Das Widerrufsrecht – Teil 04 – Fernabsatzverträge und Verträge im E-Commerce, Verbraucherdarlehensverträge
Herausgeber / Autor(-en):
Harald Brennecke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
2.1.2.1.2 Fernabsatzverträge und Verträge im E-Commerce
Ein Fernabsatzvertrag setzt voraus, dass der Verbraucher und der Unternehmer für den Abschluss des Vertrags Fernkommunikationsmittel verwenden (§ 312c Abs. 1 BGB). Fernkommunikationsmittel sind Telefone, E-Mails oder Briefe. Der Vertrag im E-Commerce ist regelmäßig ein Fernabsatzvertrag. Ein Vertrag im E-Commerce liegt vor, sobald sich der Unternehmer für den Vertragsschluss der Telemedien bedient (§ 312i Abs. 1 BGB). Dies ist bei Internetbestellungen der Fall.
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Beispiel 1: Der Verbraucher erwirbt eine Softwarelizenz im Internet.
- Da sich der Verbraucher der Telemedien bedient, liegt ein Vertrag im E-Commerce vor. Gleichzeitig liegt ein Fernabsatzvertrag vor, da der Vertrag über ein Fernkommunikationsmittel geschlossen wird.
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Beispiel 2: Der Verbraucher bestellt mit Hilfe eines Bestellformulars ein Möbelstück. Das Bestellformular übermittelt er per Post an den Unternehmer.
- Es liegt ein Fernabsatzvertrag vor, da sich der Verbraucher eines Fernkommunikationsmittels bedient (Brief). Ein Vertrag im E-Commerce liegt nicht vor, da keine Telemedien genutzt werden.
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Sobald ein Vertrag innerhalb einer "Face-to-Face-Situation" entsteht, hat der Verbraucher die Möglichkeit, sich die Ware oder Dienstleistung sowie die Vertragsbestimmungen vom Verkaufspersonal genau erklären zu lassen. Bei Verständnisproblemen kann der Unternehmer darauf eingehen. Der Verbraucher hat ebenso die Chance, die Ware zu begutachten und zu testen. Diese Möglichkeiten der Informationseinholung stehen dem Verbraucher im Fernsatz nicht zu.
Freilich hat der Verbraucher auch im Fernabsatz die Möglichkeit sich gewissen Informationen einzuholen. Der Unternehmer wirbt mit seinen Waren in Katalogen oder preist im Internet die wesentlichen Eigenschaften der Produkte an. Dem Verbraucher steht es auch frei über die Homepage des Unternehmers Kenntnis von den AGB zu nehmen und bei Unklarheiten Kontakt herzustellen. Jedoch kann das persönliche Beratungsgespräch durch technische Kommunikationsmittel nicht ersetzt werden. Bei Verkaufs- und Beratungsgesprächen im Rahmen der "Face-to-Face-Situation", hat das Verkaufspersonal viel bessere Möglichkeiten auf die konkreten Verständnisprobleme des Verbrauchers einzugehen und Unklarheiten zu beseitigen. Solche Beratungsgespräche sind im Fernabsatz nicht möglich. Daraus erwächst die Schutzwürdigkeit des Verbrauchers.
2.1.2.1.2.1 Organisiertes Vertriebs– und Dienstleistungssystem
Verträge, die gelegentlich oder zufällig mit Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, scheiden aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzvertrages aus. Der Unternehmer muss die Fernkommunikationsmittel in Anlehnung eines für den Fernabsatz geschaffenen Vertriebs- und Organisationssystems nutzen. Dies setzt voraus, dass der Unternehmer personelle und sachliche Voraussetzungen zur Schaffung eines Fernabsatzvertriebs geschaffen hat.(Fußnote) Das bedeutet für die Praxis, dass der Unternehmer auf eine Bestellung mit einem Fernkommunikationsmittel vorbereitet ist. Der Unternehmer muss jedoch nicht sein gesamtes Unternehmen auf den Fernabsatzvertrieb konzentrieren.(Fußnote)
Kein Fernabsatzvertrag liegt vor, wenn der Unternehmer ausnahmsweise eine Bestellung mit Hilfe eines Fernkommunikationsmittels entgegennimmt und die bestellte Ware anschließend versendet.(Fußnote) Die Grenze zum organisierten Vertriebssystem ist erst dann überschritten, wenn sich der Unternehmer grundsätzlich die Möglichkeit des Warenversandes offenhält.(Fußnote) Ein Beweis dafür ist die öffentliche Werbung mit einem Versandservice. Ein organisiertes Vertriebssystem liegt auch vor, wenn der Unternehmer eine Homepage oder einen Katalogversand betreibt um Bestellungen entgegen zu nehmen.(Fußnote)
2.1.2.2 Finanzierungsverträge
Der Finanzierungsvertrag hat die Gewährung eines Geld- oder Warendarlehens zu einem festgesetzten Zweck zum Inhalt. Der Kapitalgeber ist dazu verpflichtet, die vereinbarte Geld- oder Sachleistungen zu erbringen. Der Darlehensnehmer hat als Gegenleistung den vereinbarten Geldbetrag inkl. Zinsen zu zahlen.
In den Anwendungsbereich des Widerrufsrechts fallen folgende Finanzierungsverträge:
- Verbraucherdarlehensverträge (§§ 491 ff. BGB),
- Finanzierungshilfen (§§ 506 ff. BGB) und
- Ratenlieferungsverträge (§ 510 BGB).
2.1.2.2.1 Verbraucherdarlehensvertrag
Darlehensverträge sind wegen ihrer wirtschaftlichen Tragweite schwer zu überschauen. Das Widerrufsrecht soll dem Verbraucher die Möglichkeit einräumen, den Vertragsschluss zu überdenken und ggf. einen Vertrag mit besseren Konditionen abzuschließen.
2.1.2.2.1.1 Voraussetzungen
Der Verbraucherdarlehensvertrag setzt folgendes voraus (§ 491 Abs. 1 BGB):
- Einen Unternehmer als Darlehensgeber
- Einen Verbraucher als Darlehensnehmer
- Die Entgeltlichkeit (Verzinsung) des Darlehens
2.1.2.2.1.1.1 Darlehensgeber
Als Darlehensgeber sind in erster Linien Kreditinstitute tätig, jedoch nicht ausschließlich. Der Unternehmer muss sein Geschäft nicht unbedingt auf die Kreditvergabe konzentrieren.(Fußnote) Notwendig ist nur, dass der Unternehmer bei der Kreditvergabe in Ausübung seiner gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt.(Fußnote) Eine einmalige Darlehensvergabe in Ausübung der gewerblichen Tätigkeit ist bereits ausreichend.(Fußnote)
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Beispiel: Der Unternehmer betreibt einen Versandhandel, die A-GmbH. Zu seinen besten Kunden zählt auch sein Jugendfreund V. Dieser hat sich mit den Investitionen in seine Fahrzeuge übernommen und schuldet zwei Händlern je 10.000 €. Die Summe von 20.000 € kann er nicht aufbringen. Beide Händler drohen dem V mit einer Klage. Um die noch offenen Beträge zu begleichen, möchte V seine Fahrzeuge nicht verkaufen. Einen Kredit bei der Bank möchte V auch nicht aufnehmen. Die Zinsen sind ihm aktuell zu hoch. Daraufhin wendet sich V an A. V klärt A über seine missliche Lage auf und bittet ihn um Hilfe. Da A privat selber nicht über ein frei verfügbares Kapital i.H.v. 20.000 € verfügt, jedoch auf eine Kapitalreserve i.H.v. 100.000 € der A - GmbH zugreifen kann, macht er V den Vorschlag, ihm ein Darlehen als Unternehmer zu gewähren. A gewährt dem V ein Darlehen i.H.v. 20.000 € zu einem Zinssatz von 1,5%.
- Es liegt ein Verbraucherdarlehen i.S.v. § 491 BGB vor, da V als Verbraucher und A als Unternehmer auftritt. A ist beruflich nicht im Kreditvergabegeschäft tätig, er handelt bei der Kreditvergabe jedoch in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit.
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Ein Darlehensvertrag zwischen zwei Verbrauchern ist kein Verbraucherdarlehen. Tritt ein Freund oder Bekannter privat als Darlehensgeber auf, fehlt es an der Voraussetzung der Unternehmereigenschaft.
2.1.2.2.1.1.2 Darlehensnehmer
Ein Verbraucher ist dann als Darlehensnehmer zu qualifizieren, wenn der Darlehensvertrag zu einem Zweck abgeschlossen wird, der überwiegend in den privaten Bereich fällt.
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Beispiel: Der Kunde möchte beim Unternehmer einen neuen TV zu einem Preis von 2.000 € erwerben. Der Unternehmer unterbereitet dem Kunden das Angebot den TV über eine Finanzierung zu erwerben. Für das Finanzierungsangebot kooperiert der Unternehmer mit einer Bank. Er möchte dem Kunden einen Kredit zur Finanzierung des Gerätes vermitteln.
- Der Kunde benötigt das Darlehen für private Zwecke (Konsumentendarlehen). Deswegen ist er Darlehensnehmer i.S.v. § 491 BGB.
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Die Grenze der privaten Zweckrichtung ist dann erreicht, wenn der Darlehensnehmer mit dem Darlehen in den gewerblichen Wettbewerb tritt.(Fußnote) Bei Kaufleuten greift die Vermutungsregel des § 344 HGB. Demnach sind alle von einem Kaufmann geschlossenen Verträge im Zweifel seinem Betrieb zugehörig.(Fußnote) Um diese Vermutung zu wiederlegen, muss der Kaufmann Beweise vorbringen, die auf eine private Zweckrichtung des Darlehens hinweisen.
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Beispiel 1: Ein selbstständiger Unternehmer möchte für die Anschaffung von 3 neuen Computern ein Darlehen aufnehmen. Er möchte die Geräte für sein Gewerbe nutzen.
- Da die Computer gewerblich genutzt werden sollen, fehlt es am privaten Zweck. Ein Verbraucherdarlehen liegt nicht vor.
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Beispiel 2: Der Unternehmer hat öffentlich angekündigt, eine weitere Niederlassung seines Geschäfts zu eröffnen. Zeitgleich möchte er für private Zwecke ein Darlehen i.H.v. 50.000€ aufnehmen, um sein Eigenheim zu modernisieren. Das Darlehen möchte er bei derselben Bank aufnehmen, die ihm schon die 3 Computer finanziert hat.
- Da die Bank um die Unternehmereigenschaft weiß, muss der Unternehmer Tatsachen vorbringen die beweisen, dass er das Darlehen für private Zwecke benötigt (Beweislastregel, vgl. § 344 HGB).
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2.1.2.2.1.1.3 Entgeltlichkeit
Das Darlehen muss entgeltlich sein. Der Darlehensnehmer hat nicht nur die geliehene Geldsumme zurückzahlen, sondern auch eine Gegenleistung (Zinsen) zu erbringen. Die Gegenleistung des Darlehensnehmers darf auch lediglich geringfügig sein. Dies ist der Fall, wenn die vereinbaren Zinsen unter dem üblichen Marktwert liegen, welche sich am Leitzins der EZB (Europäische Zentralbank) orientieren.(Fußnote) Die Gegenleistung soll jedoch nicht völlig unerheblich sein.(Fußnote)
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Beispiel: Der Verbraucher muss für sein Darlehen i.H.v. 50.000 € einen einmaligen Zinsbetrag i.H.v. 5 Cent zahlen.
- In diesem Fall wäre die Gegenleistung zu gering und deswegen völlig unerheblich. Ein Verbraucherdarlehensvertrag i.S.v. § 491 BGB liegt somit nicht vor.
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2.1.2.2.1.1.4 Form
Der Verbraucherdarlehensvertrag unterliegt der Schriftform (§§ 492 Abs. 1 S. 1, 126 BGB). Der Vertrag muss von beiden Parteien eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werden.
2.1.2.2.1.1.5 Existenzgründer
Nutzt ein Verbraucher ein Darlehen zur Existenzgründung und übersteigt der Nettodarlehensbetrag 75.000 € nicht, dann liegt ebenfalls ein Verbraucherdarlehensvertrag vor (§§ 512, 491a BGB). Voraussetzung ist, dass das Darlehen der Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit dient.
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Beispiel: Ein Verbraucher der sich beruflich selbstständig macht, benötigt für die Anschaffung seiner gesamten Geschäftsausstattung ein Darlehen i.H.v. 30.000 €
- Da das Darlehen der Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit dient und einen Betrag i.H.v. 75.000 € nicht übersteigt, liegt ein Verbraucherdarlehensvertrag vor.
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Ein Verbraucherdarlehensvertrag liegt ebenfalls vor, wenn eine natürliche Person bereits gewerblich tätig ist und für die Eröffnung des Zweitgewerbes ein Darlehen benötigt. Dies setzt voraus, dass das Zweitgewerbe vom Erstgewerbe klar getrennt ist, sodass kein Zusammenhang zwischen beiden Gewerben besteht.(Fußnote)
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Widerrufsrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Pascal Schöning, Wirtschaftsjurist LL.B., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-56-4.
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Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Stand: Januar 2016
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