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Einführung ins Recht der AGB - Allgemeine Geschäftsbedingungen in der rechtlichen Praxis – Teil 38 – Inhaltskontrolle nach § 307 BGB


Herausgeber / Autor(-en):
Michael Kaiser
Rechtsanwalt

Sebastian Galle
wissenschaftlicher Mitarbeiter


4.5 Inhaltskontrolle nach § 307 BGB

§ 307 BGB stellt die Auffangnorm zur inhaltlichen Überprüfung von AGB dar, wenn die §§ 308, 309 BGB keine Unwirksamkeitsregelung enthalten. Für den unternehmerischen Verkehr stellt er zudem die einzige Möglichkeit dar, eine Klausel inhaltlich zu überprüfen und sie als unwirksam zu beurteilen.


4.5.1 Voraussetzungen für die Kontrolle nach § 307 BGB

Eine inhaltliche Kontrolle kann nur durchgeführt werden, wenn durch die AGB von wesentlichen Grundgedanken des Gesetzesrechts abgewichen oder nicht zwingende Gesetzesregelungen so extensiv genutzt werden, dass durch Einschränkung von wesentlichen Rechten oder Pflichten, die sich aus der Natur des konkreten Vertrages ergeben, die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird. Wird vom Gesetzesrecht abgewichen, so können diese Abweichungen nach § 307 BGB kontrolliert werden.
Sollten in den AGB die eigentlichen Leistungsbeschreibungen (zum Beispiel Kaufgegenstand und Kaufpreis) enthalten sein, so sind diese Klauseln grundsätzlich von der Inhaltskontrolle ausgenommen (außer in den Fällen des § 309 Nr. 1 BGB). Von den Vertragsparteien wird erwartet, zumindest bei den Hauptleistungspflichten ihren eigenen Interessen zu folgen, so dass sie selbstständig einen ausreichenden Interessensausgleich zu schaffen vermögen. Zudem soll einem Richter nicht zugemutet werden, einen akzeptablen Preis für einen Vertragsgegenstand festzulegen, den die Vertragsparteien besser bestimmen können, als er..
Beim Preis kann überprüft werden, ob sein Zustandekommen und seine Zusammensetzung ausreichend transparent und nachvollziehbar ist, sofern darüber zuvor verhandelt wurde. Akzeptiert also der Vertragspartner den aufgerufenen Preis (der in den AGB festgehalten wird), ohne darüber zu verhandeln, so kann er diesen später nicht über eine AGB-Inhaltskontrolle wieder für unwirksam erklären lassen.


4.5.2 Prüfung

Nach § 307 BGB sind AGB-Klauseln, die den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, unwirksam. Da dies unbestimmte Rechtsbegriffe sind, hat der Gesetzgeber in Absatz 2 eine gesetzliche Vermutung aufgestellt, nach der Unangemessenheit anzunehmen ist, wenn entweder von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Norm abgewichen wird oder andererseits die sich aus dem Vertrag ergebenen Rechte und Pflichten derartig eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird. Ebenso unangemessen benachteiligen Klauseln den Vertragspartner, wenn sie gegen das Transparenzgebot verstoßen (§ 307 I 2 BGB).Vorrangig und zuerst müssen die §§ 308, 309 BGB geprüft werden und erst, wenn nach deren Katalogen die Klauseln für wirksam befunden werden, erfolgt eine Prüfung nach § 307 BGB. Eine nach §§ 308, 309 BGB wirksame Klausel kann nach § 307 BGB unwirksam sein; jedoch kann keine nach §§ 308, 309 BGB unwirksame Klausel noch nach § 307 BGB wirksam sein. Im unternehmerischen Verkehr dagegen kann nur nach § 307 BGB eine Inhaltskontrolle durchgeführt werden.
Die Prüfung nach § 307 BGB erfolgt zuerst nach der Vermutungsregel des Absatzes 2 und erst danach nach Absatz 1.
Die Beweislast trägt die Partei, die sich auf die Unangemessenheit der Regelung beruft.


4.5.3 Unangemessenheit nach § 307 II BGB

Der Absatz 2 enthält lediglich eine Vermutung, dass eine unangemessene Benachteiligung vorliegt. Der Anwendungsbereich der Norm ist infolge der unbestimmten Rechtsbegriffe (wesentliche Grundgedanken, nicht zu vereinbaren, wesentliche Rechte und Pflichten, Natur des Vertrages, Gefährdung des Vertragszwecks) so umfassend, dass bei Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 2 (Abweichung vom gesetzlichen Leitbild, Einschränkung der wesentlichen Rechte und Pflichten) die AGB-Klausel dennoch wirksam sein kann.
Jedoch enthält Absatz 2 eine Beweislastumkehr. Das heißt hat der Vertragspartner, der sich auf die Unangemessenheit beruft, dargelegt, dass der Absatz 2 tatbestandsmäßig vorliegt, so obliegt es der Gegenseite zu widerlegen, dass trotz der gesetzlichen Vermutung die AGB-Regelung nicht unangemessen ist.

4.5.3.1 Abweichung vom gesetzlichen Leitbild

Das Gesetzesrecht will möglichst einen neutralen Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen der Vertragsparteien herstellen. Folglich gelten die gesetzlichen Grundregelungen eines Vertragstyps im BGB als für beide Seiten angemessen. Je weitergehend eine AGB-Klausel diese Grundregelungen abweichend vom Gesetzesrecht regelt, desto strenger ist zu prüfen, ob hiervon nicht eine Partei unangemessen benachteiligt wird. Vor allem wenn das Gesetz ein besonderes Schutzbedürfnis für eine Vertragspartei sieht, und deshalb eine Regelung enthält, muss die Prüfung umso strenger sein, wenn dieser Schutz in wesentlichen Punkten verändert wird.Zum Beispiel begründet § 647 BGB ein Unternehmerpfandrecht an vom Unternehmer hergestellten Sachen, sofern er damit seine Werklohnforderungen absichern will. Der Leitgedanke des Gesetzes dahinter war, dem Werkersteller ein Schutzrecht einzuräumen, dass ihm die Möglichkeit gibt, seine Zahlungsforderung zu sichern. Zahlt der Besteller nicht, kann der Ersteller das Werk verwerten. Da § 647 BGB per AGB abgeändert werden oder ausgeschlossen werden kann, ist bei der Prüfung zu beachten, ob in einem solchen Fall das Schutzbedürfnis des Erstellers noch gewährleistet wird. Wird § 647 BGB „grundlos“ ausgeschlossen, um beispielsweise einfach dem Ersteller dieses Recht zu nehmen, so ist der Prüfungsmaßstab besonders streng anzulegen. Zumeist dürfte die Wirksamkeit derartiger Regelungen davon abhängig sein, ob dem Ersteller andere Rechte, die ebenso wirksam sind, zustehen. ZUM BEISPIEL wenn dem Ersteller im Gegenzug höhere Abschlagszahlungen zustehen oder er einen Großteil des Preises bereits als Vorauszahlung erhalten hat.


4.5.3.2 Einschränkung von Rechten und Pflichten

Bei Nr. 2 müssen die AGB die Rechte und Pflichten derartig stark einschränken, dass hierdurch der Vertragszweck gefährdet wird.
Bei gesetzlich geregelten Vertragstypen ist hierzu eine erhebliche Abweichung vom gesetzlichen Vertrags-Leitbild erforderlich, sodass ein Verstoß gegen Nr. 2 regelmäßig zugleich einen Verstoß gegen Nr. 1 (und umgekehrt) darstellt.
Folglich wird geprüft, um welche Art von Vertrag es sich handelt und welche Rechte und Pflichten sich daraus ergeben. Bei einem einfachen Kaufvertrag kommt es darauf an, dass der Kaufpreis bezahlt wird, der Kaufgegenstand übergeben wird und dass dem Käufer Rechte zustehen, sollte der Kaufgegenstand mangelhaft sein. Nun wird überprüft, welche Rechte und Pflichten gesondert geschützt sind. Für Verbraucher ist die Sachmangelgewähr nach § 437 BGB gesondert in § 475 BGB in der Weise geschützt, dass eine Abweichung hiervon unwirksam ist. Folglich sah der Gesetzgeber hierin ein besonders schutzwürdiges Interesse. Dieses liegt grundsätzlich für Unternehmer vor. Dennoch ist es erlaubt von § 437 BGB abzuweichen. Jedoch darf dies nicht derartig umfassend geschehen, dass das wesentliche Recht auf Sachmangelgewährleistung derartig eingeschränkt wird, dass der Vertragszweck gefährdet wird. Gibt es beispielsweise nur ein Recht auf Nacherfüllung und nur innerhalb der ersten zwei Tage nach Lieferung, so wird einerseits das Recht auf einen sachmangelfreien Kaufgegenstand stark eingeschränkt und andererseits die Pflicht des Verkäufers, einen sachmangelfreien Kaufgegenstand zu übergeben, ausgehöhlt und, wenn der Mängelfall tatsächlich eintritt, die Geltendmachung von Mängelrechten wesentlich erschwert und nahezu unmöglich gemacht.
Ob die Einschränkung tatsächlich eintritt (im Beispiel wird eine einwandfreie Sache geliefert), ist unerheblich, da nur ein typisierter Fall beurteilt wird.
Ist der Vertragstyp nicht gesetzlich geregelt, so gilt vorrangig die verkehrsübliche Vertragsgestaltung als Vergleichsmaßstab. Diese darf freilich nicht gegen das Gesetz verstoßen und muss mit der übrigen Rechtsordnung übereinstimmen.Würde beispielsweise in den AGB eines jeden Lizenzvertrags stehen, dass die Lizenzgebühren nach Vertragsabschluss auch bezahlt werden müssen, wenn der Lizenzgeber nicht mehr über die Lizenz verfügt, so wäre dies ein Verstoß gegen die geltende Rechtsordnung, welche eine entsprechende Gegenleistung des Lizenzgebers für die Lizenzgebühr verlangt, da es sich um einen gegenseitigen Vertrag handelt. Die Hauptleistungspflichten entsprechen (wertmäßig) einander. Bei der Bezahlung einer Lizenzgebühr für ein nicht nutzbares Recht, läge keine Wertidentität von Leistung (Patentnutzung) und Gegenleistung (Lizenzgebühr) vor. Selbst wenn dies gängige Vertragsgestaltung bei Lizenzverträgen wäre, würden derartige AGB-Klauseln nach § 307 BGB unwirksam werden (wären zugleich aber nach Nr. 1 unwirksam).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Einführung ins Recht der AGB - Allgemeine Geschäftsbedingungen in der rechtlichen Praxis“ von Michael Kaiser, auf AGB-Recht spezialisierter Rechtsanwalt, und Sebastian Galle, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2014, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-36-6.


 

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Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Dezember 2014


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