Das Widerrufsrecht – Teil 03 – Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge
Herausgeber / Autor(-en):
Harald Brennecke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
2.1.2 Arten der Verbraucherberträge
Nicht alle Verbraucherverträge fallen unter den Anwendungsbereich des Widerrufsrechts. Alle im stationären Handel geschlossen Verträge fallen nicht darunter. Folgende Verträge sind von der Anwendbarkeit des Widerrufsrechts erfasst:
Die besonderen Vertriebsformen (Fernabsatz- und Außergeschäftsraumverträge)
- Finanzierungsverträge
- Teilzeit - Wohnrechtsverträge,
- Verträge über ein langfristiges Urlaubsprodukt (Time-Sharing)
- Versicherungsverträge
- Kapitalanlageverträge
- Fernunterrichtsverträge
2.1.2.1 Besondere Vertriebsformen
Zu den besonderen Vertriebsformen zählen:
- Außergeschäftsraumverträge (§ 312b BGB)
- Fernabsatzverträge (§ 312c BGB)
- Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr (§ 312i BGB)
Bei den besonderen Vertriebsformen findet der Vertragsschluss unter außergewöhnlichen Umständen statt. Verträge werden auf eine unübliche Art und Weise oder in einer ungewöhnlichen Situation oder Umgebung geschlossen. Meistens ist der Verbraucher mental gar nicht darauf vorbereitet, einen Vertrag zu abschließen. Daher sind ihm die rechtlichen Konsequenzen seines Handelns oft nicht bewusst.
Situativ ungewöhnliche Vertragsschlüsse können solche an der Haustür des Kunden (sog. Haustürgeschäfte) oder infolge einer öffentlichen Verkaufsansprache sein. Der Kunde ist nicht auf ein geschäftliches Umwerben eingestellt. Auch Verträge die im Internet oder per Telefon entstehen sind, im Vergleich zum stationären Handel, als unüblich zu betrachten. Denn der Kunde hat nicht dieselbe Möglichkeit der Warenbegutachtung wie dies im stationären Handel möglich wäre. Die fehlende Beratung durch fachkundiges Ladenpersonal ist ebenso ein Manko.
2.1.2.1.1 Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (Direktvertrieb)
Außergeschäftsraumverträge werden in Umgebungen geschlossen, die nicht dem Geschäftsrum des Unternehmers entsprechen. Infolgedessen ist der Verbraucher mental nicht darauf eingestellt, in einen vertraglich relevanten Kontakt zu geraten. Er weist diesbezüglich eine geringere Wachsamkeit auf. Zu einer gedanklichen Vorbereitung kommt es im Vorfeld meistens nicht. Was für den Verbraucher folgt ist ein sog. Überraschungsmoment, welcher die Schutzwürdigkeit des Verbrauchers bei Außergeschäftsraumverträgen begrünet.
2.1.2.1.1.1 Vertragsschluss außerhalb des Geschäftsraums
Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist, sind als Außergeschäftsraumverträge zu qualifizieren (§ 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB).
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Beispiel: Ein Unternehmer vertreibt Staubsauger. Er versucht sein Glück, indem er seinen potentiellen Kunden zu Hause einen "Überraschungsbesuch" abstattet.
- Kommt es zum Vertragsschluss in der Wohnung des Verbrauchers, entsteht ein Außergeschäftsraumvertrag. Verbraucher und der Unternehmer sind körperlich gleichzeitig anwesend. Der Vertrag würde an einem Ort geschlossen, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Die Voraussetzungen eines Außergeschäftsraumvertrages wären erfüllt.
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Geschäftsräume sind die Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine gewerbliche Tätigkeit dauerhaft ausübt (§ 312b Abs. 2 S. 1 BGB). Gewerberäume von Personen die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handeln, stehen den Geschäftsräumen des Unternehmers gleich (§ 312b Abs. 2 S. 2 BGB).
2.1.2.1.1.2 Angebotsabgabe des Verbrauchers außerhalb von Geschäftsräumen
Ein Außergeschäftsraumvertrag liegt ebenfalls vor, wenn der Verbraucher unter den eben genannten Umständen ein Angebot abgibt (§ 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB). Entscheidend ist, dass der Verbraucher seine Willenserklärung außerhalb der Geschäftsräume abgibt. Wo der Unternehmer seine Willenserklärung äußert ist unerheblich.[1] Ein Außergeschäftsraumvertrag liegt auch dann vor, wenn es zum Vertragsschluss erst im Geschäftsraum kommt.
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Beispiel: Der Unternehmer U betreibt die U-Tele GmbH. Er vertreibt besonders kostengünstig Smartphones. Um die an seinem Geschäft vorbeigehenden Menschen auf den Preisvorteil aufmerksam zu machen, betreibt er in den Sommermonaten direkt vor der Fassade seines Geschäfts einen kleinen Verkaufsstand. Kundin K wird durch den Verkaufsstand des U aufmerksam. Sie schaut sich einige von U ausgelegte Ausstellungsstücke an. Da U die originalen Geräte nicht auf der "Straße" liegen haben möchte, handelt es sich lediglich um Attrappen. Die K entdeckt das Telefon, nachdem sie schon so lange Ausschau hält. Kurzerhand entschließt sie sich das Gerät sofort zu kaufen. Sie wendet sich an U. Dieser ist zu diesem Zeitpunkt noch mit einem anderen Interessenten im Gespräch. K geht dazwischen und sagt: "Das hier nehme ich". Als U dies registriert, erwidert er: "Gehen Sie schon mal in das Geschäft, ich komme gleich nach. Die zum Verkauf bestimmte Ware befindet sich im Laden". Als U eine Minute danach zu ihr kommt, nimmt er das Angebot der K an.
- Es liegt ein Außergeschäftsraumvertrag vor. Die K hat ihr Angebot ("Das hier nehme ich."), bereits vor dem Geschäftsraum des U abgegeben. Das der U seine Annahme erst im Verkaufsraum erklärt ist unerheblich.
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2.1.2.1.1.3 Individuelle Ansprache des Verbrauchers
Ein Vertrag, der auf einer vorhergehenden persönlichen und individuellen Ansprache des Unternehmers außerhalb seiner Geschäftsräume beruht, wird ebenfalls als Außergeschäftsraumvertrag qualifiziert, wenn der Vertragsschluss unter Anwesenheit beider Parteien später in den Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossen wird. Gleiches gilt für Verträge, die später per Fernkommunikationsmittel geschlossen werden (§ 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB).
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Beispiel 1: Den Ausgangspunkt bildet der zuvor geschildete Fall. Als U bemerkt, dass er nach 5 Stunden erst einen einzigen Kaufvertrag abgeschlossen hat, überlegt er sich eine andere Strategie. Er bittet zwei seiner Angestellten, die normalerweise im Warenlager arbeiten, ihm beim "Kundenfang" behilflich zu sein. Während U den Verkaufsstand hütet, sollen die beiden ausschwärmen, um die Kunden gezielt auf das Sortiment anzusprechen. Angestellter A spricht den vorbeigehenden Z persönlich an. Von der Ansprache des A überzeugt, entschließt sich Z, das von A angepriesene Modell zu kaufen. Der Kaufvertrag wird im Verkaufsraum der U-Tele GmbH geschlossen.
- Der A unterbereitet dem Z durch seine individuelle Ansprache ein persönliches Angebot. Dieses Angebot führt zum Abschluss des Kaufvertrages im Verkaufsraum. Ein Außergeschäftsraumvertrag i.S.v. § 312b BGB liegt vor. Dass nicht U persönlich den Z angesprochen hat ist unerheblich. Der A steht dem U hier rechtlich gleich, da er in seinem Namen handelt (§§ 164 Abs. 1 BGB, 56 HGB).
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Beispiel 2: Während Mitarbeiter A den ersten Erfolg verbuchen konnte, läuft es bei Kollege B ehr schleppend. B spricht die X an und preist ihr ein ganz "besonders" Modell an. Die X signalisiert Interesse, jedoch ist sie zeitlich nur kurz angebunden. Zur Sicherheit gibt der B ihr die Visitenkarte der U-Tele GmbH mit auf den Weg. Eine Stunde später ruft die X bei der U- Tele GmbH an und möchte das von B angepriesene Modell kaufen. Es kommt zum Vertragsschluss via Telefon.
- Die X entscheidet sich aufgrund der persönlichen und individuellen Ansprache des B zum Kauf. Es liegt ein Außergeschäftsraumvertrag vor.
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2.1.2.1.1.4 Vertragsschluss auf Ausflügen
Verträge, die auf einem vom Unternehmer organisierten oder mitorganisierten Verkaufsausflug geschlossen werden sind ebenfalls als Außergeschäftsraumvertrag zu qualifizieren (§ 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB). Dazu zählen vor allem die sog. Kaffeefahrten (Werbefahrten).
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Beispiel: Ehepaar E hat von einem günstigen Tagesausflug erfahren. Unternehmer U wirbt mit einem Pauschalpreis für Transport und Verpflegung. Es soll dabei Kaffee und Kuchen in einem etwas abgelegenen Landhaus geben. Das Ehepaar E bucht den Tagesausflug gemeinsam mit 15 anderen Personen. Als die Gruppe das Landhaus erreicht, beginnt der U über vier Stunden lang verschiedene Produkte zu bewerben und sie als revolutionär und besonders günstig anzupreisen. Darunter auch ein Bügeleisen mit einer angeblich neuen Dampftechnologie. Die Eheleute E sind nach der Vorführung des Produktes begeistert und kaufen das beworbene "Eisen".
- Da es sich um eine vom Unternehmer organsierte Veranstaltung handelt, die auf den Vertrieb von Produkten abzielt, liegt hier ein Außergeschäftsraumvertrag vor. Der Schwerpunkt des Ausfluges beruht auf der Umwerbung der Gäste, mit dem Ziel des Kaufvertragsschlusses.
[1] Vgl. jurisPK-BGB Band 2 § 312b Rn 16.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Widerrufsrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Pascal Schöning, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-56-4.
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Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Stand: Januar 2016
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