recht angewendet, das zwischen dem Gläubiger und dem diesen zuerst befriedigenden Schuldner gilt.

Beispiel
Die beiden Austauschstudenten A aus Kroatien und B aus Lettland möchten beim französischen Vermieter C für die Zeit ihres Aufenthalts in Augsburg eine gemeinsame Wohnung mieten. Die Parteien schließen einen Mietvertrag über die Wohnung und einigen sich darauf, dass die Miete im Voraus zu bezahlen ist. Eine Rechtswahl treffen sie nicht. A bezahlt daraufhin die gesamte Miete im Voraus und verlangt daraufhin von B eine Erstattung für dessen Anteil an der Miete. Welches Recht ist auf den Anspruch des A gegen B anzuwenden?

  • Der Ausgleich zwischen gleichrangigen Schuldnern, die gemeinsam für eine Hauptforderung haften richtet sich nach Art. 16 Satz 1 Rom I-VO. Dies ist vorliegend der Fall, da A und B hier gemeinsam die Wohnung von C mieten. Darüber hinaus muss einer der Schuldner den Gläubiger der gemeinsamen Forderung befriedigt, also an ihn geleistet haben. Auch dies liegt hier vor, da A dem C den im Voraus den gesamten zu zahlenden Mietzins entrichtet. Gem. Art. 16 Rom I-VO wird das auf den Ausgleichsanspruch des A gegen B anzuwendende Recht nach dem Recht bestimmt, das für die Verpflichtung des zuerst Leistenden gegenüber dem Gläubiger Anwendung findet. In diesem Fall handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Mietvertrag für eine Immobile. Daher bemisst sich das auf den Vertrag anwendbare Recht bei fehlender Rechtswahl nach Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO, das heißt nach dem Recht, in dem die Sache belegen ist. Lageort ist vorliegend Deutschland, es ist daher deutsches Recht auf den Ausgleichsanspruch anzuwenden.

7.5.4 Aufrechnung von Forderungen

Besteht für eine dem Gläubiger gegen den Schuldner zustehende und fällige Forderung eine aufrechenbare Gegenforderung des Schuldners, so ergibt sich das auf die Aufrechnung anzuwendende Recht gem. Art. 17 Rom I-VO nach dem Recht, das für die Hauptforderung gilt. Die Hauptforderung ist die Forderung, die der Gläubiger gegenüber dem Schuldner geltend macht und gegen die der Schuldner aufrechnen möchte, also bspw. der Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus Kaufvertrag.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Parteien sich nicht vertraglich auf ein auf die Aufrechnung anzuwendendes Recht geeinigt haben. Für dieses gilt in den allgemeinen Grenzen des Art. 3 Rom I-VO Wahlfreiheit.

Beispiel
Der auf Teneriffa lebende Innenarchitekt A benötigt für einen anstehenden Rechtsstreit mit einem Kunden juristischen Rat. Daher wendet er sich an den in Bremen ansässigen Rechtsanwalt B, dem er zuvor sein anwaltliches Büro verschönert hat und lässt sich von diesem ausgiebig beraten. Die von B gestellte Rechnung über 250 EUR möchte A mit einer ihm aus der Büroverschönerung gegen B zustehenden Forderung über 125 EUR verrechnen. Nach welchem Recht richtet sich die Aufrechnung?

  • Das auf die Aufrechnung anwendbare Recht ergibt sich gem. Art. 17 Rom I-VO aus dem Recht der Hauptforderung. Diese beruht auf dem zwischen A und B geschlossenen Dienstleistungsvertrag. Mangels Rechtswahl ist auf den Vertrag gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Dienstleisters anzuwenden, also hier aufgrund des Sitzes in Bremen deutsches Recht. Entsprechend ist für die Aufrechnung deutsches Recht anzuwenden.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Herausgeber / Autor(-en):

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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Normen: Art. 15 Rom I-VO

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