Gewerbesteuer - Teil 04 - Rückwirkungsverbot
Herausgeber / Autor(-en):
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
2.3.3 Rückwirkungsverbot
Um seine eigenen Steuereinnahmen zu maximieren, regelt der Gesetzgeber bei Gesetzesänderungen häufig, dass sich steuerliche Belastungen rückwirkend negativ auf die Vermögensdispositionen des Steuerpflichtigen auswirken.
Beispiel
§ 8 GewStG enthält zahlreiche Hinzurechnungstatbestände für den gewerbesteuerlichen Gewinn. Der Gesetzgeber beschließt am 15.10.2016 eine Erweiterung dieser Hinzurechnungstatbestände, die rückwirkend zum 1.1.2015 in Kraft tritt.
- Die von § 8 GewStG betroffenen Betriebe haben bis zum 15.10.2016 darauf vertraut, dass weiterhin nur die bisherigen Hinzurechnungstatbestände bestehen. Durch die Rückwirkung zum 1.1.2015 werden die erweiterten Hinzurechnungstatbestände auch schon für die Vergangenheit angewendet.
Um den Steuerpflichtigen vor solchen „Gemeinheiten“ des Gesetzgebers effektiv zu schützen und seinem Vertrauensschutz hinreichend Rechnung zu tragen, gilt im Steuerrecht das sogenannte Rückwirkungsverbot. Das BVerfG leitet dieses aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip her. Das Rückwirkungsverbot gilt anders als im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG) nicht absolut. Im Steuerrecht wird zwischen tatbestandlicher Rückanknüpfung bzw. unechter Rückwirkung und der Rückbewirkung von Rechtsfolgen bzw. echter Rückwirkung unterschieden. Maßgeblich hierfür ist der Tag vom Beschluss des Gesetzgebers.
Beispiel 1 (zur tatbestandlichen Rückanknüpfung)
Um die Herausforderungen der Flüchtlingskrise besser meistern zu können, beschließt der Bundestag am 10.10.2016 mit Zustimmung des Bundesrats rückwirkend zum 1.1.2016 eine Erhöhung des Gewerbesteuermessbetrags, der zu einer durchschnittlichen Erhöhung der Gewerbesteuer um 10 % führt.
- Die Änderung, die am 10.10.2016 vom Gesetzgeber beschlossen wurde, bezieht sich noch auf den laufenden Veranlagungszeitraum 2016 und entfaltet nur für diesen Rückwirkung. Die Gewerbesteuer ist eine Jahressteuer, so dass eine Veränderung im laufenden Veranlagungszeitraum eine tatbestandliche Rückanknüpfung bedeutet. Die Rechtsfolgen treten mit Abschluss des Jahres 2016 ein. Folglich liegt eine tatbestandliche Rückanknüpfung vor.
Beispiel 2 (zur Rückbewirkung von Rechtsfolgen)
Der Gesetzgeber beschließt am 15.10.2016 eine Erweiterung der Hinzurechnungstatbestände des § 8 GewStG, die rückwirkend zum 1.1.2015 in Kraft tritt.
- Es liegt eine Rückbewirkung von Rechtsolgen vor, da zum Zeitpunkt des Beschlusses die Steuerschuld wegen Ablaufs des Veranlagungszeitraums 2015 bereits entstanden war und der Steuerpflichtige mit einer Änderung nicht mehr rechnen musste.
Eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip und ist grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme ist nur dann möglich, wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht – oder nicht mehr – vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung gestattet. Die erste Fallgruppe der zwingenden Gründe des gemeinen Wohls ist dann gegeben, wenn vorher eine unklare und/oder verworrene Rechtslage bestand, das bestehende Recht ungültig oder dessen Gültigkeit jedenfalls zweifelhaft war. Die zweite Fallgruppe des nicht oder nicht mehr schutzwürdigen Vertrauens liegt vor, wenn der betroffene Personenkreis mit einer Änderung rechnen musste. Dies ist nach der Rechtsprechung des BVerfG dann der Fall, wenn die Änderung von der Bundesregierung bereits öffentlich angekündigt wurde (BVerfG, DStRE 1998, 270, 274 f.).
Anders als die Rückbewirkung von Rechtsfolgen ist eine tatbestandliche Rückanknüpfung verfassungsrechtlich regelmäßig zulässig. Das BVerfG geht davon aus, dass die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit das Vertrauen der Betroffenen in den Fortbestand der alten Regelung für gewöhnlich überwiegt.
Beispiel
Lizenzaufwendungen waren nach bisherigem Recht auch dann abzugsfähig, wenn sie an ein Unternehmen geleistet werden, welches seinen Sitz in einem Niedrigsteuerland mit einer Besteuerung von durchschnittlich weit unter 10 % hat. Aufgrund dieser günstigen Regelung haben viele Firmen ihren Sitz in ein Niedrigsteuerland verlegt und einer deutschen Tochtergesellschaft Lizenzrechte gewährt. Die Tochtergesellschaft zahlte dafür Lizenzaufwendungen und zog diese in vollem Umfang als Betriebsausgabe ab. Im Niedrigsteuerland wurden die Lizenzeinnahmen nicht oder nur marginal besteuert. Zur Vermeidung dieser Steuerverschiebungen führt der Gesetzgeber am 31.10.2016 eine Lizenzschranke ein, die rückwirkend zum 1.1.2016 einen Teil solcher Lizenzaufwendungen für nicht abzugsfähig erklärt.
- Es liegt ein Fall tatbestandlicher Rückanknüpfung vor, denn die Rückwirkung betrifft den noch laufenden Veranlagungszeitraum 2016. Die Rückwirkung unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da das Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler an der Vermeidung von solchen Steuerverschiebungen dem Vertrauen des Einzelnen vorgeht.
Ausnahmsweise ist eine tatbestandliche Rückanknüpfung dann unzulässig, wenn die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt ist, mithin die Änderung „über Gebühr“ in die Grundrechte des Steuerpflichtigen eingreift. Dass das BVerfG ein tatbestandlich rückwirkendes Steuergesetz für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig erklärt, kommt allerdings nur „alle Jubeljahre“ vor.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Gewerbesteuer“ von Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, und Patrick Christian Otto, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-90-8.
Herausgeber / Autor(-en):
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Stand: Januar 2019