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Die Änderung von Steuerbescheiden – Teil 08 – Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nach § 173 AO

6 Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nach § 173 AO

6.1 Allgemeines

Die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden kann gem. § 173 AO wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel erfolgen. Die Änderung bzw. Aufhebung des Steuerbescheides ist in solchen Fällen zulässig, in denen das Finanzamt anders entschieden hätte, wenn es damals die Tatsachen schon gekannt hätte. Die Tatsachen oder Beweismittel müssen daher rechtserheblich sein und zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führen.

Neue Tatsachen oder Beweismittel können die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 I AO nur rechtfertigen, wenn sie rechtserheblich sind. Die Rechtserheblichkeit ist zu bejahen, wenn das Finanzamt bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer höheren oder niedrigeren Steuer gelangt wäre.[1] Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist der Steuerbescheid zu ändern, d. h. der Steuerpflichtige hat einen Rechtsanspruch auf Aufhebung oder Änderung und die Finanzbehörde hat kein Ermessen.

§ 173 I AO ist nicht anzuwenden, wenn dem Finanzamt eine Einkunftsquelle oder -art nicht bekannt war, weil dies nur eine einzige Tatsache darstellt und nicht Tatsachen und Beweismittel.

Nach Schätzung der Einkommenssteuer ist die steuerliche Auswirkung einer späteren Steuererklärung eine Tatsache.

Die Vorschrift gilt nur für endgütige Steuerbescheide und denen gleichgestellte.

6.2 Tatsachen

Unter Tatsachen ist alles zu fassen, was Merkmal eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann, wie z.B.

  • die Anzahl von Kindern für Kindergeldansprüche
  • der Familienstand für die Veranlagungsform
  • die Einnahmen und Ausgaben für die Gewinnermittlung.
  • Zustände
  • Vorgänge
  • Beziehungen
  • Lebenssachverhalte und
  • Eigenschaften materieller und immaterieller Art.

Zu den Tatsachen gehören auch innere Tatsachen, wie die Absicht, Einkünfte bzw. Gewinne zu erzielen, die anhand äußerer Merkmale festgestellt werden können.[2]

Nicht erfasst sind

  • Rechtsentscheidungen
  • Rechtsnormen
  • Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere steuerrechtliche Bewertungen.[3]

6.3 Beweismittel

Beweismittel ist jede Erkenntnisquelle, die geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von - für die Besteuerung maßgebende - Umständen zur Überzeugung des Fiskus zu bringen.

Dabei ist vor allem auf die in § 92 AO genannten Beweismittel zurückzugreifen, wie

  • Auskünfte der Beteiligten
  • Zeuge
  • Sachverständiger
  • Urkunde
  • Augenschein.

6.4 Nachträglich bekannt

Nachträglich bekannt geworden, ist eine bereits vorhandene Tatsache, über die der entscheidungsbefugte Amtsträger der zuständigen Stelle erst später Kenntnis erlangt. Dabei gilt als bekannt, wovon der zuständige Bearbeiter bei Abschluss der Willensbildung Kenntnis hat oder was in den Akten vermerkt ist. Eine tatsächliche Kenntnis ist nicht erforderlich. Entscheidend ist der Zeitpunkt, in dem der zuständige Sachbearbeiter die letzte sachliche Überprüfung des Verwaltungsaktes vor der Versendung des Bescheides vornimmt.

Eine Tatsache ist nicht schon dann bekannt, wenn irgendeine Stelle des Finanzamts von ihr Kenntnis hat.[4]

6.5 höhere Steuer

Gem. § 173 I Nr. 1 AO ist eine Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden zuungunsten des Steuerpflichten möglich, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer (Besteuerungsgrundlage) führen.

Beispiel

Herr Otto hat seine Einkommenssteuererklärung für 2012 nicht abgegeben. Das Finanzamt schätzt mit Bescheid vom 08.07.2014 die zu zahlende Steuer auf 25.000 €. Am 26.11.2014 lässt Herr Otto seine Steuererklärung dem Finanzamt zukommen, nach der die Steuer 30.000 € beträgt.
Bei einer Schätzung der Einkommenssteuer genügt die steuerliche Auswirkung einer späteren Steuererklärung als Tatsache gem. § 173 AO. Nach § 173 I Nr. 1 AO kann die Steuer um 5.000 € erhöht und der Steuerbescheid entsprechend geändert werden.

Führt die Änderung zu einer höheren Steuer zuungunsten des Steuerpflichtigen, wird nach Treu und Glauben Vertrauensschutz gewährt, wenn das Finanzamt seine Ermittlungspflicht verletzt hat. Das kann beispielsweise sein, wenn die Finanzbehörde trotz erkennbarer Unstimmigkeiten in der Steuererklärung nicht beim Steuerpflichtigen nachfragt.

6.6 niedrigere Steuer

§ 173 I Nr. 2 AO führt zu einer Änderung oder Aufhebung von Steuerbescheiden zugunsten des Steuerpflichtigen, soweit

  • Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden,
  • die zu einer niedrigeren Steuer führen und
  • den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft.

Eine Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel dem Finanzamt erst nachträglich bekannt geworden sind. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Die grobe Fahrlässigkeit wird als Verletzung der zumutbaren Sorgfalt in ungewöhnlichem, nicht entschuldbarem Maße bezeichnet.[5] Dafür muss nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und dem individuellen Kenntnisstand des Steuerpflichtigen geprüft werden, ob die Voraussetzungen vorliegen. Der Steuerpflichtige muss z.B. den Inhalt des Vordrucks und des Erläuterungstextes sorgfältig lesen und beachten und Zweifelsfragen nachgehen.

Es besteht keine allgemeine Verpflichtung, vor dem Ausfüllen der Steuererklärung den Rat eines Fachkundigen einzuholen. Eben so wenig begründen offensichtliche, menschliche Versehen und alltägliche Fehler (z.B. Schreib-, Rechen-, Übertragungsfehler), die nie vollständig zu vermeiden sind, ein grobes Verschulden.

So stellt es sich etwa beim Ausfüllen eines elektronischen Steuerformulars dar, wenn der Steuerpflichtige (oder sogar sein Steuerberater) es aufgrund eines mechanischen Versehens unterlässt, Aufwendungen einzutragen. Denn auch hierbei handelt es sich um einen menschlichen Fehler, der einem Nutzer jederzeit bei der Verwendung eines Steuerprogramms unterlaufen kann. Grobe Fahrlässigkeit liegt in diesem Zusammenhang nur vor, wenn der Steuerpflichtige (oder sein Berater) die im Formular explizit gestellten Fragen nicht beantwortet.

Verwendet der Steuerpflichtige eine Steuersoftware, muss er sich Fehler dieser wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Wenn allerdings die Erläuterungen in Steuerprogrammen für Laien nicht ausreichend verständlich, klar und eindeutig sind, so wird ihnen ein aufgrund dieser für Laien unverständlichen Erklärung unterlaufener Fehler, nicht als grobes Verschulden anerkannt.

Des Weiteren muss der Steuerpflichtige die von seinem Steuerberater angefertigte Steuererklärung stets auf Richtigkeit und Vollständigkeit prüfen und daher Fehler des steuerlichen Beraters gegen sich gelten lassen. Unerheblich ist in solchen Fällen, wenn aufgrund der Verwendung eines elektronischen Steuerprogramms durch den Steuerberater, dieser dem Steuerpflichtigen lediglich einen komprimierten Ausdruck der Steuererklärung vorlegt, die Nachprüfung somit eingeschränkt ist und deshalb Fehler in der Steuererklärung vom Steuerpflichtigen nicht erkannt werden. Diese Fehler muss der Steuerpflichtige dann gegen sich gelten lassen und könnte allenfalls den Steuerberater nachträglich in Regress nehmen. Ebenso hat der Steuerpflichtige für das grobe Verschulden des Ehegattens (bei einer Zusammenveranlagung nach §§ 26, 26b EStG) einzustehen.

Überwiegt das Erkenntnisverschulden des Finanzamtes das Erklärungsverschulden des Steuerpflichtigen ist nach Treu und Glauben keine Steuererhöhung nach § 173 I Nr. 1 AO möglich.

Beispiel

Der Steuerbescheid von Herrn Weiler ist bereits bestandskräftig. Später erfährt das Finanzamt von weiteren Verkaufserlösen im Betrieb des Herrn Weiler und hört den Steuerpflichtigen an. Dabei trägt Herr Weiler weitere Werbungskosten vor, die er in der ursprünglichen Erklärung nicht angegeben hat.
Der nachträglich bekannt gewordene Verkaufserlöses führt zu einer Änderung nach § 173 I Nr. 1 AO. Das Versäumnis in Bezug auf die Werbungskosten führt nicht zu einer Änderung des Steuerbescheides. Hier scheitert es regelmäßig am Verschulden des Steuerpflichtigen gem. § 173 I Nr. 2 AO. Die Steuer wird nur nach § 173 I Nr. 1 AO erhöht.

Das grobe Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen, die zu einer höheren Steuer führen. Das bedeutet, dass es auf das Verschulden des Steuerpflichtigen nicht ankommt, wenn der steuererhöhende Vorgang nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar ist und beide daher in einem sachlichen Zusammenhang stehen.

Für diesen sachlichen Zusammenhang genügt ein mittelbarer Zusammenhang zwischen § 173 I Nr. 1 AO und § 173 I Nr. 2 AO, so dass es unerheblich ist, ob andere Veranlagungszeiträume betroffen sind. Unerheblich ist auch, ob die Ausgaben höher sind als die Einnahmen, denn der Zusammenhang der Tatsachen ist betragsmäßig nicht begrenzt.

6.7 Außenprüfung

§ 173 II AO erhält eine Abweichung von § 173 I AO. Danach können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Die Norm erhält damit eine Änderungssperre. Sie gilt sowohl für Änderungen zugunsten, als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen.

[1] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO): Zu § 173 AO Nr. 3.1.

[2] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO): Zu § 173 Nr. 1.1.

[3] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO): Zu § 173 Nr. 1.1.2.

[4] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO): Zu § 173 Nr. 2.3.

[5] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO): Zu § 173 AO Nr. 5.1

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Änderung von Steuerbescheiden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-46-5.


 

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Kontakt: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2016


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Herausgeber / Autor(-en):

Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht

Portrait Carola-Ritterbach

Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten.  Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren.  Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte. 
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.

Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:

  • Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
  • Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
  • Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
  • Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
  • Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
  • Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
  • Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7

Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so

  • Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren

Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
 Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:

  • Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
  • Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
  • Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
  • Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
  • Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
  • Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
  • Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter

Kontaktieren Sie Rechtsanwältin Ritterbach unter:
Mail: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0721-20396-28

 

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