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Die Änderung von Steuerbescheiden – Teil 05 – Rücknahme und Widerruf eines Verwaltungsaktes nach §§ 130 und 131 AO, Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes

4.3 Rücknahme und Widerruf eines Verwaltungsaktes nach §§ 130 und 131 AO

Die Korrekturmöglichkeiten gem. §§ 130, 131 AO gelten nur für sonstige Verwaltungsakte.

Sonstige Verwaltungsakte sind all diejenigen Steuerverwaltungsakte, die keine Steuerbescheide sind, wie

  • der Erlass
  • die Stundung
  • das Auskunftsersuchen
  • die Feststellung eines Verjährungszuschlages oder eines Zwangsgeldes

Auf Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide ist §§ 130, 131 AO nicht anwendbar.

Die Abgabenordnung unterscheidet zwischen der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte gem. § 130 AO und dem Widerruf von rechtmäßigen Verwaltungsakten nach § 131 AO. Rechtswidrige, sowie rechtmäßige Verwaltungsakte sind jeweils in begünstigende und nicht begünstigende Verwaltungsakte zu unterteilen.

4.3.1 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes

Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann nach § 130 AO mit Wirkung für die Zukunft und die Vergangenheit zurückgenommen werden. Unter Rücknahme versteht man die volle oder teilweise Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, der kein Steuerbescheid ist. Ein betroffener Steuerpflichtiger wird so behandelt, als wäre der Verwaltungsakt nie ergangen.

Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn

  • er ganz oder teilweise gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt
  • er ermessensfehlerhaft ist odereine Rechtsgrundlage fehlt[1]
  • von einem Sachverhalt ausgegangen wurde, der sich als unrichtig erweist.

Bei der Zurücknahme handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Das Finanzamt kann einen rechtswidrigen Verwaltungsakt zurücknehmen, muss es aber nicht. Die Frist zur Rücknahme beträgt ein Jahr ab Kenntnis der Rechtswidrigkeit, § 130 III 1 AO. Sie gilt gem. § 130 III 1 AO nicht bei Täuschung, Drohung oder Bestechung. Die durch unlautere Mittel bewirkten Verwaltungsakte können auch noch nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes, nach § 130 AO zurückgenommen werden. Eine Frist gilt in diesen Fällen nicht.

Ist bei Form- und Verfahrensfehlern eine Heilung nach § 126 AO oder die Unbeachtlichkeit nach § 127 AO eingetreten, ist § 130 AO nicht anwendbar.

Der rechtswidrige Verwaltungsakt muss weiter zwischen begünstigenden und nicht begünstigenden Verwaltungsakt unterscheiden werden.

4.3.1.1 Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes

Ein begünstigender Verwaltungsakt ist jeder Verwaltungsakt mit einer Rechtswirkung, an deren Aufrechterhaltung der vom Verwaltungsakt Betroffene ein schutzwürdiges Interesse hat.[2]

Beispiele für begünstigende Verwaltungsakte sind:

  • Fristverlängerung
  • Stundung
  • Billigkeitserlass
  • Aussetzung der Vollziehung

Die Rücknahme eines begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gem. § 130 II, III AO nur möglich, wenn

  • er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist (Nr. 1)
  • er durch unlautere Mittel wie Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist (Nr. 2)
  • ihn der Begünstigte durch unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt hat (Nr. 3)
  • der Steuerpflichtige die Rechtswidrigkeit kannte oder grob fahrlässig nicht kannte (Nr. 4)

4.3.1.2 Rücknahme eines nicht begünstigenden Verwaltungsaktes

Beispiele für nichtbegünstigende Verwaltungsakte sind:

  • Aufforderung zur Einrichtung einer Buchführung
  • Auskunftsersuch
  • Festsetzung eines Verspätungszuschlags

Nicht begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakte können jederzeit zurückgenommen werden, auch wenn die Einspruchsfrist abgelaufen ist.[3]

Beispiel

Frau Müller hat ihre Einkommenssteuererklärung nicht rechtzeitig abgegeben. Die Steuer wird auf 2.000 € geschätzt. Für die Verspätung wurde ein Zuschlag in Höhe von 200 € festgesetzt. Nach Ablauf der Einspruchsfrist wurde die Steuer auf 1.000 € festgesetzt. Gem. § 152 II AO darf ein Verspätungszuschlag 10 Prozent der festgesetzten Steuern nicht übersteigen.

Der Verwaltungsakt über den Verspätungszuschlag ist rechtswidrig und muss gem. § 130 I AO um mindestens 100 € zurückgenommen werden.

4.3.2 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes

Der Widerruf beschreibt die volle oder teilweise Aufhebung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes, der kein Steuerbescheid ist. Ein rechtmäßiger Verwaltungsakt kann gem. § 131 AO - auch nachdem er unanfechtbar geworden ist - nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Dem Vertrauensschutz des Betroffenen kommt hier besondere Bedeutung zu.

Ein Verwaltungsakt ist rechtmäßig, wenn er zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens bzw. der Bekanntgabe dem Gesetz entspricht.[4] Die Vorschrift unterscheidet ebenfalls zwischen nicht begünstigenden Verwaltungsakten und begünstigenden Verwaltungsakten.

In § 131 II AO sind die Voraussetzungen zum Vertrauensschutz abschließend normiert.

Der Widerruf ist danach nur möglich, wenn

  • dies durch Rechtsvorschrift ausdrücklich zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist, Nr. 1
  • mit dem Verwaltungsakt verbundene Auflagen nicht oder nicht fristgerecht erfüllt wurden, Nr. 2
  • die Finanzbehörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre, Nr. 3

§ 131 II Nr. 3 AO findet Anwendung, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse seit dem Erlass des Verwaltungsaktes in der Weise geändert haben, dass dem noch gültigen Verwaltungsakt zwischenzeitlich die Rechtsgrundlage fehlt oder wenn das Finanzamt den Sachverhalt zwischenzeitlich anders beurteilt, weil es aufgrund der nachträglich eingetretenen Tatsachen berechtigt gewesen wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen.

Ändert sich der Sachverhalt durch nachträglich eingetretene Tatsachen oder lässt das Gesetz in derselben Sache unterschiedliche Verwaltungsakte zu, kann der begünstigende Verwaltungsakt nur mit erheblicher Einschränkung nach § 131 II AO widerrufen werden.[5]

Die Vorschrift gem. § 131 II Nr. 3 AO ist nur auf Dauerverwaltungsakte anwendbar, wie die

  • Stundung
  • Fristverlängerung und
  • Aussetzung der Vollziehung.

Beispiel

Herr Weber ist mittellos. Ihm wurde am 01.07.2012 eine Steuerschuld gestundet. Am 02.08.2012 erbt Herr Weber einen größeren Geldbetrag.

Die Stundung war bei Erlass unter den vorliegenden Tatsachen rechtmäßig. Aufgrund der nachträglich eingetretenen Tatsachen, dem Erbe, wäre die Finanzbehörde berechtigt gewesen, die Stundung nicht zu erlassen. Sie ist daher gem. § 131 II Nr. 3 AO zu widerrufen.

Der Widerruf ist innerhalb eines Jahres seit der Kenntnisnahme von den Tatsachen möglich, die den Widerruf rechtfertigen, § 131 II 2 AO.

4.4 Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO

Der Vorbehalt der Nachprüfung schafft die Möglichkeit, die Steuerfestsetzung ohne ausgiebige Prüfung durchzuführen, ohne dass es zu einer Rechtskraft kommt. Dies ermöglicht dem Finanzamt eine spätere abschließende Prüfung und eine eventuelle Änderung des bereits erlassenen Steuerbescheides auf Grund der nachgeholten Prüfung. Das Finanzamt kann mit dem Vorbehalt der Nachprüfung die Steuerfestsetzung bis zum Ablauf der angemessen gesetzten Entscheidungsfrist (§ 164 II S. 3 AO) zu jeder Zeit vollumfänglich korrigieren, § 164 II, IV AO. Dies gilt sowohl zugunsten, als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen. Eine materielle Bestandskraft tritt nicht ein, solange der Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 AO wirksam ist.

Eine Korrektur kann innerhalb der Festsetzungsfrist unabhängig von den Korrekturvorschriften jederzeit vorgenommen werden, solange der Vorbehalt der Nachprüfung wirksam ist. Darüber hinaus ist der Vorbehalt bei allen Festsetzungen möglich, für die die Vorschriften über das Steuerfestsetzungsverfahren gelten.

Dazu gehören beispielsweise

  • Steuervergütung
  • Freistellungen
  • Steuerbeträge
  • Feststellungen
  • Zinsen
  • Prämien undZulagen.

Hätte der Steuerbescheid nicht ergehen dürfen, ändert das nichts daran, dass er nach Eintritt der formellen Bestandskraft wirksam ist und Korrekturen vorgenommen werden dürfen.

Der Vorbehalt der Nachprüfung erfasst die Steuerfestsetzung im Ganzen. Eine Beschränkung auf Einzelpunkte bzw. einzelne Besteuerungsgrundlagen ist nicht möglich.

Ein Vorbehalt der Nachprüfung entfällt dann, wenn die Verwaltungsakte nach den §§ 130, 131 AO zurückgenommen oder widerrufen werden können.

Unterschieden wird zwischen folgenden Vorbehaltsfestsetzungen:

  • behördlicher Vorbehalt der Nachprüfung Kraft ausdrücklichen Vermerks (§ 164 I 1 AO)
  • gesetzlicher Vorbehalt der Nachprüfung, d. h. ohne besonderen Vermerk, wie z.B. bei der Steueranmeldung (§§ 167, 168 AO) oder Vorauszahlungsbescheiden (§ 164 I 2 AO)

Der Vorbehalt der Nachprüfung ist eine unselbstständige Nebenbestimmung im Sinne des § 120 AO, die im Steuerbescheid anzugeben ist.[6] Eine Nebenbestimmung ist nur mit dem Steuerbescheid anfechtbar.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Änderung von Steuerbescheiden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-46-5.


 

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Kontakt: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2016


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Herausgeber / Autor(-en):

Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht

Portrait Carola-Ritterbach

Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten.  Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren.  Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte. 
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.

Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:

  • Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
  • Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
  • Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
  • Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
  • Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
  • Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
  • Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7

Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so

  • Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren

Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
 Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:

  • Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
  • Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
  • Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
  • Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
  • Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
  • Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
  • Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter

Kontaktieren Sie Rechtsanwältin Ritterbach unter:
Mail: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0721-20396-28

 

Normen: § 130 AO, § 131 AO, § 164 AO

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