Die Haftung für Steuerschulden – Teil 02 – Haftung des Vertreters nach § 69 AO: haftende Personen (1)
3. Haftung des Vertreters nach § 69 AO
Die in den §§ 34 und 35 AO genannten Personen, für die eine Haftung für fremde Steuerschulden nach § 69 AO in Betracht kommt sind:
- Gesetzliche Vertreter
- Geschäftsführer
- Gesellschafter
- Vermögensverwalter und
- Verfügungsberechtigte.
Diese haften, wenn vorsätzlich oder grob fahrlässig
- Steuern nicht oder
- nicht rechtzeitig festgesetzt werden
- Steuern nicht erfüllt werden bzw.
- Steuervergütungen oder
- Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund bezahlt werden.
Vorsätzlich handelt, wer die Pflichtverletzung wissentlich und willentlich vornimmt. Eine grob fahrlässige Pflichtverletzung liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in schwerwiegendem Maße außer Acht gelassen wurde.
Die Vertreter treten in ein unmittelbares Pflichtenverhältnis zur Finanzbehörde. Die Vertreter müssen ihre Pflichten auch nach dem Erlöschen der Vertretungs- und Verfügungsmacht noch erfüllen, wenn sie vor Erlöschen entstanden sind und sie zur Erfüllung in der Lage sind.
Beispiel 1
Herr Lorenz ist Lohnbuchhalter der HBR-GmbH. Er ist für die Auszahlung der Löhne verantwortlich und hat die Pflicht, die Lohnsteuer vom Gehalt der Mitarbeiter einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Ihm wurde von daher die Verfügungs- und Verwaltungsmacht erteilt, so dass er das Vermögen der HBR-GmbH verwalten und darüber verfügen kann.
Herr Lorenz hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters. Er trägt daher die Verantwortung zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten und hat dafür Sorge zu tragen, dass die Lohnsteuer aus den Mitteln entrichtet wird, die er verwaltet. Diese Pflicht erlischt gem. § 36 AO, wenn Herr Lorenz nach außen erkennbar nicht mehr als Verfügungsberechtigter der HBR-GmbH auftritt.
3.1. Haftende Personen
Als haftende Personen kommen die gesetzlichen Vertreter
- natürlicher und
- juristischer Personen und
- nichtrechtsfähigen Personenvereinigungen
in Betracht.
Darüber hinaus haften Vertreter bei Vermögensverwaltungen bzw. Verfügungsberechtigte.
3.1.1. gesetzliche Vertreter natürlicher Personen
Zu den gesetzlichen Vertretern natürlicher Personen gehören gem. § 34 I AO
- Eltern (§1629 BGB)
- Vormund (§ 1793 BGB)
- Betreuer (§§ 1902 BGB) und
- Pfleger (§ 1909)
Beispiel 1
Frau Martin ist seit 2013 Betreuerin von Herrn Fuchs. Sie ist für die Verwaltung seines Vermögens zuständig, da Herr Fuchs einer Kaufsucht unterliegt. Seine Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit gehen direkt an Frau Martin.
Frau Martin hat gem. § 34 AO die steuerlichen Pflichten von Herrn Fuchs zu erfüllen.
3.1.2. gesetzliche Vertreter juristischer Personen
Gesetzliche Vertreter juristischer Personen i.S.v. § 34 I AO sind bei einer
- GmbH der Geschäftsführer (§ 34 I AO, § 35 GmbHG)
- bei einer AG (§ 34 I AO, § 78 AktG) der Vorstand oder
- bei einem rechtsfähigen Verein der Vereinsvorstand (§ 34 I AO, §§ 26, 42 BGB).
3.1.2.1. Geschäftsführer und Vorstand
Wurden mehrere Geschäftsführer bestellt, trifft jeden von ihnen die Pflicht und Verantwortung zur Geschäftsführung im Ganzen. Die Geschäftsführer können ihre Aufgaben aber unter sich aufteilen. Erforderlich ist eine schriftliche Klarstellung, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist. Damit können die steuerlichen Pflichten für denjenigen, dem die Erfüllung in diesem Geschäftsbereich nicht zugewiesen ist, begrenzt werden. Eine gänzliche Aufhebung der Verantwortung ist nicht möglich. Die Beschränkung gilt nur, solange kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der zuständige Geschäftsführer seinen steuerlichen Pflichten nicht exakt nachkommt.
Beispiel 1
Die Buchmann GmbH hat mehrere Geschäftsführer bestellt. Die Verantwortung für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten trägt der Geschäftsführer Herr Maier.
Solange kein Anlass besteht, an der exakten Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch Herrn Maier zu zweifeln, haften die anderen Geschäftsführer nicht für die Steuerschulden der GmbH.
Jeder einzelne Geschäftsführer ist dann wieder verpflichtet, sich um die Gesamtbelange der Gesellschaft zu kümmern, wenn die Gesellschaft in absehbarer Zeit zahlungsunfähig oder überschuldet wird.
Beispiel 2
Die Architektin, Frau Arnold, und der Kaufmann, Herr Berger, sind Geschäftsführer der Gestaltungsbau-GmbH. Während Frau Arnold die technischen Abläufe regelt, ist Herr Berger für den gesamten kaufmännischen Bereich, einschließlich der Erfüllung der steuerlichen Pflichten, zuständig. Diese Zuständigkeitsverteilung wurde im Gesellschaftsvertrag festgehalten. Als die Gestaltungsbau-GmbH droht zahlungsunfähig zu werden, informiert Herr Berger im April 2014 Frau Arnold über diesen Umstand. Herr Berger meldet ein halbes Jahr später Insolvenz an. In den Monaten Mai, Juni, Juli 2014 wurden weder Umsatz- noch Lohnsteuern abgeführt. Das Finanzamt erlässt gegenüber Frau Arnold einen Haftungsbescheid wegen der Umsatz- und Lohnsteuerschulden der GmbH für die Monate Mai-Juli 2014. Frau Arnold erklärt, dass allein Herr Berger für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten zuständig war.
Da die Geschäftsführer die Verantwortlichkeit eindeutig aufgeteilt haben, findet der Grundsatz der Gesamtverantwortung keine Anwendung. Davon ist allerdings dann eine Ausnahme zu machen, wenn eine Überschuldung der Gesellschaft zu einer Überprüfung der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten Anlass gibt.
Frau Arnold wusste bereits im April 2014 von der drohenden Insolvenz und hätte die Einhaltung der steuerlichen Pflichten überprüfen müssen. Aufgrund ihres pflichtwidrigen Unterlassens kann sie nach § 69 AO als Haftungsschuldner für die Steuerschulden der GmbH in Anspruch genommen werden.
Der ehrenamtliche und unentgeltlich tätige Vorsitzende eines Vereins haftet für die Erfüllung steuerlicher Verbindlichkeiten grundsätzlich nach denselben Regeln wie der Geschäftsführer einer GmbH, wenn er wirtschaftlich tätig wird und zur Erfüllung des Vereinszwecks Arbeitnehmer beschäftigt.
Beispiel 3
Herr Bauer ist Vorsitzender eines gemeinnützige Vereins, der sich für Flüchtlinge einsetzt und Arbeitnehmer für sämtliche Verwaltungsangelegenheiten beschäftigt.
Der Verein reichte hinsichtlich der Löhne seiner Arbeitnehmer in den Monaten September bis Oktober 2014 keine Lohnsteueranmeldung ein. Er zahlte aber die durch die Finanzbehörde durch Schätzung festgesetzten Beträge. Nachdem die Lohnsteueranmeldungen im Januar 2015 nachgereicht wurden ergab sich eine Nachzahlungspflicht.
Die Finanzbehörde kann den Vorsitzenden des Vereins als Haftungsschuldner gem. §§ 69, 34 I AO für die rückständigen Lohnsteuern in Anspruch nehmen.
3.1.2.2. Gesellschafter
Ein Gesellschafter haftet nur dann für Steuerschulden der Gesellschaft, wenn er an der Handlung, die den Steuertatbestand ausgelöst hat, mitgewirkt hat. Der Gesellschafter haftet gegenüber dem Finanzamt für eine Steuerschuld der Gesellschaft bereits dann, wenn er an rechtsgeschäftlichem Handeln der Gesellschaft, das steuerliche Folgen nach sich zieht, beteiligt war.
Beispiel 1
In der Autozubehör und Ersatzteile Lehmann GmbH wurden auf die Gesellschafter verschiedene Aufgabenbereiche verteilt. Während Herr Weber für den Einkauf der Ersatzteile zuständig ist, ist Herr Lehmann für den Verkauf und Frau Neuer für die Buchhaltung zuständig. Bei der Steuererklärung für das Jahr 2013 hat Frau Neuer einen Fehler gemacht, der nicht sofort erkennbar war. Infolgedessen wurde im ersten Steuerbescheid vom Finanzamt anstatt 15.000 € ein Betrag in Höhe von lediglich 10.000 € festgesetzt. Diesen Betrag hat die GmbH an das Finanzamt bezahlt. Nachdem die zuständige Finanzbehörde den Fehler erkannt hat, wendet sie sich bezüglich der restlichen Steuerschulden in Höhe von 5.000 € an Herr Lehmann.
Eine Haftung des Herr Lehmann für die Steuerschulden der GmbH kommt nicht in Betracht, da er nach der vereinbarten Aufgabenverteilung nicht an der Handlung, die die Steuerschuld ausgelöst hat, mitgewirkt hat.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Haftung für Steuerschulden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-39-7.
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Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten. Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren. Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte.
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.
Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:
- Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
- Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
- Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
- Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
- Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
- Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
- Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7
Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so
- Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren
Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:
- Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
- Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
- Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
- Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
- Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
- Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
- Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter
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