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Haftung für Steuerverbindlichkeiten – Teil 22 – Entschließungsermessen

Einschränkungen bei der Ausübung des Ermessens bestehen dahingehend, dass sich das Finanzamt am Zweck der Ermächtigung orientieren und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten muss Fußnote). Der Zweck der Ermächtigung ergibt sich aus den Gründen, die der Gesetzgeber für die Inanspruchnahme und die einzelnen gesetzlichen Normen (Fußnote) vorgesehen hat. Primärer Zweck der Haftungsvorschriften ist die Sicherung von Steuereinnahmen. Die gesetzlichen Grenzen ergeben sich aus den gesetzlichen Tatbeständen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein Verstoß gegen den Zweck der Ermächtigung oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit führt dazu, dass der Haftungsbescheid inhaltlich falsch ist.

Die Finanzgerichte - als nächste Instanzen nach einem Einspruchsverfahren - können bei Ermessensentscheidungen nach § 102 FGO (Fußnote) die Entscheidung des Finanzamts nur eingeschränkt überprüfen. Eine Änderung des Haftungsbescheids ist danach nur möglich, wenn das Finanzamt einen der folgenden Fehler gemacht hat:

  • Ermessensüberschreitung
  • Ermessensunterschreitung
  • Ermessensfehlgebrauch

Allerdings entspricht im Normalfall die Inanspruchnahme aller in Frage kommenden Haftungspersonen und dies jeweils in vollem Umfang dem Absicherungsgedanken des Gesetzes.

9.1.4.1 Entschließungsermessen

Die Frage, ob überhaupt ein Haftungsbescheid ergehen soll, wird im Rahmen des Entschließungsermessens geprüft. Eine Inanspruchnahme hat zu erfolgen, wenn Vollstreckungsmaßnahmen gegen die GmbH keinen Erfolg bringen und deshalb der GmbH-Geschäftsführer als Haftungsschuldner heranzuziehen ist. Vollstreckungsmaßnahmen bringen regelmäßig keinen Erfolg, wenn über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren mangels Maße nicht eröffnet wurde.

9.1.4.2 Auswahlermessen

Kommen mehrere Haftungsschuldner in Frage, muss das Finanzamt wegen des sog. Auswahlermessenes eine Auswahl darüber treffen, wen es in Haftung nimmt, und diese Auswahl auch entsprechend begründen (Fußnote).

Insbesondere bei mehreren GmbH-Geschäftsführern finden sich deshalb im Haftungsbescheid auch Ausführungen zum Auswahlermessen. Dabei muss die Finanzbehörde zunächst würdigen, inwieweit das Fehlverhalten des einzelnen GmbH-Geschäftsführers für den Steuerschaden kausal war. Eine interne Aufgabenverteilung der GmbH-Geschäftsführer ist insoweit zu berücksichtigen, als diese Auswirkungen auf den Umfang der Verantwortung für steuerliche Pflichten hat (Fußnote). Deshalb ist primär der Geschäftsführer in Haftung zu nehmen, der für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten zuständig ist. Sind nach der internen Aufgabenverteilung mehrere Geschäftsführer für die steuerlichen Pflichten der GmbH zuständig, ist zu berücksichtigen, inwieweit den jeweiligen Geschäftsführen ein Verschulden vorgeworfen werden kann. So haftet in erster Linie der vorsätzlich handelnde Geschäftsführer und erst dann der grob fahrlässig handelnde Geschäftsführer.

Beteiligungsverhältnisse der Geschäftsführer sind hingegen nicht als Auswahlkriterium zu berücksichtigen (Fußnote). Ist jedoch einer der Geschäftsführer an der Erfüllung von steuerlichen Verpflichtungen gehindert, muss dies im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden (Fußnote).

Beispiel
F und M sind Geschäftsführer der X-GmbH. M ist zu 5 % und F zu 95 % beteiligt. Eine Aufgabenverteilung besteht zwischen F und M nicht. F wurde unerwartet schwanger und hat ihr Kind geboren. Hierfür nahm sie eine vierzehnwöchige Mutterschutzfrist und anschließenden Mutterschutzurlaub für die Zeit vom 13. Oktober bis zum 24. Mai des Folgejahres in Anspruch. Eine entsprechende Bescheinigung der Krankenkasse liegt vor. In dieser Zeit wurden für die GmbH keinerlei Steuererklärungen oder Steueranmeldungen abgegeben. Mitte Juni des Folgejahres wurde über das Vermögen der X-GmbH das Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt.

Für den Haftungszeitraum hat sich F genauso wie M nach §§ 34, 69 AO haftbar gemacht. Als Geschäftsführerin war F verpflichtet, die steuerlichen Pflichten der X-GmbH zu erfüllen. Im Haftungszeitraum hat sie jedoch die einbehaltene Lohnsteuer weder fristgerecht angemeldet noch an das Finanzamt abgeführt. F handelte auch grob fahrlässig, weil sie sich überhaupt nicht um die steuerlichen Angelegenheiten kümmerte.

  • Die Beteiligungsverhältnisse können nicht für die Auswahlentscheidung herangezogen werden, da § 69 an die Stellung als Geschäftsführer und nicht an die Beteiligungsverhältnisse knüpft.
  • Für die Haftung spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob F krank oder anderweitig an der Erfüllung ihrer Pflichten verhindert war. Denn von einem Geschäftsführer bzw. einer Geschäftsführerin wird erwartet, dass er oder sie für den Krankheits- oder Verhinderungsfall entsprechend Vorsorge trifft und dass diese Aufgaben von anderen qualifizierten Personen übernommen werden. Da hier jedoch noch ein weiterer Geschäftsführer die GmbH führte und keine Aufgabenteilung vereinbart war, musste F keine derartige Vorsorge treffen.
  • Die Pflichtverletzung von F entfällt auch nicht dadurch, dass sie innerhalb des Haftungszeitraums ein Kind geboren hat und sich ausweislich einer Bescheinigung ihrer Krankenkasse in der vierzehnwöchigen Mutterschutzfrist mit daran anschließendem Mutterschaftsurlaub nach dem Mutterschutzgesetz (Fußnote) befunden hat. Denn das MuSchG gilt nur für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Es gilt nicht für Organe juristischer Personen wie hier der GmbH-Geschäftsführerin. 
Allerdings ist die Geburt eines Kindes durch M während des Haftungszeitraums bei der Ausübung des Auswahlermessens zu berücksichtigen. Daher ist hier in erster Linie M als Haftungsschuldner heranzuziehen.

Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Haftung des Geschäftsführers für Steuerverbindlichkeiten“ von Monika Dibbelt, Rechtsanwältin und Carola Ritterbach, Rechtsanwältin mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-018-2.


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Als Bankrechtlerin berät und vertritt sie Bankkunden bei Beratungsfehlern von Darlehensvermittlern. Sie ermittelt Verletzungen der Aufklärungspflicht von Banken oder unterlassene Hinweise auf bestehende Interessenkonflikte bei Anlageempfehlungen, beispielweise bei unterlassener Information über Rückvergütungen. Sie unterstützt Bankkunden bei der Geltendmachung von Ansprüchen bei institutioneller Zusammenarbeit von Banken mit dem Anbieter des vermittelten Anlageproduktes.

Rechtsanwältin Ritterbach hat zu dem Thema veröffentlicht:

  • Die Beraterhaftung im Kapitalmarktrecht, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-30-4

Rechtsanwältin Ritterbach ist Dozentin für Haftungsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Bank- und Kapitalmarktrecht im Deutschen Anwaltsverein.

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