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Die Haftung für Steuerschulden – Teil 08 – Voraussetzungen für die Haftung des Betriebsübernehmers nach § 75 AO

9. Haftung des Betriebsübernehmers nach § 75 AO und § 25 HGB

Mit der Übernahme eines Betriebs geht die Haftung für bestehende Betriebssteuern mit auf den Erwerber über. Die Haftung des Betriebsfortführers kann sich aus § 75 AO und § 25 HGB ergeben.

Beide Normen haben unterschiedliche Voraussetzungen und unterscheiden sich im jeweiligen Umfang der Haftung und können demnach nebeneinander erfüllt sein.

9.1. Haftung nach § 75 AO

Die Haftung nach § 75 AO besteht für denjenigen, der

  • ein Unternehmen oder
  • einen in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betrieb

übernommen hat.

Ein Unternehmen ist jede

  • wirtschaftliche Einheit oder
  • organisatorische Zusammenfassung persönlicher oder sachlicher Mittel
  • zur Verfolgung wirtschaftliche Zwecke.[1]

Dabei bestehen sachliche und zeitliche Grenzen.

Bei einer mehrfachen Übereignung hintereinander trifft jeden Erwerber die Haftung. Die Haftungsübernahme gem. § 75 AO hat den Sinn und Zweck, dass der Erwerber eines Unternehmens nicht nur Gewinne und Vorteile erwirtschaften, sondern auch für die entstandenen Betriebssteuern haften soll. Die Erwerber haften für die Steuern und die Steuerabzugsbeträge des Unternehmens mit den ursprünglichen Steuerschuldnern als Gesamtschuldner zusammen.

Beispiel 1

Herr Hess betreibt einen Einzelhandelsbetrieb, den er am 01.01.2015 an Frau Bauer verkauft. Die Übergabe findet am 01.06.2015 statt.

Nach der Übereignung haftet sowohl Herr Hess, als auch Frau Becker für die bestehenden betrieblichen Steuern gem. § 75 AO als Gesamtschuldner.

9.1.1. Voraussetzungen

Die Haftung ist gegeben, wenn

  • ein Unternehmen oder Teilbetrieb
  • der lebt oder lebensfähig ist
  • im Ganzenübereignet wurde.

9.1.1.1. Unternehmen oder Teilbetrieb

Von dem Tatbestandsmerkmal des Unternehmens oder Teilbetriebs ist nicht erfasst

  • die bloße Übernahme von Teilen des Betriebsvermögens
  • der Erwerb im Rahmen der Gesamtnachfolge oder durch Unternehmenspacht.

Ein Unternehmen im Ganzen umfasst alle zum Unternehmen gehörenden Gegenstände, wie

  • Gegenstände
  • Forderungen
  • Schutzrechte
  • Knowhow
  • Verträge
  • Kundenadressen
  • Verbindlichkeitenetc.

Ein Teilbetrieb ist

  • eine innerhalb eines Gesamtunternehmens
  • weitgehend selbständige operative Einheit,
  • die aus eigenen Mitteln selbst überlebensfähig wäre.

Die Übereignung in mehreren Teilakten ist eine Übertragung im Ganzen, wenn die einzelnen Teile im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und der Wille auf den Erwerb des Unternehmens gerichtet ist.[2]

Beispiel 1

Frau Becker veräußert ihre Zahnarztpraxis mit allen Utensilien und Geräten an Frau Grund.

Es erfolgt eine Übernahme des Unternehmens.

9.1.1.2. Im Ganzen

Damit eine Übernahme des Unternehmens bzw. Teilbetriebes im Ganzen vorliegt, müssen

  • alle wesentlichen Betriebsgrundlagen
  • die bei Beginn der Übertragung vorhanden waren
  • vollständig auf den Erwerber übergehen.

Hierzu gehören

  • die Geschäftsgrundstücke
  • wichtige Geschäftsbeziehungen
  • wertvolle Betriebsvorrichtungen oder
  • andere wichtige Verträge, wie z.B. Miet- oder Pachtverträge.

Unwesentliche Betriebsgrundlagen sind in der Regel

der Firmenname

  • Waren
  • Geld
  • Forderungen
  • Personal oder
  • Schulden.

Beispiel 1

Herr Werner veräußert seinen Handwerkerbetrieb Hölzer GmbH an Herrn Buch. Umfasst sind davon u.a. der Mietvertrag von der Lagerhalle, alle Forderungen, alle Werkzeuge und sonstige Gegenstände und der Kundenstamm.

Hier liegt eine Übertragung des Unternehmens im Ganzen vor, da alle wesentlichen Bestandteile des Unternehmens mit veräußert werden.

9.1.1.3. Lebender und lebensfähiger Betrieb

Die Haftung des Betriebsübernehmers ist davon abhängig, dass er ein lebendes Unternehmen erwirbt.[3] Bei einer monatelangen Stilllegung liegt kein lebendes Unternehmen mehr vor. Eine kurzzeitige Stilllegung über einige Woche ist dagegen unbedeutend.

Entscheidend ist, ob das Unternehmen durch die Stilllegung seinen Charakter als lebender Organismus verloren hat. Wenn der Erwerber mit den auf ihn übergegangenen Gegenständen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen zur Fortführung des Unternehmens in der Lage ist, ist die Stilllegung unerheblich.

Beispiel 1

Der Handwerkerbetrieb von Herrn Werner Hölzer GmbH ist seit einigen Wochen stillgelegt. Als Herr Buch ihn übernimmt, muss er einige kleinere Erneuerungen in der Halle vornehmen und einige preiswerte Werkzeuge beschaffen.

Da hier nur eine kurzzeitige Stilllegung vorliegt und die Fortführung ohne nennenswerten finanziellen Aufwand möglich ist, ist die Hölzer GmbH ein lebensfähiger Betrieb, der übereignet werden kann.

Eine tatsächliche Fortführung ist nicht erforderlich, es reicht aus, dass sie ohne weiteres möglich ist.

Werden nach der Übernahme erhebliche Neuinvestitionen, also durchaus nennenswerte finanzielle Aufwendungen getätigt, steht dies der Annahme eines lebenden Unternehmens nicht entgegen, solange das Unternehmen auch ohne diese erheblichen Neuinvestitionen hätte fortgeführt werden können.

Ein lebendes Unternehmen ist nicht gegeben, wenn ein Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt wird oder wenn wesentlich verwertbare Betriebsgrundlagen im Eigentum Dritter stehen.

Beispiel 2

Die Hölzer GmbH ist überschuldet und hat Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Dieser Antrag wurde abgelehnt, da die noch zur Verfügung stehenden Mittel nicht mal ausreichen, um die Verfahrenskosten zu begleichen.

Die Hölzer GmbH ist kein lebensfähiges Unternehmen.

9.1.1.4. Übereignung

Mit Übereignung des Unternehmens ist gem. § 75 I AO sowohl ein entgeltliches als auch ein unentgeltliches Rechtsgeschäft erfasst.

Damit ist § 75 AO beispielsweise anwendbar

  • bei einem Kauf
  • einer Schenkung oder
  • einem Tausch.

Eine Übereignung liegt vor, wenn der Erwerber über das Unternehmen wirtschaftlich wie ein Eigentümer verfügen kann. Damit fällt auch der Erwerb unter Eigentumsvorbehalt unter § 75 I AO.

Keine Übereignung im Sinne von § 75 AO ist die

  • Sicherungsübereignung gem. § 39 AO,
  • Gesamtrechtsnachfolge z.B. durch Erbschaft gem. § 1922 BGB
  • Anwachsung gem. § 742 BGB oder
  • die Betriebsverpachtung im Ganzen nach § 581 BGB.

Die Haftung des Betriebsübernehmers ist nach § 75 II AO beim Erwerb aus einer Insolvenzmasse oder im Vollstreckungsverfahren ausgeschlossen.

Beispiel 1

Das Unternehmen von Herrn Becker wird mit seinen Büroräumen, der Ausstattung, dem Kundenstamm usw. im Ganzen von Frau Bauer aus einer Insolvenzmasse herausgekauft. Herr Becker hat in den vergangenen Monaten keine Gewerbesteuer gezahlt.

Die Haftung bei der Unternehmensübernahme nach § 75 AO gilt nicht für Käufe aus einer Insolvenzmasse, so dass Frau Bauer für die Steuerschulden des Unternehmens von Herrn Becker nicht haftet.

Eine Übereignung im Ganzen ist zivilrechtlich nicht möglich. Die Gegenstände müssen einzeln übertragen werden.

Eine Übereignung kann allerdings einzelne Übertragungsvorgänge, wie

  • Übereignung einzelner Gegenstände
  • Abtretung von Forderungen
  • Übernahme von Personal
  • Eintritt in Miet- oder Pacht- oder anderen Verträgen

beinhalten.

Die Übereignung des ganzen Betriebs ist mit der Übereignung der letzten wesentlichen Betriebsgrundlage erfüllt.

[1] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) Zu § 75 Nr. 3.1.

[2] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) Zu § 75 Nr. 3.2.

[3] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) Zu § 75 Nr. 3.3.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Haftung für Steuerschulden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-39-7.


 

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Kontakt: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2016


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Herausgeber / Autor(-en):

Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht

Portrait Carola-Ritterbach

Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten.  Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren.  Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte. 
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.

Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:

  • Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
  • Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
  • Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
  • Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
  • Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
  • Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
  • Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7

Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so

  • Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren

Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
 Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:

  • Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
  • Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
  • Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
  • Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
  • Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
  • Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
  • Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter

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Mail: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0721-20396-28

 

Normen: § 75 AO, § 25 HGB

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