Die Änderung von Steuerbescheiden – Teil 06 – Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO; Vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 AO
4.4.1 behördlicher Vorbehalt der Nachprüfung
Voraussetzung für den behördlichen Vorbehalt der Nachprüfung ist, dass noch keine abschließende Prüfung der Steuer durch das Finanzamt erfolgt ist. Das Finanzamt setzt z.B. eine Steuer regelmäßig dann unter Vorbehalt fest, wenn eine Außenprüfung geplant ist. Damit ist nicht nur die Außenprüfung nach § 193 ff. AO, sondern auch die abgekürzte Außenprüfung nach § 203 AO gemeint.
Beispiel
Herr Wein ist selbständiger Unternehmer. Bei ihm soll in den nächsten beiden Jahren eine Außenprüfung vorgenommen werden.
Die Veranlagungen für den vorgesehenen Prüfungszeitraum (i.d.R. drei Jahre) werden unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt. Der Außenprüfer kann nun für die bereits festgesetzten Steuern nach der Außenprüfung Änderungsbescheiden erlassen, ohne dass eine Korrekturbefugnis vorliegen muss.
Der Vorbehalt der Nachprüfung ergeht durch eine Ermessensentscheidung der Behörde, die keiner Begründung bedarf. Der erlassene Bescheid ist trotz des Vorbehalts der Nachprüfung vollziehbar und vollstreckbar. Er kann aber keine materielle Bestandskraft erreichen. Schätzungsbescheide können ebenso unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen. Versäumt das Finanzamt einen Hinweis auf eine Prüfung, nach dem der Vorbehalt der Nachprüfung erfolgen soll und hat dabei nur die Übernahme in die Erklärung nicht stattgefunden hat, darf dies geändert werden.
Der Vorbehalt der Nachprüfung umfasst die gesamte Steuerfestsetzung und nicht nur Teile hiervon, d.h. eine nachträgliche Änderung des Steuerbescheides ist jederzeit im vollen Umfang zulasten und zugunsten des Steuerpflichtigen zulässig.
Die Entscheidung über den Vorbehalt der Nachprüfung ist nur mit einem Einspruch gegen den Steuerbescheid anfechtbar, wenn die Voraussetzungen für den Vorbehalt der Nachprüfung nicht vorgelegen haben, eine abschließende Prüfung bereits erfolgt ist oder Steuern nicht richtig bemessen wurden.
Der Vorbehalt kann trotz Einspruchs- oder Klageverfahren bestehen bleiben. Der Vorbehalt der Nachprüfung muss in der Einspruchsentscheidung ausdrücklich aufgehoben werden, ansonsten besteht er weiter. Darüber hinaus kann der behördliche Vorbehalt der Nachprüfung nur durch ausdrückliche Aufhebung oder im Rahmen eines Änderungsbescheides beseitigt werden.
Die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung kann jederzeit vom Steuerpflichtigen beantragt werden, § 164 II AO. Sinnvoll ist ein solcher Antrag, wenn der Steuerpflichtige rechtliche oder tatsächliche Ausführungen machen kann, die die Aufhebung oder Änderung des Bescheids zu seinen Gunsten rechtfertigen. Die Finanzbehörde hat über einen solchen Antrag innerhalb einer im Einzelfall angemessenen Frist zu entscheiden.
Der Vorbehalt der Nachprüfung ist aufzuheben, wenn eine abschließende Prüfung der bereits festgesetzten Steuer erfolgt ist. Eine auf einzelne Punkte beschränkte Nachprüfung ist noch keine abschließende Prüfung. Genauso wenig, wie eine Prüfung im Einspruchsverfahren.
Nach einer abschließender Prüfung, insb. einer Außenprüfung ist die Aufhebung nach § 164 III 3 AO zwingend, wenn die Außenprüfung keine Änderungen ergeben haben. Dieser Satz hat rein klarstellende Funktion, denn die Außenprüfung ist eine abschließende Prüfung, so dass die Voraussetzungen des Vorbehalts der Nachprüfung nicht mehr vorliegen können. Das gilt auch im Fall von Änderungen des Steuerbescheides, so dass der Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben ist. Erforderlich ist eine ausdrückliche Aufhebung im Änderungsbescheid. Liegt eine solche nicht vor, muss der Steuerpflichtige Einspruch einlegen. Ohne einen Einspruch könnte das Finanzamt bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung weitere Änderungen vornehmen.
Der Vorbehalt selbst hemmt die Festsetzungsverjährung nicht und entfällt mit Ablauf der Festsetzungsfrist kraft Gesetz gem. § 164 IV AO.
Beispiel
Das Finanzamt Karlsruhe erließ am 06.07.2012 einen Steuerbescheid gegenüber Herrn Weber für das Jahr 2011 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Die Einkommenssteuer wurde dabei auf 20.000 € festgesetzt.
Ende des Jahres 2014 ändert der Bundesfinanzhof seine Rechtsprechung hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von bestimmten Sonderausgaben. Diese Sonderausgaben hat Herr Weber in seiner Steuererklärung von 2010 geltend gemacht. Daher ändert der zuständige Sachbearbeiter beim Finanzamt den am 06.07.2012 erlassenen Steuerbescheid gegenüber Herrn Weber.
Dies ist zulässig, da ein Steuerbescheid, der noch immer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, nach § 164 II AO aufgeboben oder geändert werden kann, solange der Vorbehalt noch wirksam ist.
4.4.2 Gesetzlicher Vorbehalt der Nachprüfung
Neben der behördlichen Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung, sieht das Gesetz an einigen Stellen einen Vorbehalt der Nachprüfung vor. Z.B. ist gem. § 164 I 2 AO eine Festsetzung einer Vorauszahlung stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.
4.5 Vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 AO
Eine vorläufige Steuerfestsetzung erfolgt bei vorübergehender, subjektiver Ungewissheit über die Entstehung einer Steuerschuld, sofern die Ungewissheit nicht mit verhältnismäßigem Aufwand beseitigt werden kann. Zweifel bei der Auslegung des Steuergesetztes reichen nicht aus.[1] Die Ungewissheit muss sich auf die tatsächlichen Voraussetzungen der Entsetzung eines Steueranspruchs beziehen, nicht aber auf deren steuerliche Beurteilung.
Die vorläufige Steuerfestsetzung ist daher möglich, wenn die festzusetzende Steuer wegen einer Ungewissheit bei einzelnen Sachverhalten noch nicht endgültig festgesetzt werden kann. Eine vorläufige Steuerfestsetzung kann nicht angeordnet werden, wenn der Sachverhalt tatsächlich unstrittig ist und nur die steuerrechtliche Prüfung noch nicht abgeschlossen ist.
Wenn eine Ungewissheit in tatsächlicher Hinsicht auf Dauer nicht behoben werden kann, muss die Finanzbehörde eine Steuerfestsetzung auf Grundlage einer Schätzung vornehmen.
Die vorläufige Steuerfestsetzung kann einzelne Bereiche betreffen. Die Vorläufigkeit betrifft dann nur diese einzelnen Punkte, die in der Anlage zum Steuerbescheid explizit erläutert wurden. Soweit die Vorläufigkeit reicht, kann eine formelle Unanfechtbarkeit eintreten, aber keine materielle Bestandskraft.
Die vorläufige Steuerfestsetzung gilt für alle Steuerbescheide und denen gleichgestellte Bescheide wie Feststellungs- und Steuermessbescheide. Ein Folgebescheid muss nicht vorläufig ergehen, wenn der Grundlagenbescheid vorläufig ergangen ist.
Eine Ungewissheit kann sich in tatsächlicher oder rechtlicher Art ergeben:
- Eine tatsächliche Ungewissheit kann vorliegen, wenn der Wert des Gegenstandes oder die Höhe der Aufwendungen noch nicht abgeschätzt werden können.
- Eine rechtliche Ungewissheit liegt vor, wenn die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse nicht geklärt sind.
Eine Ungewissheit ist nicht gegeben, wenn
- ein steuerrechtliches Problem noch nicht gelöst ist oder
- das Finanzamt seiner Ermittlungspflicht nicht nachkommt.
§ 165 I 2 AO erweitert die Möglichkeit einer vorläufigen Festsetzung auf folgende Fälle:
- Nach Nr. 1: wenn die rückwirkende Anwendbarkeit eines Doppelbesteuerungsabkommens, das sich zu Gunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, zu erwarten ist
- Nach Nr. 2: wenn das Bundesverfassungsgericht ein Steuergesetz für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat und den Gesetzgeber verpflichtet hat, eine Neuregelung zu treffen
- Nach Nr. 3: beim Vorliegen einer rechtlichen Unsicherheit über die Anwendung eines bestehenden Gesetzes und deshalb ein Verfahren bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht anhängig ist.
Bei Vorliegen einer Unsicherheit nach Nr. 3 kann die Steuerbehörde den Bescheid ausnahmsweise noch bis zu zwei Jahre nach Beseitigung der Ungewissheit abändern, anstatt der regelmäßigen 1-Jahresfrist.
Nach Klärung der Ungewissheit hat die Steuerbehörde dann noch 1 Jahr Zeit, den Steuerbescheid in diesem Punkt zu ändern. Nach § 165 II AO ist die Steuerfestsetzung regelmäßig von Amts wegen zu ändern, sobald die Ungewissheit beseitigt wurde. Wird die Finanzbehörde nicht von sich aus tätig, kann der Steuerpflichtige jederzeit einen Antrag auf Aufhebung der Vorläufigkeit stellen.
Erfolgt nach Beseitigung der Ungewissheit keine Änderung, muss die vorläufige Steuerfestsetzung für endgültig erklärt werden. In den Fällen des § 165 I S 2 Nr. 1 – 3 AO erfolgt dies nur, wenn es der Steuerpflichtige beantragt.
Der Vermerk der Vorläufigkeit muss ausdrücklich in den Steuerbescheid aufgenommen werden und begründet werden. Fehlt die Begründung tritt keine Nichtigkeit, sondern Rechtswidrigkeit ein, die geheilt werden kann. Da es sich bei der Anordnung der Vorläufigkeit um eine unselbständige Nebenbestimmung handelt, ist der Einspruch nur gegen den gesamten Bescheid statthaft, nicht gegen die Vorläufigkeit alleine. Ein Einspruch, der sich nur gegen den Vorläufigkeitsvermerk richtet, ist unzulässig, könnte aber in einen Einspruch gegen den Steuerbescheid umgedeutet werden. Die Begründung für den Einspruch kann nach § 126 I Nr. 2 AO nachgeholt werden.
Wurde der Steuerbescheid mit dem Vorläufigkeitsvermerk rechtskräftig, kann der Steuerpflichtige dem endgültigen Bescheid nicht entgegenhalten, dass der ursprüngliche Bescheid zu Unrecht als vorläufig ergangen ist.
Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist möglich, wenn der Steuerpflichtige die Einspruchsfrist aufgrund einer fehlerhaften Belehrung versäumt hat.
[1] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO): Zu § 165 AO Nr. 1.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Änderung von Steuerbescheiden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-46-5.
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Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten. Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren. Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte.
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.
Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:
- Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
- Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
- Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
- Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
- Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
- Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
- Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7
Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so
- Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren
Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:
- Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
- Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
- Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
- Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
- Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
- Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
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