40 Jahre Betriebsrentengesetz – betriebliche Altersversorgung – Teil 05 – Betriebliche Übung § 1b Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 BetraVG
Herausgeber / Autor(-en):
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
2.4. Betriebliche Übung § 1b Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 BetraVG
Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung hat der Gesetzgeber die betriebliche Übung ausdrücklich als Rechtsquelle anerkannt. Danach steht der Verpflichtung aus einer ausdrücklichen Versorgungszusage eine auf betriebliche Übung beruhende Versorgungsverpflichtung gleich. Die dogmatische Grundlage für Ansprüche aus einer solchen ist dabei immer noch nicht abschließend geklärt. Zum einen stellt das Bundesarbeitsgericht auf die Vertragstheorie und das Schrifttum auf die Vertrauenshaftungstheorie ab. Im Ergebnis ist diese unterschiedliche dogmatische Herleitung jedoch kaum relevant, da nach beiden Auffassungen der Arbeitnehmer einen nicht mehr entziehbaren Anspruch auf die Leistungen aus einer betrieblichen Übung hat.
Diese ist ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers, das geeignet ist, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung oder sonstige Vergünstigung, so zum Beispiel den Abschluss einer Versorgungsvereinbarung, zu begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgeber schließen dürfen, ihnen werde die Leistung oder Vergünstigung auch zukünftig gewährt. Auf die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers kommt es indes nicht an. Entscheidend ist, dass dem Verhalten des Arbeitgebers eine konkludente Willenserklärung das heißt schlüssiges Verhalten entnommen wird, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 Bürgerliches Gesetzbuch angenommen werden kann.
Die Besonderheit der betrieblichen Übung in der betrieblichen Altersversorgung besteht darin, dass es immer um Leistungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht, also meist nicht um solche, die der Anspruchsteller bereits als aktiver Arbeitnehmer erhalten hat.
Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung auf Grund der Gewährung von Vergünstigungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgeber unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und sowie der Verkehrssitte gemäß § 242 Bürgerliches Gesetzbuch und der Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgeber schließen durften. Auch die Art und Bedeutung der üblich gewordenen Leistungen können bei der Bestimmung des Inhalts zu berücksichtigen sein. Vereinbart der Arbeitgeber über Jahre hinweg vorbehaltlos mit allen Arbeitnehmer nach einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit und bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen Versorgungsrechte, ist er aufgrund der betrieblichen Übung verpflichtet, die Versorgungsrechte auch mit anderen Arbeitnehmern zu vereinbaren, sofern sie die erforderliche Betriebszugehörigkeit erbracht haben und die übrigen Voraussetzungen erfüllen. Überdies ist zu beachten, dass die Regel, wonach eine betriebliche Übung nach dreimaliger vorbehaltloser Zahlung entsteht, nicht auf Leistungen derselbigen passt.
Die bindende Wirkung einer betrieblichen Übung tritt auch gegenüber Arbeitnehmern ein, die zwar unter Geltung der Übung im Betrieb gearbeitet, selbst aber die Vergünstigung noch nicht erhalten haben, weil sie die nach der Übung erforderlichen Voraussetzungen noch nicht erfüllt haben.
Ein Anspruch aus betrieblicher Übung kann indes auch dann entstehen, wenn die an eine Reihe von Arbeitnehmern geleisteten Zahlungen den übrigen Arbeitnehmer nicht mitgeteilt und im Betrieb nicht allgemein veröffentlicht werden. Es ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass solche begünstigenden Leistungen der Belegschaft bekannt werden. Eine verbindliche Regel, ab welcher Anzahl von Leistungen an Dritte ein Arbeitnehmer darauf schließen darf, er solle ebenfalls begünstigt werden, gibt es nicht.
Hierfür ist auf Art, Dauer und Intensität der Leistungen abzustellen. Zu berücksichtigen ist ferner die Zahl der Leistungsfälle im Verhältnis zur Belegschaftsstärke oder zur Stärke einer begünstigten Gruppe.
Überdies lassen sich Betriebsrentenansprüche aus betrieblicher Übung nicht deshalb verneinen, weil zur Abänderung oder Ablösung derartiger Ansprüche das Instrumentarium der Änderungskündigung oder der kollektivvertraglichen Abänderung regelmäßig nicht zur Verfügung steht.
Will der Arbeitgeber vermeiden, dass aus der Stetigkeit seines Verhaltens aufgrund betrieblicher Übung eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, muss er den einschränkenden Vorbehalt zwar nicht ausdrücklich formulieren, aber klar und deutlich zum Ausdruck bringen.
Allerdings verbietet es die unterschiedliche Struktur der Rechtsbeziehung, den für das Arbeitsverhältnis entwickelten Rechtsgedanken der gegenläufigen betrieblichen Übung auf das Versorgungsverhältnis zu übertragen.
Sie kann auch durch die Erbringung von Versorgungsleistungen an bereits im Ruhestand befindliche Versorgungsempfänger entstehen und zu deren Gunsten anspruchsbegründend wirken.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „40 Jahre Betriebsrentengesetz – betriebliche Altersversorgung“ von Dr. Maren Augustin, Fachanwältin für Insolvenzrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Jens Bierstedt LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht 2015, www.vmur.de,ISBN 978-3-939384-41-0.
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Herausgeber / Autor(-en):
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
Stand: Januar 2015