Europäisches Erbrecht – Teil 05 – Kollisionsrecht
5.4 Generelles
Die EuErbVO ist gem. Art. 83 I EuErbVO in zeitlicher Hinsicht auf alle Erbfälle anwendbar, die nach dem 17.08.2015 oder an diesem Tage eingetreten sind. Testamente und Erbverträge, die bereits zuvor errichtet und abgeschlossen wurden, gelten weiter. Auf alle Erbfälle, die bis einschließlich dem 16.08.2015 eingetreten sind, gilt Art. 25 EGBGB, eine Norm des deutschen Kollisionsrechts, die vor Erlass der ROM IV Verordnung aus deutscher Sicht bestimmte, welches Recht anzuwenden war. Falls es unklar ist, wann genau der Tod eingetreten ist, was zum Beispiel bei Verschollenen der Fall sein kann, richtet sich die Ermittlung des Todeszeitpunktes nach deutschem Recht, da dieser Bereich aus dem Regelungsbereich der EuErbVO ausgenommen ist. Zuständig für die Ermittlung sind die Art. 7 I S.1 und Art. 9 S.1 EGBGB.
5.5 Übersicht
Der Anwendungsbereich einer Verordnung oder eines Gesetzes wird traditionell in den sachlichen, den räumlichen und den zeitlichen Anwendungsbereich unterteilt. Es ist von äußerster Wichtigkeit, hier genau vorzugehen, da ein Flüchtigkeitsfehler dazu führen kann, dass ein „falsches“, das heißt ein nicht zuständiges Gesetz angewendet wird.
Praxistipp:
Wenn ein Erbfall mit Auslandsbezug vorliegt, muss als allererstes überlegt werden, ob der Anwendungsbereich der EuErbVO eröffnet ist. Dazu müssen alle folgenden Punkte mit „ja“ beantwortet werden. Falls einer der Punkte nicht mit „Ja“ beantwortet werden kann, sind andere Regelungen vorrangig, bzw. einschlägig und die Verordnung ist nicht heranzuziehen.
- Sachlich: handelt es sich bei dem Erbfall um einen Sachverhalt, für den die EuErbVO zuständig ist? (Im Folgenden werden die näheren Kriterien genannt)
- Räumlich: handelt es sich bei den beteiligten Staaten um EU-Mitgliedstaaten?
- Zeitlich: handelt es sich um einen Todesfall, der nach Inkrafttreten der Verordnung eingetreten ist?
6. Allgemeines Kollisionsrecht
Hat man in der Praxis ermittelt, dass es sich bei dem vorliegenden Erbrechtsfall mit Auslandsbezug um einen solchen handelt, der in den Anwendungsbereich der EuErbVO fällt, ist als nächstes zu überlegen, welche beiden (oder auch mehrere) nationalen Erbrechtsordnungen in Betracht kommen. Anschließend ist mithilfe der kollisionsrechtlichen Normen des dritten Kapitels der EuErbVO zu bestimmen, welche der beiden Rechtsordnungen angewendet werden darf.
6.1 Das Recht des Staates, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte
Nach Art. 21 I EuErbVO wird auf einen Erbfall mit internationalem Bezug das Erbrecht desjenigen Staates angewendet, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, falls dieser keine Rechtswahl vorgenommen hat.
Da in der EuErbVO das Prinzip der Nachlasseinheit gilt und Nachlassspaltungen vermieden werden sollen, können nicht für unterschiedliche Teile des Nachlasses unterschiedliche Rechtsordnungen ermittelt werden. Es ist also nicht vorgesehen, dass zum Beispiel für das Haus in Südfrankreich französisches Erbrecht gilt, für die Bankkonten in der BRD aber deutsches Recht.
Was mit dem Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ genau gemeint ist, ist unklar, da die EuErbVO keine weitere Erklärung oder Definition enthält. Vor allem ist es schwierig zu bestimmen, ob ein gewisser Zeitraum des Aufenthalts ausreichend ist, um von einem „gewöhnlichen Aufenthalt“ zu sprechen. Schwierig ist es beispielsweise, wenn jemand 70 Jahre lang in der BRD gelebt, dann aber ausgewandert ist, um seinen Ruhestand in Spanien zu verbringen. Dort lebt er in einem Umfeld, das weitestgehend von deutscher Sprache und Kultur geprägt ist und ist selbst des Spanischen nicht mächtig. Auch reist er mehrfach im Jahr nach Deutschland, um Familie und Freunde zu besuchen. Der gewöhnliche Aufenthalt wäre hier zwar eigentlich Spanien, man könnte aber auch so argumentieren, dass die Verbindungen zu Deutschland nie abgebrochen wurden und trotz endgültigem Umzug nach Spanien der gewöhnliche Aufenthalt so lange in Deutschland verbleibt, wie der Erblasser diese Verbindungen aufrechterhält. Wie dieses Beispiel gezeigt hat, kann die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthaltes im Einzelnen große Schwierigkeiten bereiten. Um Unklarheiten zu vermeiden, wird der gewöhnliche Aufenthaltsort daher in Anschauung der gesamten Lebensumstände des Erblassers ermittelt. Es sind vor allem folgende Fragen zu stellen:
- Wo war der letzte feste Wohnsitz/ wurde der vorige Wohnsitz dauerhaft aufgegeben?
- Hält sich der Erblasser in mehreren Staaten auf und hat dort auch jeweils einen festen Wohnsitz? In welchem Staat hält er sich vermehrt auf?
- Falls noch immer mehrere Staaten in Betracht kommen: Zu welchem Staat besteht die engere Bindung? (Hier sind beispielsweise familiäre Umstände und Freizeitaktivitäten sowie das soziale Umfeld zu untersuchen)
Die Änderung hin zum Recht des gewöhnlichen Aufenthalts, die mit der Einführung der EuErbVO in der BRD Geltung erlangte, mag von deutschen Staatsangehörigen als kompliziert und gewöhnungsbedürftig empfunden werden, da sie eine Abkehr vom vorher herrschenden Staatsangehörigkeitsprinzip darstellt. Allerdings bringt die Regelung auch Vorteile mit sich. Es kann nun viel leichter als früher durch einen Aufenthaltswechsel ein anderes Erbrecht zur Anwendung kommen, dessen Vorteile genutzt werden können.
Beispiel:
Ein deutscher Staatsangehöriger genießt seinen Ruhestand in der sonnigen Provence. Als er dort verstirbt, hinterlässt er sowohl sein Haus und Vermögen in der französischen Stadt Aix-en-Provence als auch ein Haus in Hamburg. Da seine Kinder und Enkel auch in Hamburg leben, nutzt er sein Haus in Hamburg für mehrmonatige Besuche, während derer er auch in seinem Fußballverein, in dem er schon seit Kindertagen Mitglied ist, immer willkommen ist. Wie viel Zeit genau er in Hamburg verbringt und wieviel in Aix-en-Provence ist völlig unterschiedlich und kommt ganz auf seine Lust und Laune an. Die möglichen Erben fragen sich, ob die Verteilung des Nachlasses sich nun nach deutschem oder französischem Erbrecht richtet.
- Gem. Art. 21 I EuErbVO ist zu ermitteln, wo sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers befand. Die Entscheidung fällt hier schwer, da der Erblasser sowohl in Deutschland als auch in Frankreich einen Wohnsitz unterhält und er in beiden Staaten soziale Verpflichtungen hat. Auch kann ein Schwerpunkt seines Aufenthaltes nicht ermittelt werden. In der Praxis würden nun die Lebensumstände noch ausführlicher untersucht werden, es zeichnet sich aber bereits hier ab, dass eine Entscheidung schwerfallen wird. Es ist dem Erblasser deshalb zu empfehlen, per Testament oder Erbvertrag festzulegen, dass das Recht seines Heimatstaates angewendet werden soll (sog. Rechtswahl gem. Art. 22 I EuErbVO, die im folgenden Abschnitt ausführlicher erläutert wird.). Es ist zu beachten, dass der Erblasser als deutscher Staatsangehöriger nur das deutsche Recht, nämlich das seines Heimatstaates, wählen kann. Trifft er keine Wahl, würde das französische Recht automatisch angewendet werden.
Bei Erblassern, die berufsbedingt oder aus sonstigen Gründen von Land zu Land reisen und gewissermaßen moderne Nomaden sind und daher die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts unmöglich machen, gilt es herauszufinden, zu welchem Staat die engste Verbindung bestand. Als Hilfsmittel dienen kann hier der Nachlass. Falls dieser überwiegend in dem Staat aufzufinden ist, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser besitzt oder in dem er aufgewachsen ist, spricht vieles dafür, diesen Staat als gewöhnlichen Aufenthalt gelten zu lassen.
Ist der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts ermittelt, das Ergebnis erscheint aber jedem als offensichtlich unsinnig, kann eine Ausnahme gemacht werden und das Recht eines anderen Staates angewendet werden, zu dem der Erblasser eine offensichtlich engere Verbindung hat. Dies wird auch relevant, wenn eine Rechtswahl zugunsten eines bestimmten Rechts vorgenommen wurde, aber die Verfügung von Todes wegen unwirksam ist (z. B. weil Formerfordernisse nicht eingehalten wurden) und deswegen auch die Rechtswahl nicht gelten würde. Wenn z.B. ein deutscher Staatsangehöriger in einem unwirksamen Testament das deutsche Recht gewählt hat und später für sein letztes Lebensjahr nach Italien auswandert und als gewöhnlicher Aufenthalt Italien ermittelt wird, sein Nachlass sich aber überwiegend in Deutschland befindet, wo auch seine Erben leben, ergibt es nur Sinn, eine Ausnahme zu machen und seine offensichtlich engere Verbindung zu Deutschland anzuerkennen.
Praxistipp:
Da die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthaltes manchmal sehr schwierig ist und je nach Gewichtung der einzelnen Kriterien auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist es dennoch zu empfehlen, in einer Verfügung von Todes wegen eine Rechtswahl vorzunehmen. Dies ist vor allem sinnvoll, da nicht damit gerechnet werden kann, dass im entsprechenden Fall die oben genannte Ausnahme gemacht wird.
Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Einführung ins europäische Erbrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-015-1.
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Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart
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