Internationales Steuerrecht – Teil 06 – Systematik
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
3.6.1 Systematik
Den OECD-MA liegt die Kollision zwischen unbeschränkter Besteuerung im Wohnsitzstaat und beschränkter Besteuerung im Quellenstaat zugrunde. An dieser Ausgangssituation setzt das OECD-MA mit dem Ziel an, den Doppelzugriff auf Steuerpflichtige und Steuerquellen zu vermeiden. Im Idealfall soll es demnach zu keiner Überschneidung mehr kommen.
Grundlegend für das Verständnis der Wirkungsweise der OECD-MA ist die Stellung der Staaten als Quellenstaat oder als Wohnsitzstaat. Nimmt das OECD-MA Bezug auf den Wohnsitzstaat, so ist in der Regel die Rede von „einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person“, seltener von „einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Person“. Spricht das Abkommen den Quellenstaat an, so verwendet es korrespondierend mit der Wortwahl für den Wohnsitzstaat den Begriff „anderer Vertragsstaat“, seltener spricht es von „einem Vertragsstaat“.
Dabei kommt nicht einem Staat die ausschließliche Rolle als Quellen- oder Wohnsitzstaat zu, sondern die Staaten sind wechselseitig angesprochen. Ein Staat ist für die in seinem Staatsgebiet ansässigen Personen Wohnsitzstaat und für die im anderen Vertragsstaat ansässigen Personen ist er Quellenstaat.
Für die Vermeidung der Doppelbesteuerung verwendet das OECD-MA zwei ineinandergreifende Regelungsebenen:
- Die Art. 6 bis 22 OECD-MA, auch als Schrankennormen bekannt, legen für den Quellenstaat fest, welche Steuerberechtigung diesem Staat für die einzelnen Einkunfts- und Vermögenskategorien verbleibt. Die Steuerberechtigung des Quellenstaates kann aufgehoben, aufrechterhalten oder in der Besteuerungsgrundlage bzw. der Besteuerungshöhe beschränkt werden. Da sich die Schrankennormen nur in Ausnahmefällen an den Wohnsitzstaat richten, bleibt das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates von den Schrankennormen grundsätzlich unangetastet. Der Wohnsitzstaat darf nach der Systematik des Abkommens alle Einkünfte beziehungsweise jedes Vermögen des Steuerpflichtigen besteuern. Durch die Schrankennormen allein wird daher in der Regel eine Doppelbesteuerung noch nicht vermieden. Es bedarf einer zweiten Regelungsebene.
- In Abhängigkeit von der Quellensteuerberechtigung, die dem Quellenstaat nach den Art. 6 bis 22 OECD-MA verbleibt, bestimmt Art. 23 OECD-MA als „Methodenartikel“, auf welche Weise – Anrechnung oder Freistellung – der Wohnsitzstaat eine Doppelbesteuerung auszugleichen hat. Die Beschränkung der Besteuerungsrechte des Wohnsitzstaates besteht in der Freistellung ausländischer Einkünfte von der eigenen Besteuerung beziehungsweise in der Anrechnung der Steuern des anderen Vertragsstaates auf die eigene Steuer.
Die Art. 6 bis 22 OECD-MA und der Art. 23 OECD-MA stehen in einem aufeinander abgestimmten Wirkungszusammenhang. Immer wenn nach den Art. 6 bis 22 OECD-MA ein Besteuerungsrecht des Quellenstaates aufrechterhalten bleibt, muss der Wohnsitzstaat nach Art. 23 OECD-MA Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ergreifen.
Beide Regelungskategorien stellen ein System von Steuerverzichten dar, durch das eine Doppelbesteuerung vermieden wird und gleichzeitig die beteiligten Staaten in angemessener Weise am Steueraufkommen beteiligt werden.
Beispiel
Die französische Kapitalgesellschaft A zahlt ihrem Anteilseigner B aus Berlin die jährliche Dividende von 150.000 EUR aus. Zwischen Deutschland und Frankreich besteht ein DBA, das dem OECD-MA entspricht. Nach Art. 10 Abs. 1 OECD-MA können Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, im anderen Staat besteuert werden. Nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 OECD-MA können diese Dividenden jedoch auch in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden.
- Der Wohnsitzstaat des Empfängers, Deutschland, kann die Dividenden einer im Quellenstaat ansässigen Gesellschaft besteuern. Demnach kann der Quellenstaat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, besteuern.
Die Schrankennorm des Art. 10 OECD-MA führt noch nicht zu einer Vermeidung der Doppelbesteuerung. Erst aus dem Zusammenspiel mit dem Art. 23 OECD-MA ergibt sich, auf welche Weise der Wohnsitzstaat die Doppelbesteuerung auszugleichen hat.
Das OECD-MA stellt den Vertragsstaaten die beiden Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Anrechnung bzw. Freistellung) als gleichberechtigte Alternativen zur Verfügung.
Beispiel
Der in Deutschland ansässige A ist an einer australischen Kapitalgesellschaft, die einer deutschen AG entspricht, beteiligt. Von dieser erhält A eine Dividende in Höhe von 10.000 EUR. Zwischen Deutschland und Australien besteht ein DBA, das dem OECD-MA entspricht.
- Nach Art. 10 Abs. 1 OECD-MA kann die Dividende in Deutschland als Wohnsitzstaat von A besteuert werden. Darüber hinaus kann Australien als Quellenstaat die Dividende besteuern, da die australische Kapitalgesellschaft als die Dividende zahlende Gesellschaft in Australien ansässig ist. (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 OECD-MA).
- Nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Buchstabe b OECD-MA darf die Steuer aber 15 % nicht übersteigen. Demnach behält Australien eine Kapitalertragsteuer von 1.500 EUR ein. In Deutschland als Ansässigkeitsstaat versteuert A die Bruttodividende im Rahmen seiner unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG; § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG).
- Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG unterliegen in Deutschland der Abgeltungsteuer gemäß § 32d EStG. Dividenden werden demnach mit einem Einkommensteuersatz in Höhe von 25 % besteuert. A muss also eine Einkommensteuer von 2.500 EUR zahlen. A ist mit der australischen Quellensteuer in Höhe von 1.500 EUR und der deutschen Einkommensteuer in Höhe von 2.500 EUR belastet. Hätte A eine Dividende einer deutschen Aktiengesellschaft empfangen, so hätte er nur eine Einkommensteuer in Höhe von 2.500 EUR zahlen müssen.
- Durch alleinige Anwendung der Schrankennorm des Art. 10 OECD-MA ist eine Doppelbesteuerung folglich noch nicht vermieden.
- Aus diesem Grund ist Deutschland als Wohnsitzstaat gemäß Art. 23 B Abs. 1 Buchstabe a OECD-MA verpflichtet, die in Australien abgeführte Kapitalertragsteuer entsprechend anzurechnen.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Steuerrecht“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin und Monika Dibbelt, Rechtsanwältin und Jens Bierstedt, Wirtschaftsjurist erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-004-5.
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Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
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LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
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Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten. Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren. Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte.
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.
Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:
- Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
- Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
- Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
- Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
- Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
- Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
- Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7
Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so
- Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren
Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:
- Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
- Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
- Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
- Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
- Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
- Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
- Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter
Kontaktieren Sie Rechtsanwältin Ritterbach unter:
Mail: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0721-20396-28
Monika Dibbelt, Rechtsanwältin
Rechtsanwältin Monika Dibbelt berät in allen Fragen rund um berufsrechtliches Verhalten und berufsrechtliche Ahndungen, hierbei liegt ein Fokus im Bereich der Anstellung von Freiberuflerin in Kanzleien, Sozien oder als Syndici.
Ein weiterer Interessenschwerpunkt von Rechtsanwältin Dibbelt ist das Insolvenzarbeitsrecht. Hierbei berät Frau Dibbelt die Mandanten hinsichtlich der Fragen, ob ein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht und unterstützt bei der Antragstellung. Ein weiterer Fokus ist die Beendigung von Arbeits- und Anstellungsverträgen im Rahmen der Krise, des vorläufigen Insolvenzverfahrens sowie des eröffneten Insolvenzverfahrens. Sie berät und begleitet Mandanten, die im Rahmen von Verhandlung des Insolvenzverwalters von ggf. erforderlichen Kollektivvereinbarungen (Interessenausgleich, Insolvenzsozialplan, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarungen etc.) oder auch im Rahmen von Betriebsübergängen betroffen sind.
Rechtsanwältin Dibbelt ist Dozentin für AGB-Recht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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- Arbeitsrechtliche und Berufsrechtliche Pflichten bei Anstellungsverhältnissen von Freiberuflern
- Lohnansprüche in der Krise und Insolvenz
- Rechte und Ansprüche des Arbeitnehmers in der Insolvenz
- Bedeutung Betriebsübergang und –änderungen in der Insolvenz
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