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Baugenehmigung – Teil 08 – Vorhabensbezogener Bebauungsplan

2.1.2.5 Vorhabenbezogener Bebauungsplan (§ 30 Abs. 2, 12 BauGB)

Ein vorhabenbezogener Bebauungsplan nach § 30 Abs. 2 BauGB ist ein Bebauungsplan, der sich auf ein bestimmtes Vorhaben bezieht. Dieser hat den Vorhaben- und Erschließungsplan eines Investors zum Gegenstand. Daher sind im vorhabenbezogenen Bebauungsplan nicht alle Festsetzungen, die der qualifizierte Bebauungsplan aufweist, vorhanden. Es handelt sich insbesondere um einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan, wenn der Investor bereit und in der Lage ist und sich zur Durchführung und zur Tragung der der Erschließungskosten ganz oder teilweise verpflichtet. Diese Verpflichtung muss zeitlich vor dem Beschluss der Gemeinde, den Bebauungsplan zu erlassen (§ 10 Abs. 1 BauGB) erfolgen, vgl. § 30 Abs. 2 i.V.m. § 12 BauGB.

2.1.2.6 Einfacher Bebauungsplan (§ 30 Abs. 3 BauGB)

Um einen einfachen Bebauungsplan nach § 30 Abs. 3 BauGB handelt es sich, wenn ein Bebauungsplan vorliegt, dieser aber nicht die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 BauGB erfüllt. Der Bebauungsplan also keine Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen i. S. d. § 9 BauGB enthält.

2.1.3 Ausnahmen und Befreiungen (§ 31 Abs.1, Abs. 2 BauGB)

Nach § 31 BauGB können unter bestimmten Voraussetzungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Ausnahmen und Befreiungen erteilt werden. Diese Norm ist Ausdruck der Einzelfallgerechtigkeit. Denn trotz des konkret-individuellen Regelungsgehalts der Bebauungspläne, können diese nicht ohne weiteres den spezifischen Besonderheiten bestimmter Grundstücke und deren bauliche Nutzbarkeit gerecht werden. Daher eröffnet § 31 BauGB die Zulassung von Vorhaben im Wege der Ausnahmegenehmigung (Abs. 1) oder der Befreiung von zwingenden Festsetzungen des – qualifizierten, vorhabenbezogenen oder einfachen – Bebauungsplans (Abs. 2).1

2.1.3.1 Ausnahmen

Ausnahmen können unter den in § 31 Abs. 1 BauGB geregelten Voraussetzungen erteilt werden von qualifizierten, vorhabenbezogenen und einfachen Bebauungsplänen. Die Ausnahmemöglichkeit bezieht sich nur auf die Festsetzungen eines Bebauungsplans, nicht aber auf die Verfahrensvorschriften oder bauordnungsrechtlichen Vorschriften der Landesbauordnungen. Auch eine Ausnahme vom Gebot der gesicherten Erschließung ist unmöglich, da es sich dabei nicht um eine Festsetzung handelt.2

Zudem müssen Ausnahmen den Gebietscharakter wahren. So sind Anlagen für Verwaltungen als Ausnahmen nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig, wenn diese Anlagen den Gebietscharakter gefährden, störend wirken und damit gebietsunverträglich sind.3

Die Erteilung von Ausnahmen unterliegt jedoch Beschränkungen. So darf ein Baugebiet durch zu häufige Erteilung von Ausnahmen nicht „kippen“. Die Gebietsstruktur darf durch die Ausnahmen nicht verändert werden. Hierfür kommt das Korrektiv des § 15 Abs. 1 BauNVO in Betracht. Danach sind Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach ihrer Anzahl der Eigenart des Baugebiets widersprechen (nähere Erläuterungen unter Punkt 1.1.5.).4

Grundsätzlich müssen die Ausnahmen mit der Zweckbestimmung des jeweiligen Gebiets noch vereinbar sein.5

2.1.3.2 Befreiung

Eine Befreiung kann nach § 31 Abs. 2 BauGB erfolgen. Die Befreiung stellt eine Durchbrechung des bauleitplanerischen Konzepts dar. Sie ist daher im Gegensatz zur Ausnahme nicht im Bebauungsplan vorgesehen. Sie ermöglicht daher eine Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans.6

Nach § 31 Abs. 2 BauGB liegt eine abweichende Situation vor, wenn

    • Gründe des Allgemeinwohls die Befreiung erfordern (Nr. 1) oder
    • die Abweichung städtebaulich vertretbar ist (Nr. 2) oder
    • die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (Nr. 3)

Weitere Voraussetzung ist, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden dürfen und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen vertretbar sein muss.7

Die Entscheidung liegt im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde.

Der erste Fall des § 31 Abs. 2 BauGB verlangt, dass Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern. Das liegt vor, wenn ein Gemeininteresse, dass bei der Festsetzung des Bebauungsplans noch nicht oder nicht in seiner konkreten Stärke abschätzbar war, eine Art Randkorrektur der planerischen Festsetzung erfordert.8 Die Gemeinwohlgründe beschränken sich dabei nicht auf spezifisch bodenrechtliche Belange, sondern erfassen alles, was gemeinhin unter den öffentlichen Belangen oder den öffentlichen Interessen zu verstehen ist.9 Zu den das Wohl der Allgemeinheit ausfüllenden Belangen zählen zum Beispiel die Erforderlichkeit sozialer Einrichtungen (Altenheime, Kindergärten), kultureller Einrichtungen (Theater, Museen) oder auch sportlicher Einrichtungen (Sportplätze, Turnhallen).10

Weiterhin muss die Befreiung aus Gründen des Allgemeinwohls erforderlich sein. Das liegt nach Sinn und Zweck der Vorschrift schon dann vor, „wenn es zur Wahrnehmung des jeweiligen Interesses vernünftigerweise geboten ist“.11 Dabei ist es nicht ausreichend, wenn die Befreiung dem Gemeinwohl nützlich ist. Andererseits ist es nicht notwendig, dass die Befreiung das einzig in Frage kommende Mittel ist, um das im jeweiligen Fall verfolgte öffentliche Interesse zu realisieren.12

Weiterhin kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Abweichung städtebaulich vertretbar ist, § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB. Das ist anzunehmen, wenn die Befreiung mit der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung entsprechend den Anforderungen des § 1 V und VI BauGB vereinbar ist.13 Städtebaulich vertretbar ist alles, was in einem Bebauungsplan planbar wäre.14

Darüber hinaus kann eine Befreiung erteilt werden, wenn die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde, § 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB. Eine solche Härte ist gegeben, wenn der Einzelfall in bodenrechtlicher Hinsicht Besonderheiten aufweist, die zur Folge hätten, dass das Grundstück bei Einhaltung des Bebauungsplans aufgrund seiner Lage, seiner Größe oder seines Zuschnitts nicht oder nur höchst begrenzt baulich genutzt werden könnte.15 Die Härte ist dann „offenbar nicht beabsichtigt“, wenn sie wegen der Besonderheiten der Grundstückssituation über das jedermann im Plangebiet durch die Festsetzungen des Bebauungsplans zugemutete Opfer hinausgeht.16

Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB kommt nur in Betracht, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Durch die Befreiungsentscheidung darf also nicht in die Planungshoheit der Gemeinde eingegriffen werden.17 Die Grundzüge der Planung werden daher umso eher berührt, je stärker die Befreiung in das planerisch erfasste Interessengeflecht der Gemeinde eingreift. Die Befreiung muss daher ein Sonderfall bleiben und darf nicht zu einem heimlichen Planänderungsverfahren gedeihen.18

Darüber hinaus muss die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Nach der Rechtsprechung gilt, dass das Vorhaben auch im Wege der Befreiung nicht zulassungsfähig ist, wenn es unter der Geltung des § 34 BauGB nicht genehmigt werden dürfte.19 Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn ein Vorhaben bei Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB nicht genehmigt werden dürfte, weil es sich in seine Umgebung nicht einfügt.

Zudem sind die nachbarlichen Interessen zu berücksichtigen. Diese Würdigung hat unabhängig davon zu erfolgen, ob diese Interessen sich auf nachbarschützende Vorschriften stützen können oder nicht.20 Dabei ist entscheidend, ob die durch die Befreiung eintretenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was einem Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist.21

Die diesbezügliche Entscheidung ist in das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde gestellt.22 Die Baugenehmigungsbehörde ist daher auch bei Vorliegen der Ausnahme- oder Befreiungsvoraussetzungen nicht verpflichtet, die Ausnahme zu erteilen oder von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu befreien. Im Einzelfall kann sich jedoch das Ermessen auf Null reduzieren, so dass daraus ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung folgt.23


[1] Stollmann, Öfftl BauR, § 13 Rn. 26.

[2] BVerwG, ZfBR 1986, 183 f.

[3] BVerwGE 116, 155.

[4] Gaentzsch, in: BerlKomm, § 31 Rn. 6.

[5] Stollmann, Öfftl BauR, § 13 Rn. 31.

[6] Stollmann, Öfftl BauR, § 13 Rn. 37.

[7] Stollmann, Öfftl BauR, § 13 Rn. 38.

[8] BVerwG, NJW 1979, 939.

[9] BVerwGE 56, 71; VGH Mannheim, BauR 2005, 147.

[10] Stollmann, Öfftl BauR, § 13 Rn. 42.

[11] BVerwG, BauR 1978, 387.

[12] Stollmann, Öfftl BauR, § 13 Rn. 43.

[13] BVerwG, DVBl. 1999, 782; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2007, 307.

[14] Gaentzsch, in: BerlKomm, § 31 Rn. 14.

[15] BVerwGE 40, 268.

[16] Finkelnburg/Ortloff/Kment, Öfftl BauR I, S. 346.

[17] Muckel/Ogorek, ÖfftlBauR, § 7 Rn. 62.

[18] Stollmann, Öfftl BauR, § 13 Rn. 46.

[19] BVerwGE 56, 71, 78.

[20] BVerwG, ZfBR 1987, 47,48.

[21] Finkelnburg/Ortloff/Kment, Öfftl. BauR I, S. 347, 348.

[22] vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rn. 4, 17 ff.

[23] Stollmann, Öfftl BauR, § 13 Rn. 49.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Recht der Baugenehmigung“ von Olaf Bühler, Rechtsanwalt erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-939384-90-8.


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