Einführung ins Recht der AGB - Allgemeine Geschäftsbedingungen in der rechtlichen Praxis - Teil 09 - Kenntnisnahme von AGB
2.2.6 Verzicht auf Kenntnisnahme
Bei einer Individualvereinbarung kann die andere Vertragspartei auf die Kenntnisnahme verzichten. Diese Vereinbarung muss zweifelsfrei und eindeutig sein. Zudem muss zumindest die Möglichkeit bestanden haben, dass die verzichtende Vertragspartei von den AGB hätte Kenntnis nehmen können. Der Verwender darf der anderen Partei weder die Möglichkeit zur Kenntnisnahme vorenthalten, indem er auf diesen Verzicht besteht, noch darf er diesen Verzicht formularmäßig, beispielsweise per AGB [„Der andere Vertragsteil verzichtet auf die Kenntnisnahme der AGB.“], vereinbaren.
Bestätigungsklauseln, die bestätigen sollen, dass die AGB zur Kenntnis genommen worden sind, sind nur wirksam, wenn tatsächlich die Möglichkeit hierzu bestand (§ 309 Nr. 12 b BGB und BGH NJW 1996, 1819).
Im unternehmerischen Verkehr kann der Verzicht konkludent erklärt werden. Zum Beispiel indem der Unternehmer die AGB nicht anfordert, obwohl ihm die Einbeziehung der AGB bekannt war und die Anforderung keinen unverhältnismäßig großen Aufwand erfordert hätte. Unverhältnismäßig ist beispielsweise, dass die angeforderten AGB noch übersetzt werden müssten, ehe sie zur Kenntnis genommen werden können.
2.2.7 Anspruch auf Aushändigung
Nach Vertragsschluss hat die andere Vertragspartei nach § 242 BGB einen Anspruch auf die Aushändigung oder Mitteilung der Vertragsbestandteil gewordenen AGB, sofern sie dieser zur Information und Wahrnehmung ihrer Rechte bedarf .
2.3 Maßgeblicher Zeitpunkt
2.3.1 Grundsatz: Vor Vertragsschluss
Der ausdrückliche Hinweis und die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der AGB müssen vor beziehungsweise spätestens bei Vertragsschluss gewährleistet sein. Der Vertragspartner muss die Möglichkeit haben die AGB wahrzunehmen, damit er sich entscheiden kann, ob er den Vertrag unter den Bedingungen der AGB schließen will oder nicht.
Hinweise auf die AGB, die erst nach Vertragsschluss erfolgen, werden nicht mehr Vertragsbestandteil.
2.3.2 Nachträgliche Einbeziehung
Nachträglich können AGB nur noch wirksam einbezogen werden, wenn beide Parteien nach § 311 I BGB einen Vertrag zur nachträglichen Geltung der AGB schließen. Damit dieser Vertrag gültig ist, müssen der Einbeziehungswunsch des Verwenders und die Kenntnisnahmemöglichkeit der anderen Seite deutlich erkennbar sein. Für die Vertragsergänzung per Änderungsvertrag ist das ausdrückliche Einverständnis der anderen Vertragspartei erforderlich. Gegen ihren Willen kann der Verwender die AGB nicht mehr nachträglich einbeziehen.
Möglich ist diese Form der nachträglichen Einbeziehung der AGB beispielsweise durch Zusendung der AGB mit der Bitte diese zu unterzeichnen und einem eindeutigen Hinweis darauf, dass damit eine Vertragsänderung herbeigeführt wird.
Änderung bereits vereinbarter AGB
Per Änderungsvertrag können bereits vereinbarte AGB nachträglich geändert werden. Umstritten ist jedoch, in welcher Form das Einverständnis der anderen Partei zu erfolgen hat. Eine Mindermeinung verlangt die ausdrückliche Zustimmung durch Erklärung. Die herrschende Meinung sieht bereits in der widerspruchslosen Vertragsfortsetzung die Annahme der AGB-Änderung. Ein bloßes Schweigen und der „Stillstand“ des Vertrags selbst führen nicht zum Anerkenntnis der AGB-Änderung.
Es ist möglich die nachträgliche Änderung in den AGB zu regeln. Es gibt zwei Arten von Änderungsklauseln: eine ohne Beteiligung des Vertragspartners und eine andere, die dem Vertragspartner ein Widerspruchsrecht einräumt und das Schweigen als Einverständnis wertet. Die erste Art ist immer rechtlich unwirksam.
Für die Wirksamkeit der zweiten Art muss die Klausel hinreichend konkretisiert und begründet sein. So muss sie alle Ereignisse auflisten, die eine Anpassungsbefugnis auslösen (beispielsweise Veränderung der Gesetzeslage, neue höchstrichterliche Rechtsprechung, Währungsumstellung). Zudem muss festgelegt werden, wie weit die Änderungsbefugnis reicht. Also welche Klauseln in welchem Umfang verändert werden dürfen. Bei Klauseln mit quantitativen Werten bestenfalls mit Höchst- beziehungsweise Tiefstwerten. Inhaltlich darf die Klausel nur dazu berechtigen, auf die Änderung zu reagieren, nicht jedoch, quasi nebenbei, noch andere Klauseln mit zu ersetzen, obwohl diese von der Änderung nicht betroffen sind.
Widerspricht der Vertragspartner der Änderung der AGB, so gelten die bei Vertragsschluss einbezogenen AGB fort. Dieser Widerspruch stellt keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung seitens des Verwenders dar. Eine ordentliche Kündigung ist sittenwidrig und somit unwirksam, wenn sie nur ausgesprochen wird um Druck zur Anerkennung der Änderung auszuüben.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Einführung ins Recht der AGB - Allgemeine Geschäftsbedingungen in der rechtlichen Praxis“ Michael Kaiser
auf AGB-Recht spezialisierter Rechtsanwalt bei Brennecke & Partner, Rechtsanwälte Fachanwälte mbB, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2014,www.vmur.de,ISBN 978-3-939384-36-6.
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