Fehlerhafte Zinsberechnung von Banken – Teil 13 – Sittenwidrigkeit beim Vertragszins
2.10. Sittenwidrigkeit beim Vertragszins
Nach § 138 BGB sind Kreditverträge nichtig, wenn sie wucherisch oder sittenwidrig sind. Dies kann der Fall sein, wenn objektiv ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, hier in Form der Zinszahlungspflicht, besteht und die Bank die Unerfahrenheit des Darlehensnehmers bewusst ausgenutzt hat. Letzteres ist der subjektive Tatbestand.
Sind die vereinbarten Zinsen als sittenwidrig einzustufen, führt dies zur Unwirksamkeit des gesamten Darlehensvertrages.
2.10.1. Objektiver Tatbestand der Sittenwidrigkeit
Wegen der hohen Praxisrelevanz der Sittenwidrigkeit hat die Rechtsprechung im Interesse der Rechtsicherheit Fallgruppen herausgearbeitet, wann ein Vertrag objektiv als sittenwidrig anzusehen ist. Diese Fallgruppen sind auch auf sittenwidrige Darlehenszinsen anzuwenden.
Gemäß der entwickelten Fallgruppen sind Zinsen sittenwidrig wenn
- durch zu hohe Zinsen ein auffälliges Missverhältnisses zwischen Leistung (Darlehensgewährung) und Gegenleistung, (Zinszahlungspflicht des Kunden) besteht oder
- wenn der Kunde durch die hohen Zinsen in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird
2.10.1.1. Auffälliges Missverhältnis
Ein auffälliges Missverhältnis ist anzunehmen, wenn die Zinsen, die die Bank für die Gewährung des Darlehens erhebt, dermaßen hoch sind, dass sie in keinem Verhältnis zum Darlehen mehr stehen.
Maßgeblich dafür, ob der Zins angemessen oder sittenwidrig ist, ist die Abweichung des vereinbarten Zinses vom aktuellen Marktzins. Der effektive Jahreszins des Darlehensvertrages ist dem Marktzins gegenüberzustellen. Wenn der Vertragszins den Vergleichszins relativ um mehr als 100 % oder absolut um 12 % übersteigt, ist ein auffälliges Missverhältnis anzunehmen.
2.10.1.2. Einschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit
Von einer sittenwidrigen Einschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit ist auszugehen, wenn der Darlehensnehmer aufgrund der Zinsen, die er aus dem Darlehensvertrag zahlen muss, finanziell völlig überfordert wird. Das ist dann anzunehmen, wenn das pfändbare Einkommen des Darlehensnehmers nicht ausreicht, die laufenden Zinsen des Kredits auf Dauer zu tragen.
Weil es grundsätzlich das Risiko des Darlehensnehmers ist, dass er in der Lage sein wird, die laufenden Zinsen aus dem Kredit zu erfüllen, und weil er auch berechtigt ist, risikoreiche Geschäfte
abzuschließen, ist eine Sittenwidrigkeit unter diesem Aspekt nur selten anzunehmen.
Ausgeschlossen, ist die Sittenwidrigkeit insbesondere dann, wenn die Bank bei Abschluss des Kreditvertrages nach einer sorgfältigen Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Darlehensnehmers zu dem Ergebnis kommen durfte, dass er in der Lage sein wird, die Zinsen zu bezahlen. Daher sind insbesondere nachträgliche Verschlechterungen der Einkommenssituation des Darlehensnehmers unbeachtlich.
2.10.2. subjektiver Tatbestand der Sittenwidrigkeit
Für die Sittenwidrigkeit ist neben dem objektiven Tatbestand maßgeblich, ob ein subjektiver Moment vorliegt. Das heißt, ob der Bank der Vorwurf gemacht werden kann, die geschäftliche Unterlegenheit des Kunden ausgenutzt zu haben, indem sie zu hohe Zinsen verlangt.
Beispiel
A nimmt bei der B-Bank ein Darlehen in Höhe von 12.000 € zur Finanzierung eines LKWs auf.
Neben der Rückzahlung des Darlehensbetrages verlangt die Bank laut Darlehensvertrag Zinsen in Höhe von 20 %, weil sie genau weiß, dass A mit Krediten unerfahren ist und nicht merken wird, dass dieser Zinssatz viel zu hoch ist.
Dieser Darlehenszins ist objektiv sittenwidrig, da hier ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung (Darlehensauszahlung) und Gegenleistung (Zinszahlung) besteht. Außerdem hat die Bank subjektiv die Unerfahrenheit von A bewusst ausgenutzt, sodass insgesamt Sittenwidrigkeit vorliegt,
Der Darlehensvertrag ist deshalb nichtig. Die Bank kann nach erfolgter Auszahlung zwar Rückzahlung des Darlehensbetrages verlangen, jedoch nicht Zahlung von Zinsen in Höhe von 20 %.
Liegt der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit vor, wird vermutet, dass die Bank auch subjektiv sittenwidrig gehandelt hat. Das bedeutet, dass im Falle einer Klage gegen die Bank, nicht der Kunde beweisen muss, dass die Bank subjektiv sittenwidrig gehandelt hat, sondern die Bank muss beweisen, dass sie dies nicht getan hat.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kreditzinsen und Vorfälligkeitsentschädigung - Gewinn- und Schadensberechnung der Banken“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Bank- und Kapitalmarktrecht, und Igor Ivanov, wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-45-8.
Weiterlesen:
zum vorhergehenden Teil des Buches
zum folgenden Teil des Buches
Links zu allen Beiträgen der Serie Buch - Fehlerhafte Zinsberechnung
Kontakt: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.deStand: Januar 2015