Europäisches Erbrecht – Teil 11 – Die Vor- und Nacherbfolge
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass ein Berliner Testament nach deutschem Recht in manchen Situationen auch ein gemeinschaftliches Testament im Sinne des Art. 3 I c. EuErbVO darstellen kann. Wenn es aber beispielsweise in mehreren Urkunden errichtet wurde, stellt es kein gemeinschaftliches Testament im Sinne der EuErbVO dar, es könnte dann aber überlegt werden, ob zwei einzelne Testamente vorliegen, was im Einzelfall zu ermitteln ist.
Deshalb ist es für Ehepaare mit deutscher Staatsangehörigkeit und einem nach deutschem Recht wirksamen Berliner Testament ratsam, im Testament eine Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts vorzunehmen. Dafür muss kein neues Testament aufgesetzt werden, sondern es genügt ein wirksamer Nachtrag zum alten Berliner Testament.
Beispiel
Die Eheleute Herr und Frau Funke, die schon seit längerem ein Faible für Süditalien haben, lassen sich dort im Ruhestand nieder. Nachdem sie ihr ehemaliges Ferienhaus bezogen haben, in dem sie nun dauerhaft wohnen, möchten sie ihren Nachlass regeln und schreiben handschriftlich mit Hilfe eines Kugelschreibers auf einen Bogen Papier ihr „gemeinschaftliches Testament“, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Dass deutsches Recht angewendet werden soll, ordnen sie nicht an, da sie sich sicher sind, dass dies bei einem Ehepaar mit der deutschen Staatsangehörigkeit eine Selbstverständigkeit sei. Nach dem plötzlichen Ableben des Herrn Funke fragt sich die Tochter der Eheleute, ob sie ein gesetzliches Erbrecht geltend machen kann.
- Es muss dafür überlegt werden, ob das Testament den gesetzlichen Vorgaben entspricht und damit wirksam ist. Zuerst muss ermittelt werden, ob sich die Wirksamkeit des Testaments nach deutschem oder nach italienischem Recht beurteilt. Nach der EuErbVO ist der gewöhnliche Aufenthalt relevant, so dass hier italienisches Recht angewendet wird. Die Eheleute Funke haben auch keine Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts vorgenommen. Nach italienischem Recht gibt es die Möglichkeit, in einer Urkunde Verfügungen von Todes wegen mehrerer Personen festzuhalten grundsätzlich nicht. Es existiert nach italienischem Recht auch keine Ausnahme für Ehegatten. Das Testament wurde also bereits nicht wirksam errichtet. Die Tochter der Eheleute kann also ihr gesetzliches Erbrecht geltend machen und erhält nach italienischem Recht (da sie das einzige Kind der Familie Funke ist) die Hälfte des Nachlasses. Frau Funke erhält die andere Hälfte und zusätzlich ein Wohnrecht in dem von ihr und ihrem Gatten bewohnten Haus. Im Gesamtergebnis erhält Frau Funke also deutlich weniger als wenn das gemeinsame Testament wirksam gewesen wäre. Es macht hier übrigens auch keinen Unterschied, ob das Testament in Deutschland oder in Italien errichtet wurde. Wenn es in Deutschland errichtet worden wäre, wäre es zwar nach deutschem Recht zunächst wirksam errichtet worden, mangels Rechtswahl würde es im Todesfall aber trotzdem nach italienischem Recht beurteilt werden und würde nicht anerkannt werden, da das italienische Recht ja kein gemeinsames Testament kennt.
8.1.4 Die Vor- und Nacherbfolge
Im deutschen Recht anerkannt ist die so genannte Vor- und Nacherbfolge. Bei dieser wird per Verfügung von Todes wegen das Vermögen an mehrere Personen vererbt, allerdings in zeitlich versetzter Reihenfolge.
Zunächst wird also ein Vorerbe gewählt, der unter gewissen Einschränkungen erbt. Mit Eintritt eines vom Erblasser bestimmten Ereignisses, geht dann das Erbe vom Vorerben auf den Nacherben über. Ein denkbares Ereignis wäre zum Beispiel der Eintritt der Volljährigkeit des Nacherben oder der Tod des Vorerben. Beim Tod des Vorerben kann dieser dann nicht frei bestimmen, wohin der geerbte Nachlass weitervererbt wird, sondern er geht ohne Einflussmöglichkeit auf den Nacherben über.
Sinnvoll ist diese Konstellation vor allem für Ehepaare, die so bestimmen können, dass der Nachlass des zuerst verstorbenen Ehepartners zunächst auf den überlebenden Ehepartner übergeht und erst nach dessen Tod der verbliebene Nachlass den Kindern zugesprochen wird.
Ein Nachteil an der Vorerben- Nacherben- Konstellation ist, dass der Erblasser selbstverständlich will, dass der Nacherbe noch etwas erbt und nicht völlig leer ausgeht, weil der Vorerbe das Vermögen verjubelt hat. Deshalb schützt das Gesetz den Nacherben, indem der Vorerbe nicht frei über den Nachlass verfügen darf, sondern strengen Beschränkungen unterworfen ist (beispielsweise darf der Vorerbe kein zum Nachlass gehörendes Grundstück veräußern).
Auf europäischer Ebene ist es wie beim Berliner Testament auch hier problematisch, dass viele Rechtsordnungen eine Vor- und Nacherbfolge nicht vorsehen und daher auch nicht anerkennen.
Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Einführung ins europäische Erbrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-015-1.
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Herausgeber / Autor(-en):
Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart
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