Handelsvertreterausgleich – Teil 02 – Tätigwerden
Herausgeber / Autor(-en):
Harald Brennecke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
2.1.1 Art und Weise des Tätigwerdens
Der Handelsvertreter muss selbstständig sein, § 84 Abs. 1 S. 1 HGB. Nach der gesetzlichen Definition ist dies der Fall, wenn der Vertreter seine Tätigkeit und Arbeitszeit im Wesentlichen frei bestimmen kann. Es kommt dabei nicht auf die wirtschaftliche Freiheit, sondern auf die rechtliche Freiheit des Handelsvertreters an (Fußnote). An diesem Punkt erfolgt die Abgrenzung zum Arbeitnehmer, der weisungsgebunden ist und dem Arbeitgeber Folge zu leisten hat. Letztere genießen teilweise deutlich höheren gesetzlichen Schutz, beispielsweise den gesetzlichen Kündigungsschutz für Arbeitnehmer.
Ob Selbstständigkeit vorliegt, hängt entscheidend vom Gesamtbild der rechtlichen Gestaltung sowie der tatsächlichen Handhabung der Tätigkeit ab (Fußnote). Indizien für die Selbstständigkeit sind dabei insbesondere die freie Wahl der Arbeitszeit, des Arbeitsorts, die Art und Weise der Verrichtung und Vergütung sowie das bestehende Unternehmerrisiko (Fußnote).
Die Beweislast bestimmt sich nach den allgemeinen prozessualen Regeln. Derjenige, der sich auf die (Un-)Selbstständigkeit beruft, hat dies zu beweisen. Ausgangspunkt ist dabei der Vertrag. Weicht die tatsächliche Praxis davon ab, hat derjenige, der sich darauf beruft, das Abweichen zu beweisen (Fußnote).
Beispiel
H hat beim Unternehmen X einen Handelsvertretervertrag unterzeichnet. Er soll die Produkte des X veräußern.
In diesem ist unter anderem bestimmt, dass H seine Arbeitszeiten frei bestimmen kann und im Wesentlichen selbst bestimmen kann, wie er die Produkte veräußert.
Tatsächlich wird H jedoch von Anfang an, ein genauer Arbeitsplan ausgestellt. Er hat den Verkauf der Produkte an der Geschäftsstelle Y nach den konkreten Maßgaben des Geschäftsführers A auszuführen und seine Arbeitszeit mit einer Stechkarte zu dokumentieren sowie dem Geschäftsführer A seine Nebentätigkeiten mitzuteilen.
Nach acht Monaten hat A genug von H und kündigt ihm fristgerecht nach § 89 Abs. 1 S. 1 HGB ohne Grund.
H will sich dies nicht gefallen lassen, da er seiner Meinung nach, keinen Anlass für die Kündigung gegeben hat. Er beruft sich auf § 1 Kündigungsschutzgesetz. Danach bedarf es zur Kündigung eines Arbeitnehmers eines dort genannten Grundes, welchen X nicht benannt hat.
Damit H sich auf den Kündigungsschutz des § 1 KSchG berufen kann, muss er Arbeitnehmer sein. Dies hat er in einem Prozess zu beweisen. Zunächst steht der Vertrag des H mit X entgegen. Kann H im Prozess schlüssig darlegen, dass er entgegen des Vertrages weisungsgebunden tätig ist und X ihm die Arbeitsmodalitäten vorgibt, kann er vor Gericht als Arbeitnehmer eingestuft werden, sodass die Kündigung vom Gericht letztendlich als unwirksam eingestuft werden könnte.
- Ob ein Handelsvertreter- oder Arbeitnehmerverhältnis vorliegt, bestimmt sich zunächst aus dem Vertrag und davon ausgehend aus den tatsächlichen Gegebenheiten.
2.2 Anwendung auf Tankstellenpächter
Soweit der Tankstellenpächter selbstständiger Handelsvertreter ist, ist das Handelsvertreterrecht und damit § 89b HGB auf ihn anzuwenden.
In der Regel sind Tankstellenbetreiber Handelsvertreter, dies gilt im Kraftstoffgeschäft und je nach Vertragsgestaltung im Schmierstoff- und Waschgeschäft (siehe dazu Kapitel 11 und 12) (Fußnote).
Dass der Tankstellenbetreiber häufig die Geschäfts- und Marketingstrategie benutzt, die ihm die Tankstellengesellschaft vorgibt, bedeutet nicht sofort, dass der Betreiber nicht selbstständig ist. Denn der Handelsvertreter hat nach § 86 Abs. 1 HGB die Interessen des Unternehmens zu wahren, wozu gerade im anonymen Massengeschäft eine einheitliche Verkaufsstrategie zählt.
Die Öffnungszeitenregelungen im Tankstellenvertrag führen nicht zur Weisungsgebundenheit. Sie geben nicht die persönliche Arbeitszeit des Tankstellenbetreibers vor (Fußnote).
Da der Betrieb einer Tankstelle im Regelfall die Haupttätigkeit des Betreibers darstellt ist er meistens nicht (nur) Handelsvertreter im Nebenberuf, für den gemäß § 92b Abs. 1 S. 1 HGB der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen wäre (Fußnote).
Zwar stellt der Betrieb einer Tankstelle einen einheitlichen Gewerbebetrieb dar. Für den Ausgleich im Shop- und Waschgeschäft, die regelmäßig Eigengeschäfte des Tankstellenbetreibers sind, gelten die in Kapitel elf und zwölf erörterten Besonderheiten.
Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Handelsvertreterausgleich für Tankstellenpächter“ von Harald Brennecke, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-026-7.
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Rechtsanwalt Harald Brennecke ist im Arbeitsrecht im speziellen Bereich der Mitarbeiterbeteiligungsmodelle tätig. Er berät, prüft und gestaltet Arbeitnehmerbeteiligungen wie Stock Options, Phantom Stocks, Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaften und anderen Modelle.
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