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Erbrecht für Unternehmer - Teil 16 - Pflichtteilsergänzung

5.3.7 "Flucht in die Pflichtteilsergänzung"

Reduzierungen des Pflichtteils sind nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen möglich, aber in der Praxis oft gewollt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Erblasser Pflichtteilsberechtigten möglichst wenig zukommen lassen möchte. Ein gänzlicher Ausschluss von Pflichtteilsberechtigten ist jedoch nicht möglich. Es existieren jedoch Möglichkeiten, die Ansprüche der Pflichtteilsberechtigten erheblich zu reduzieren.

Eine Reduzierung findet dann statt, wenn der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten etwas vor dem Erbfall hat zukommen lassen, das dann von dem Pflichtteilsanspruch abzuziehen ist, § 2315 BGB. Voraussetzung ist jedoch, dass der Erblasser eine Anrechnung auf den Pflichtteilsanspruch vor Vornahme der Zuwendung angeordnet hat. Die Anordnung kann formfrei und damit sogar mündlich erfolgen; man muss dafür nicht zu einem Notar gehen. Aus Beweisgründen wird aber zumindest eine schriftliche, wenn nicht sogar eine notarielle Vereinbarung zu empfehlen sein. Der Erblasser kann nicht wegen früher getätigten Schenkungen nachträglich die Anrechnung auf den Pflichtteilanspruch anordnen

Beispiel

Erblasser E hat vor 17 Jahren seinem Sohn S 15.000 € geschenkt, da dieser in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Jahre später haben E und S sich verstritten. E hat S von der Erbfolge ausgeschlossen und möchte ihm auch sonst möglichst wenig von seinem Erbe zukommen lassen.

  • Da S kein Erbe des E wird, er als Sohn aber gesetzlicher Erbe ist, steht ihm nur ein Pflichtteilsanspruch zu. Auf diesen Pflichtteilsanspruch können Zahlungen angerechnet werden, welche der Erblasser an den Pflichtteilsberechtigten vorgenommen hat. Voraussetzung ist aber, dass der Erblasser diese Anrechnung bei der Vornahme der Schenkung angeordnet hat. E hat dem S die 15.000 € aber ohne eine solche Anordnung geschenkt. Eine nachträgliche Anordnung ist nicht möglich.

Ausnahmsweise besteht eine rechtliche Möglichkeit, früher getätigten Schenkungen doch noch im Rahmen der Pflichtteilsansprüche zu berücksichtigen. Diese rechtliche Gestaltungsmöglichkeit nennt man die "Flucht in die Pflichtteilsergänzung". Dafür muss der Erblasser selbst vor seinem Todesfall tätig werden.

Sowohl bei einem Pflichtteilsanspruch, als auch bei einem Pflichtteilsergänzungsanspruch können vor dem Erbfall vom Erblasser getätigte Zuwendungen berücksichtigt werden. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass es bei einer Anrechnung auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch keiner Anordnung seitens des Erblassers bedarf, soweit es sich um Schenkungen handelt.

Um diese unterschiedliche rechtliche Regelung für sich nutzbar zu machen, muss der Erblasser dafür sorgen, dass dem Pflichtteilsberechtigten kein Pflichtteilsanspruch, sondern nur ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zusteht. Ein solcher Pflichtteilsergänzungsanspruch entsteht dann, wenn der Erblasser ein wertmäßig unter dem Pflichtteil liegendes Erbe zugesprochen bekommt. Dies kommt zum Tragen, wenn der Erblasser sein Vermögen in den letzten zehn Jahren vor seinem Erbfall durch Schenkungen geschmälert hat, § 2325 BGB. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch hat den Hintergrund, dass der Erblassers sein Vermögen nicht durch Schenkungen soweit reduzieren kann, dass für den Pflichtteilsanspruchsberechtigten kein Vermögen mehr übrig bleibt.

Überträgt der Erblasser vor seinem Tod sein Vermögen auf einen Dritten - in der Regel seinen Erben - so reduziert sich der Pflichtteilsanspruch. Ist kein Vermögen mehr vorhanden, kann auch kein Pflichtteilsanspruch bestehen.

Macht der Pflichtteilsberechtigte nun seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend, muss er sich auf diesen sämtliche Geschenke anrechnen lassen, die er bereits erhalten hat. Diese Anrechnung bedarf keiner vorherigen Anordnung des Erblassers. Durch die Anrechnung des Eigengeschenks in voller Höhe kann sich der Pflichtteilsanspruch reduzieren.[1]

Beispiel

Erblasser E hat vor 17 Jahren seinem Sohn S 15.000 € geschenkt, da dieser in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Jahre später haben E und S sich verstritten. E hat S von der Erbfolge ausgeschlossen und möchte ihm auch sonst möglichst wenig von seinem Erbe zukommen lassen. Daher verschenkt er sein ganzes Vermögen - 300.000 € - zwei Jahre vor seinem Tod an seine Tochter T. Bis auf S und T gibt es keine weiteren Erben.

  • Da S von der Erbfolge ausgeschlossen ist, steht ihm nur ein Pflichtteilsanspruch zu. Dieser beträgt grundsätzlich die Hälfte der gesetzlichen Erbquote. Bei zwei Kindern beträgt die gesetzliche Erbquote je 1/2, der Pflichtteil des S also 1/4. Hat der Erblasser jedoch kein Vermögen mehr, dann besteht kein Pflichtteilsanspruch. Ist kein Vermögen vorhanden, kann auch keins aufgeteilt werden.
  • S könnte allenfalls ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehen, wenn E sein Vermögen in den letzten 10 Jahren vor seinem Tod verschenkt hat. Diese Schenkungen werden seinem Nachlass dann hinzugerechnet. E hat zwei Jahre vor seinem Tod sein Vermögen an seine Tochter verschenkt. Da die 10 Jahre noch nicht abgelaufen sind, ist die Schenkung an die Tochter dem Nachlass hinzuzurechnen. Jedoch nur 80 %. Der Nachlass beträgt demnach 240.000 €. Weder die Schenkung an T noch die an S müssen - mangels Anordnung - auf den jeweiligen Anspruch angerechnet werden. Daher erhält S 1/4 der 240.000 € und damit 60.000 €. T erhält den Rest - 180.000 €.


[1] Michalski, § 17 IV 7 Rn. 559ff.; 600ff.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Erbrecht für Unternehmer“ von Harald Brennecke, Rechtsanwalt, und Wolfgang Theissen, Rechtsanwalt, und Julia Külzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-94-6.


Kontakt: brennecke@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2019


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Herausgeber / Autor(-en):

Harald Brennecke, Rechtsanwalt

Portrait Harald-Brennecke

Harald Brennecke ist seit 1997 mit erbrechtlichen Mandaten befasst.
Als Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht berät er insbesondere bei der Gestaltung von Unternehmertestamenten, der Übertragung von Unternehmensanteilen und der Ausarbeitung von Unternehmererbverträgen im Hinblick auf die Sicherung der Unternehmensnachfolge. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät er Erben und potenzielle Erben bei überschuldetem Nachlass in Bezug auf Erbausschlagung, Dürftigkeitseinreden und der Beantragung und Begleitung bei Nachlassinsolvenzverfahren.
Er berät weiterhin bei der Erstellung von Testamenten und der Gestaltung von Vermögensübergängen, insbesondere aus erbschaftssteuerlicher Sicht und der Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften. Er berät bei Pflichtteilsansprüchen, Vermächtnissen sowie bei Fragen der Vorerbschaft und Nacherbschaft. Er begleitet Erben bei der Beantragung von Erbscheinen und der Abwicklung der Erbschaft.

Harald Brennecke hat im Erbrecht veröffentlicht:

  • "Erbrecht – Eine Einführung“ von Harald Brennecke und Dr. Maren Augustin, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-17-5
  • „Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen“, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8

Bereits 1999 war er Experte für Erbrecht in einer Serie von Live-Fernsehsendungen.
Rechtsanwalt Brennecke ist Dozent für Erbrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Erbrecht für Steuerberater – Grundlagen des Erbrechts als Basis erbschaftssteuerrechtlicher Beratung
  • Der überschuldete Nachlass: Nachlassinsolvenz, Dürftigkeitseinrede oder Ausschlagung ?
  • Unternehmensnachfolge erfolgreich gestalten
  • Erbschaftssteueroptimierte Vermögensübertragung

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Normen: § 2315 BGB, § 2325 BGB

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