Insolvenzrecht und Restschuldbefreiung in Europa - Teil 02 - Insolvenztourismus Teil 2
Herausgeber / Autor(-en):
Harald Brennecke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
Eva Otépková
wissenschaftliche Mitarbeiterin
2.3. Absichtliche Verlagerung des Wohnsitzes des Schuldners
Der Insolvenztourismus wird durch die Verlagerung des Wohnsitzes des Schuldners in ein anderes Land gekennzeichnet. Die im Rahmen der Europäischen Union geltende Europäische Insolvenzverordnung nennt als maßgebliches Kriterium zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (im folgenden COMI). Nach den Bestimmungen der EuInsVO ist das COMI der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für dritte erkennbar ist. Oft wird der Begriff des Wohnsitzes zur Konkretisierung des COMI herangezogen; ebenso zahlreich wird auf den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts abgestellt. Verlegt der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in ein anderes Land, um dort schneller die Restschuldbefreiung zu erlangen, sollte das Insolvenzverfahren nach den Bestimmungen der EuInsVO in diesem Land eröffnet werden.
Dazu könnte man ein Beispiel nennen:
Ist der Schuldner an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in England interessiert ist, muss er seinen Lebensmittelpunkt nach England verlagern – dazu muss er eine Wohnung in England auf seinen Namen anmieten, mindestens 51 % des Jahres in England anwesend sein und ein privates Konto in England eröffnen. Der private, aber vor allem der berufliche Interessensschwerpunkt muss in England sein, wobei nicht auf den steuerrechtlichen Lebensmittelpunkt abgestellt wird. Zu den weiteren Bedingungen gehören eine englische Sozialversicherungsnummer und die Abmeldung beim deutschen Einwohnermeldeamt sowie die Eröffnung eines Privatkontos in England.
Obwohl die Bedingungen zur Erlangung einer Restschuldbefreiung in manchen europäischen Ländern für den deutschen Schuldner attraktiv sein können, kann es im Laufe des Verfahrens eine Reihe von Gefahren und Besonderheiten geben, die zu beachten sind. So markieren viele erteilte Restschuldbefreiungen weder das automatische Ende des Insolvenzverfahrens, noch erfassen sie alle Gläubigerforderungen. Weiter sind die deutschen Schuldner oft mit der Sprache und den Gepflogenheiten im Ausland nicht vertraut. Eine weitere Gefahr besteht, wenn sich die deutschen Schuldner nicht dauerhaft im Ausland aufhalten, da es nicht immer möglich wird, sich mit dem Verwalter zu treffen.
Die Bedeutung des Insolvenztourismus wird in den letzten Jahren häufig bestritten. Zum Beispiel die in Frankreich zuständige Oberlandesgerichte (Cour d’Appel von Colmar & Metz) zeigen sich immer restriktiver und legen die Bedingung der Verlegung des wirtschaftlichen Interessen immer restriktiver für den Antragsteller aus. Der Schuldner muss sich selber entscheiden, ob die Verlagerung seines Wohnsitzes in einen anderen Staat für ihn vorteilhaft ist oder ob dieser Schritt möglicherweise nur eine weitere Geldverschwendung bedeuten könnte.
2.4. Rechtsprechung
Im Mittelpunkt bisheriger gerichtlichen Entscheidungen stand stets die Regelung der internationalen Zuständigkeit nach Art.3 EuInsVO. „Der Fall des AG Celle ist einer von ihnen: Kurz bevor der Schuldner einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat, verzog er von einem Mitgliedstaat (Deutschland) in den anderen (England).“
Damit hängt auch die Entscheidung des obersten britischen Gerichts im Falle eines deutschen Radiologen zusammen. Das OLG Koblenz hatte einen deutschen Radiologen, der aus einer in Rheinland-Pfalz betriebenen Gemeinschaftspraxis ausgeschieden war, zur Rückzahlung von Überentnahmen verurteilt, die er während der Zeit seiner Praxiszugehörigkeit getätigt hatte. Statt seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, zog der Mediziner nach London, ließ sich als Angestellter einer von ihm neu gegründeten Limited an ein Krankenhaus in England vermitteln und beantragte die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach dem englischen Recht. Trotz zahlreicher Indizien, dass der Schuldner nur zum Schein nach London übergesiedelt war und trotz des Antrags des Insolvenzverwalters, den Fall zurück nach Deutschland zurückzuverweisen, hat das Oberste Gericht das Insolvenzverfahren eröffnet. Somit wurde der Antrag des Insolvenzverwalters abgelehnt. Allerdings machte das Oberste Gericht in seiner Begründung einige Anmerkungen, die nicht zwingend erforderlich gewesen wären. So betonte das Gericht, dass es den Antrag zurückgewiesen habe, weil der Insolvenzverwalter nicht genügend Beweise vorgelegt habe, dass der Arzt seinen Lebensmittelpunkt weiterhin in Deutschland habe. Gelinge den deutschen Gläubigern nachzuweisen, dass der Schuldner seinen Lebensmittelpunkt nicht wirklich nach London verlegt hat, bestünde eine gute Chance, dass die britischen Gerichte den Fall zurück nach Deutschland verweisen hätten.
In einem anderen Urteil , in dem es sich um die Anerkennung ausländischer Urteile handelte, hat der BGH im Falle einer französischen Restschuldbefreiung einen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung („ordre public“) ausdrücklich verneint. Der BGH stellte fest, dass, wenn sich ein deutscher Staatsangehöriger ins Ausland begibt und sich dort einem Verfahren zur Restschuldbefreiung unterwirft, welches den Regelungen der deutschen InsO grundsätzlich entspricht, eine dort erteilte Restschuldbefreiung auch im Inland anzuerkennen ist. Die im Ausland geltenden Fristen zur Erlangung der Restschuldbefreiung müssen nicht den relativ langen Fristen der deutschen InsO entsprechen. Der BGH hat diesen Beschluss noch vor dem Inkrafttreten der EUInsO erlassen.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch "Insolvenzrecht und Restschuldbefreiung in Europa - Ein Vergleich der Insolvenzordnungen der Länder der EU" von Harald Brennecke und Eva Otépková, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-05-2.
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Harald Brennecke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
Eva Otépková
wissenschaftliche Mitarbeiterin
Stand: März 2009
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Harald Brennecke, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Rechtsanwalt Harald Brennecke ist Gründer und Managing Partner der Kanzlei Brennecke & Partner. Er ist überwiegend im Bereich des Insolvenzrechts für Unternehmer und Unternehmen tätig.
Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht gestaltet er Sanierungen und begleitet Firmeninsolvenzen. Rechtsanwalt Brennecke berät insbesondere Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für diese bestehenden Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Unternehmenssanierung unter dem Blickwinkel des Unternehmens als Vermögensbestandteil des Gesellschafters. Er vertritt bei unzulässigen oder unbegründeten Insolvenzanträgen. Rechtsanwalt Brennecke verhandelt mit Insolvenzverwaltern hinsichtlich des Erwerbs von Unternehmen aus der Insolvenz zum Zwecke der Unternehmensfortführung durch Investoren oder Familienangehörige. Weiter vertritt Rechtsanwalt Brennecke bei Ansprüchen des Insolvenzverwalters aus Anfechtung gegen Gesellschafter, Familienangehörige oder Dritte sowie bei (den häufig unterschätzten) Haftungsansprüchen gegen Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften.
Er berät Insolvenzschuldner hinsichtlich der Erlangung der Restschuldbefreiung und der hierfür erforderlichen Obliegenheiten und vertritt im gesamten Insolvenzverfahren um sicherzustellen, dass der Schuldner die an ihn gestellten Obliegenheitsanforderungen zur Erlangung der Restschuldbefreiung (die über das hinausgehen, was ein Insolvenzverwalter vom Schuldner verlangt und verlangen darf) erfüllt. Der Irrtum, dass Insolvenzschuldner alleine dann schon Restschuldbefreiung erhielten, wenn sie alle Anforderungen des Insolvenzverwalters erfüllen, ist leider immer noch weit verbreitet.
Rechtsanwalt Brennecke berät Schuldner über das Vorgehen bei der Nutzung der Alternativen des europäischen Insolvenzrechts zur Restschuldbefreiung. In wenigen speziellen Fällen bietet ausländisches Insolvenzrecht Vorteile.
Er hat mehrere Bücher im Bereich Insolvenzrecht veröffentlicht, so
- "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", ISBN 978-3-939384-267
- "Die Limited in der Insolvenz", ISBN 978-3-939384-34-2
- "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-06-9
- "Die Restschuldbefreiung", 2006, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-00-7
- "Privatinsolvenz/Verbraucherinsolvenz - Eine Einführung", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-13-1
- "Insolvenz und Restschuldbefreiung in Europa", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-05-2
- "Der Insolvenzplan und der Verbraucherinsolvenzplan - Sanierungsinstrument in der Insolvenz - für Verbraucher und Unternehmen", ISBN 978-3-939384-06-9
- "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6
- "Das Recht der GmbH", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-33-5
- "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
- "Der Unternehmenskauf - Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", Verlag Mittelstand und Recht, 2014, ISBN 978-3-939384-18-2
- "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8
Weitere Veröffentlichungen sind in Vorbereitung, so
- „Selbständigkeit in der Insolvenz“
- „Schutzschirm und Eigenverwaltung“
- „Die Liquidation von Kapitalgesellschaften“
Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein und Dozent für Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie. Er moderiert die Gruppe Insolvenz und Insolvenzvermeidung bei XING.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:
- Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißtdas eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
- Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
- Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
- Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
- Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters
- Selbständigkeit in der Insolvenz – die große Chance des Neustarts
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