Handelsvertreterausgleich – Teil 13 – Bezifferung der Unternehmensvorteile
Herausgeber / Autor(-en):
Harald Brennecke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
5.2.3 Genaue Bezifferung der Unternehmensvorteile – Zukünftig Provisionsverluste
5.2.3.1 Grundlegendes
Soeben wurde dargelegt, wie der Neu- und Stammkundenanteil zu berechnen ist. Nur dieser Prozentsatz wird im Rahmen der Bewertung des Ausgleichsanspruchs berücksichtigt. Ausgangspunkt sind die Unternehmervorteile.
Nach § 89 Abs. 1 HGB besteht der Ausgleichsanspruch, soweit zukünftig Vorteile beim Unternehmer verbleiben. In der Regel entsprechen diese Vorteile die dem Tankstellenbetreiber zukünftig entgehenden Provisionsverluste (Fußnote).
Zur genauen Bezifferung reicht also eine Prognose der zu erwartenden Provisionsverluste mit den Stammkunden des Tankstellenbetreibers. Die Prognose basiert dabei nach gefestigter Rechtsprechung auf der Provision, die die Mineralölgesellschaft dem Tankstellenbetreiber in den letzten zwölf Vertragsmonaten gezahlt hat (Fußnote).
Eine Korrektur der Höhe erfolgt nur dann, wenn die Provisionszahlungen der letzten Monate keine repräsentative Basis für eine Zukunftsprognose darstellen (Fußnote).
Beispiel
Tankstellenbetreiber T führt erfolgreich eine Tankstelle an der Landstraße zwischen der Ortschaft A und B. In den Jahren 2013 bis 2017 erhielt er eine durchschnittliche Jahresprovision von 80.000 €. 2018 wird die Landstraße komplett erneuert. Durch eine mehrmonatige Straßensperrung und Einrichtung von Umgehungsstraßen wird die Tankstelle deutlich seltener befahren als normalerweise.
Für 2018 erhält T daher lediglich eine Provision in Höhe von 45.000 €. Anfang 2019 kündigt ihm der Tankstellenbetreiber wirksam.
Eine Berechnung der Unternehmervorteile auf Basis des Jahres 2018 führt offensichtlich zu keinem sachgerechten Ergebnis. Nach Beendigung der Bauarbeiten wird die Tankstelle den Gewinn der letzten Jahre wieder erzielen oder gar verbessern können. Die prognostizierten Unternehmervorteile sind daher höher als die gezahlten Provisionen.
- Außergewöhnliche Ereignisse werden bei der Prognose berücksichtigt.
Die Korrektur muss dabei nicht immer zugunsten des Tankstellenbetreibers ausfallen. In einem Fall aus dem Jahre 2009 zog der BGH einem Tankstellenbetreiber 15 % des Ausgleichs ab, da dort eine nahegelegene Wettbewerbstankstelle geschlossen wurde und der Betreiber dadurch außergewöhnlich viele Kunden gewinnen konnte (Fußnote).
In den Fällen außergewöhnlicher Provisionsschwankungen kann stattdessen ein Zeitraum gewählt werden, der die zukünftigen Vorteile des Unternehmens genauer widerspiegelt (Fußnote).
5.3.2 Provision als Berechnungsbasis
Wie gesehen wird die Provision als Grundlage für eine Zukunftsprognose benutzt. Sie schließt eine andere Festsetzung der Höhe nicht aus. Vor Änderung des § 89b Abs. 1 HGB konnte die Berechnung auf Grundlage der Provisionsverluste schon aus der Anspruchsnorm hergeleitet werden. In einem Urteil aus dem Jahre 2009 (Fußnote) stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Unvereinbarkeit der Notwendigkeit von Provisionsverlusten auf Seiten der Handelsvertreter fest. Der deutsche Gesetzgeber reagierte und änderte den § 89b HGB durch Gesetz am 31.7.2009 (Fußnote). Seither ist das Entgehen von Provisionsverlusten keine feste Voraussetzung mehr für das Bestehen des Ausgleichsanspruchs.
Dennoch wird auch nach Streichung hiesigen Tatbestandmerkmals die Provision als Faustformel für die Berechnung der Unternehmervorteile benutzt. Dies hat der BGH mehrmals bestätigt (Fußnote). Rechtliche Grundlage für das Zugrundlegen der Provision als Berechnungsbasis ist dabei die Möglichkeit des jeweiligen Tatrichters, nach § 287 Abs. 2 ZPO eine zulässige Schätzung vorzunehmen (Fußnote).
In der Praxis gibt es „die eine Provision“ nicht. Vielmehr setzen sich die Zahlungen aus verschiedenen Bestandteilen zusammen. Das HGB definiert den Begriff „Provision“ nirgends (Fußnote). § 89b Abs. 2 HGB benennt lediglich die Jahresprovision und die sonstige Jahresvergütung als Höchstgrenze für den Ausgleichsanspruch. Für die Ermittlung im Einzelfall sind nach § 89 Abs. 1 Nr. 2 HGB alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Für das Tankstellengeschäft bedeutet dies wiederum, dass nicht nur das variable (literbezogene) Provisionsentgelt des Tankstellenbetreibers berücksichtigt werden muss, sondern ebenso die Festvergütung erfasst wird (Fußnote).
Diese Festvergütung kann dabei eine (erfolgsunabhängige) Festprovision oder ein Öffnungszeitenzuschuss sein (Fußnote). Nach Ansicht der Rechtsprechung kann eine Dienstleistungspauschale für die Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten den Provisionen zugerechnet werden (Fußnote).
Die Rechtsprechung zeigt, dass unter den Provisionsbegriff sehr unterschiedliche Entgelte durch den Unternehmer fallen können. Dadurch variiert die Berechnungsgrundlage für die Unternehmervorteile (und damit für den Ausgleichsanspruch) sehr stark. Es muss im Einzelfall dabei genau analysiert werden, ob die Unternehmervorteile der Höhe nach den entgangenen Provisionen gleichen. Höchstrichterlich wurden bisher noch keine allgemeingültigen Festlegungskriterien entwickelt. So bleiben die Provisionsverluste als Berechnungsbasis des Ausgleichsanspruchs eine Einzelfallwürdigung durch den zuständigen Richter.
5.2.3.3 Prognose der Unternehmervorteile
Wurde die Provision der letzten zwölf Monate ermittelt, ist sodann zu prognostizieren, welche Vorteile der Tankstellengesellschaft künftig aus dem geworbenen Kundenstamm verbleiben werden (Fußnote).
Es kann nicht angenommen werden, dass der einmal geworbene Kundenstamm dem Unternehmer für immer verbleibt. Vielmehr wird eine sog. „Abwanderungsquote“ gebildet. In ständiger Rechtsprechung gilt die Annahme, dass sich jährlich 20 % der Stammkunden verflüchtigen und zu anderen Tankstellen wechseln (Fußnote).
Diese Quote ist nach Ansicht des BGH ein Erfahrungswert und wird dabei rechtliche auf das richterliche Schätzungsermessen nach § 287 Abs. 2 ZPO gestützt (Fußnote).
Dass diese Prognose im Einzelfall nicht mathematisch korrekt ist und die tatsächliche Entwicklung des Kundenstamms nicht exakt genau bestimmt liegt auf der Hand, ist jedoch praktisch notwendig, um überhaupt einen Anhaltspunkt für die Bewertung zu haben.
Die Quote gilt, solange keine tatsächlichen Anhaltspunkte für die tatsächlichen Kundenbewegungen vorliegen (Fußnote).
Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Handelsvertreterausgleich für Tankstellenpächter“ von Harald Brennecke, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-026-7.
Herausgeber / Autor(-en):
Harald Brennecke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.
Herausgeber / Autor(-en):
Harald Brennecke, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Rechtsanwalt Harald Brennecke ist seit Jahren im Bereich Franchiserecht und dem weiteren Vertriebsrecht tätig. Er gestaltet Franchisekonzepte und berät Franchisegeber beim Aufbau von Franchisesystemen und verwandten Partnerkonzepten. Neben der Prüfung von Franchiseverträgen namhafter bundesweiter Franchisegeber für verschiedene Franchisenehmergruppen hat er Erfahrung mit der Erstellung von Einzel-Franchiseverträgen wie Masterfranchiseverträgen.
Rechtsanwalt Brennecke berät hinsichtlich der Durchsetzung und den Grenzen der Franchisepflichten. Er vertritt bei Streitigkeiten der Franchisevertragspartner und bei der Kündigung des Franchisevertrages. Er begleitet Franchisenehmer und Franchisegeber bei der Einführung von zentralen Datenhaltungen, insbesondere unter dem oft übersehenen Blickwinkel des Datenschutzes.
Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Bereich Franchiserecht und Vertriebsrecht veröffentlicht:
- "Franchiserecht - Eine Einführung in das Recht des Franchising", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-15-1
- "Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-04-5
- "Die Provision des Handelsvertreters – Eine Einführung", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-14-4
- "Die Wettbewerbsabrede nach Beendigung des Handelsvertretervertrages", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8
Rechtsanwalt Brennecke ist Dozent für Franchiserecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:
- Franchisesysteme gründen – weitsichtige Planung von Franchise- und Partnersystemen
- Datenschutz in Franchisesystemen – das unterschätzte Problem
- Grundlagen der Franchise – wie Franchisenehmer gute Franchisesysteme erkennen
- Schuldübernahme des vorhergehenden Franchisenehmers nach 25 HGB als Risiko bei der Fortführung Franchisestandorte durch neue Franchisenehmer
Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Harald Brennecke unter:
Mail:brennecke@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0721-20396-28